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Klemens Brosch: Selbstzerstörung des Wunderkindes

Von Bernhard Lichtenberger, 24. September 2016, 00:05 Uhr
Klemens Brosch
Klemens Brosch Bild: Otto Kaiser, Linz

Die von den OÖN präsentierte Schau "Kunst und Sucht des Zeichengenies" widmet sich ab 30. 9. in der Landesgalerie und im Nordico dem fantastischen Werk und dem tragischen Leben des Linzers Klemens Brosch (1894–1926).

Er war ein Fremdling in seiner Zeit, floh in die flüchtigen Illusionen des Rauschgiftes und endlich in die ewige Erlösung des Todes (...) Klemens Brosch erscheint mir als fragmentarisches Genie ein Produkt seiner Umwelt und zugleich ihr Opfer", schrieb Herbert Lange 1963 in den OÖNachrichten über den Linzer Künstler, der sich vor 90 Jahren 32-jährig endgültig dem Diesseits verweigerte.

Obwohl Brosch als einer der bedeutendsten Zeichner zu Beginn des 20. Jahrhunderts anzusehen ist, blieb er biografisch lange ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Erst die Kunsthistorikerin Elisabeth Nowak-Thaller, Vizedirektorin des Lentos und wissenschaftliche Leiterin des Ausstellungsprojekts, brachte 1985 in ihrer Dissertation die verborgene, von Düsternis belastete Vita des begnadeten Zeichners ans Licht.

"Das Talent, das ihn zum Wunderkind machte", sagt die Linzerin, "war sicher eine Gottesgabe." Es wurde sowohl in der gutsituierten Familie – Vater Franz war angesehener Bürgerschuldirektor, Mutter Elisabeth entstammte der Lebzelter-Dynastie Kastner – gefördert, als auch von den Zeichenlehrern in der Oberstufe der Fadingerschule erkannt.

Der "Strick" in der Schule

Wie Klemens Brosch selbst seine frühe Jugend reflektierte, geht aus einem Arztprotokoll im umfangreichen Krankenakt der Landes-Irrenanstalt Niedernhart hervor: "Er ist das fünfte von sieben Kindern, wovon ein Bruder im Krieg fiel, während die übrigen gesund seien. Er litt nicht an Fraisen, wohl aber einige Jahre an Enuresis (Bettnässen), jedoch in der Schulzeit nimmer. Seit dem 10. Lebensjahr sei er lungenschwach (...) Dann besuchte er eineinhalb Jahre die Realschule, doch war er ,ein Strick‘ und lernte nichts, trieb nur Allotria."

Umso pedantischer, akribischer und fokussierter widmete sich der Jüngling seinem künstlerischen Schaffen, in dem auch der Zauber und die Vergänglichkeit der Natur eine wesentliche Rolle spielen. Wie seine Geschwister und sein Vater gehörte Klemens Brosch der Wandervogel-Bewegung an, bei Ausflügen ins Mühlviertel war es selbstverständlich, dass Bleistift und Skizzenblock dabei waren.

In seinem Maturajahr 1913 entstand die Arbeit "Blick durch die Glastüre". Durch besagte Türe sieht man einen Uniformierten in einem Lazarettbett vor sich hindämmern. Im Glas spiegelt sich der zeichnende Brosch, der den Betrachter anstarrt. Den Platz des rechten Auges nimmt auf der Verglasung eine Fleischfliege ein. "Diese Metapher der Vergänglichkeit, des Todes, des Untergangs ist schon beim jugendlichen Brosch vorhanden", interpretiert Nowak-Thaller ihre Lieblingszeichnung.

"Sein schwermütig-melancholisches Leben war ein einziges tragisches Ereignis. Brosch war ein hochintellektueller Mensch, aber in seiner Zeit ein völliger Außenseiter – auch als Künstler." Und so öffnet sich keine stilistische Schublade, in die man den Mitbegründer der Künstlervereinigung MAERZ legen könnte. Er hatte Vorbilder wie Rembrandt, Max Klinger, Goya oder van Gogh, fand aber rasch seinen eigenen Weg. "Er ist ein Vorreiter des Surrealismus, und in der Schärfe der Darstellung auch der Neuen Sachlichkeit", sagt Nowak-Thaller.

Gleich nach der Matura rückt er als Einjährig-Freiwilliger zum Militärdienst ein, den Lungenkranken strecken aber schon die ersten Übungen nieder. Obwohl die Bewerbungsfrist abgelaufen ist, nimmt ihn die Akademie der bildenden Künste in Wien auf, als Vater Brosch mit einer Skizzen-Mappe vorstellig wird. Der Erste Weltkrieg bringt nicht nur Verderben über die Menschheit. Er löst auch eine Selbstzerstörung aus.

Das Wundermittel Morphium

Brosch muss an die Front in Galizien, erlebt die schrecklichsten Gräuel und bannt sie als Berichterstatter auf Papier. Es sind anklagende Blätter gegen Massenvernichtung und Willkür. Der psychisch Instabile bricht körperlich zusammen. Die Schmerzen lindert das Wundermittel der Feldapotheke: Morphium.

