Der Jahrhundert-Fotograf
Die österreichische Fotografie-Ikone Erich Lessing starb gestern im Alter von 95 Jahren.
"Das ist ein Bild, das niemand versteht", sagte der Fotograf Erich Lessing bei einem der Besuche der OÖN in seiner vor wenigen Monaten geschlossenen Wiener Galerie in der Weihburggasse. Lessing schnappte seinen Gesprächspartner am Arm, zog ihn zu sich und flüsterte das Foto-Geheimnis: "Da ist eine Telefonzelle zu sehen. Daneben befinden sich ein auf den ersten Blick sinnloser Zaun und ein Mädchen, das sein Fahrrad an den Zaun gelehnt hat. Das Mädchen geht um den Zaun herum zur Telefonzelle. Klar wird alles, wenn man weiß, dass die Telefonzelle in Westberlin stand, und der Zaun war die Grenze zu Ostberlin – bevor die Mauer da war. Die Frau ist eine Berlinerin aus dem Osten, die zum Telefonieren in den Westen fuhr."
Lessings lebendig vermittelte Zeitgeschichte wird es nicht mehr geben. Der 1923 in Wien geborene Fotograf, der jahrelang für die einst weltweit führende Agentur Magnum politische Brennpunkte des 20. Jahrhunderts dokumentierte, starb in der Nacht auf gestern im Alter von 95 Jahren.
Taxifahrer für Gerhard Bronner
Lessing stammte aus einer jüdischen Familie, sein Vater war Zahnarzt, seine Mutter Konzertpianistin. 1939 floh er vor den Nazis nach Palästina, studierte Radiotechnik, arbeitete in einem Kibbuz und fuhr Taxi, mit dem er gelegentlich Gerhard Bronner abholte, wenn dieser als Barpianist Feierabend hatte. Seine Mutter hätte sich auch retten können. Sie war dennoch in Wien geblieben, weil sie nicht ohne Lessings Großmutter fliehen wollte. "Meine Mutter wurde in Auschwitz vergast, meine Großmutter starb in Theresienstadt", erzählte er im OÖN-Gespräch. Eher zufällig wurde Lessing wieder Wiener: "Ich wollte auf die Filmakademie in Paris, aber ich hab’ kein Visum bekommen. Die einzige Möglichkeit, nach Europa zurückzukehren, war, ob von meiner Familie in Wien jemand überlebt hatte. Ich fand nur entfernte Verwandte. Geblieben bin ich, weil mir das Geld ausgegangen ist und ich einen Job bei Associated Press bekam." Die junge Frau, die ihn engagiert hatte, kündigte ein halbes Jahr später, weil man kein Verhältnis im Büro pflegt. Sie hieß Traudl, eine spätere "Time"-Journalistin, mit der Lessing bis zu ihrem Tod 2016 verheiratet war. In zweiter Ehe lebte er mit der Psychotherapeutin Renée Kronfuss-Lessing zusammen.
Erich Lessing (1923–2018) dokumentierte die Brennpunkte des 20. Jahrhunderts, wie die Präsentation des Staatsvertrags am Balkon des Belvedere
Ab 1951 war Lessing Mitglied bei Magnum Photos, sein Aufgabengebiet lag in Osteuropa. 1956 fotografierte er den von Sowjets niedergeschlagenen Ungarnaufstand. Porträtaufnahmen großer Politiker (Chruschtschow, Eisenhower ...) machten ihn ebenso berühmt wie Aufnahmen von Herbert von Karajan. Ein Foto, das um die Welt ging, war sein Bild mit Leopold Figl und den alliierten Außenministern auf dem Balkon des Belvedere nach der Staatsvertrag-Unterzeichnung. Lessing: "Als Fotograf tritt man mit der Welt in Beziehung und lernt, sie durch das Bild besser zu verstehen."
Aaachwas! Ein "guter Photograph" macht halt sehr viele Bilder und sortiert die schlechten aus
Wurde einmal persönlich in seine Galerie eingeladen.Er war ein wunderbarer Mensch dem man stunden lang zu hören konnte.Er wird ewig in Erinnerung bleiben
Seine Negative werden hunderte Jahre halten ! Eine Eigenschaft, die wir von digitalen Daten nicht erwarten könne. Habe vor kurzem Glasplattennegative aus den 40-ern vergrößert - sieht aus wie gestern aufgenommen. Wir sollten uns um die Sicherung von künstlerischen, persönlich wertvollen oder zeitgeschichtlichen Fotos wahrhaft Sorgen machen.
Wie mit dem Schrank voller Schallplatten, "alles von Furtwängler". Auf einmal hatte ich keinen Plattenspieler mehr