Der Künstler verfällt der Droge ebenso wie seine Frau Johanna, die er 1914 kennenlernte. "Beide waren eine Leidens- und Schicksalsgemeinschaft, eine große, tragische Liebe", sagt die Ausstellungsleiterin. Morphium und Kokain gehen ins Geld. Die Werke, die Brosch in langen Nächten fast manisch auswirft, werden untertags verkauft und wieder in Suchtmittel umgesetzt. Ab 1920 wechselt der Künstler vom Zeichenstift zum Tuschpinsel, mit dem er Albtraumhaftes malt – Visionen vom Weltuntergang, Wahnvorstellungen mit Monstern. Entzugsversuche in der Landes-Irrenanstalt scheitern, der Verfall setzt sich fort.

Am 17. Dezember 1926 inszeniert Klemens Brosch seinen Abgang. Im blauen Skianzug legt er sich, den Kopf auf einer Proviantdose, auf dem Pöstlingbergfriedhof nieder, stülpt eine Gasmaske über, unter der er sich mit Chloroform vergiftet. In einem Abschiedsbrief richtet er aus: "Die Tat ist ja schließlich nur der logisch gesetzte Schlußpunkt zu dem langen Satz, der mit dem Wort Morphium beginnt."

 

„Das Krokodil auf der Mondscheibe“ zeichnete Brosch 1912 als Fadingerschüler. In nur 16 Schaffensjahren hinterließ er rund 1000 Zeichnungen, Aquarelle und einige Gemälde. Die Museen der Stadt Linz (150) und das Oö. Landesmuseum (700) verfügen nahezu über das Gesamtwerk des Künstlers. Bild: Landesgalerie, Nordico

„Das Krokodil auf der Mondscheibe“ zeichnete Brosch 1912 als Fadingerschüler. In nur 16 Schaffensjahren hinterließ er rund 1000 Zeichnungen, Aquarelle und einige Gemälde. Die Museen der Stadt Linz (150) und das Oö. Landesmuseum (700) verfügen nahezu über das Gesamtwerk des Künstlers.

 

„Siesta der Henker“ (1916) ist eine schwere Anklage gegen militärische und menschliche Willkür. Bild: Norbert Artner

„Siesta der Henker“ (1916) ist eine schwere Anklage gegen militärische und menschliche Willkür.

 

„Der Irrsinnige“ entstand im Todesjahr des Künstlers. Bild: Landesgalerie, Nordico

„Der Irrsinnige“ entstand im Todesjahr des Künstlers.

 

Eine Zukunftsvision als letztes Meisterwerk: „Sternwarte“ (1926), ein großformatiges Gemälde einer Weltraumstation, das einen Stanley Kubrick oder George Lucas vorausnimmt. Bild: Reinhard Haider

Eine Zukunftsvision als letztes Meisterwerk: „Sternwarte“ (1926), ein großformatiges Gemälde einer Weltraumstation, das einen Stanley Kubrick oder George Lucas vorausnimmt.

 

Klemens Brosch: Kunst und Sucht des Zeichengenies

Ausstellungsorte: Landesgalerie und Nordico Stadtmuseum Linz

Dauer: 30. September 2016 bis 8. Jänner 2017

Medienpartner: OÖNachrichten

Schwerpunkte: Die Landesgalerie bietet einen umfassenden Einblick in den künstlerischen Kosmos des genialen Zeichners, ergänzt durch grafische Werke von Francisco de Goya, Max Klinger und Rembrandt van Rijn, welche die kunsthistorischen Einflüsse auf die Arbeit von Brosch verdeutlichen.
Die Schau im Nordico beschäftigt sich mit der Biografie und den Linz-Bezügen des Künstlers, mit markanten Lebensabschnitten und -orten.

Öffnungszeiten: Landesgalerie Di, Mi, Fr 9–18 Uhr, Do 9–21 Uhr, Sa, So, Fei 10–17 Uhr; Nordico Di–So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr

Eintritt: je 6,50, ermäßigt 4,50 Euro; Kombiticket 9 bzw. 6 Euro

2-für-1-Aktion: Führungstarif (3 Euro) am ersten Ausstellungsort bezahlen und Gratis-Führung am zweiten erhalten.

Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Anton-Pustet-Verlag ein 320-seitiger Katalog, 34 Euro

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4  Kommentare
4  Kommentare
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haspe1 (23.645 Kommentare)
am 24.09.2016 01:50

Klemens Brosch war ein unglaubliches grafisches Talent, völlig unverständlich, dass er nicht viel bekannter ist. Es gibt ein gutes Buch über seine Werke von Peter Baum.

Genre-Zuordnungen sind ja sehr subjektiv, ein paar surreale Elemente findet man vielleicht, aber ein surrealistischer Künstler war er für mich nicht und mit den Stilmitteln der "neuen Sachlichkeit" hat er eher wenig zu tun.

Bei seinem späten Bild (das ich noch niicht gesehen habe) einen Vergleich mit Stanley Kubrick zu ziehen, geht vielleicht, da beide ihr Medium genial mit neuen Darstellungsweisen bereicherten, aber den Vergleich mit dem banalen George Lucas und seiner vollkommen kindischen Star Wars-Saga finde ich völlig danebengegriffen.

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haspe1 (23.645 Kommentare)
am 24.09.2016 01:52

Übrigens wurde zu Ehren Broschs vor einigen Jahren eine Oper komponiert: "Der Zeichner im Schnee".

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mitreden (28.669 Kommentare)
am 25.09.2016 18:55

"zeichner im schnee"....profane würden das anders ausdrücken - zwinkern
-----
aber gut war er schon, der brosch, wenngleich auch halbwegs verrückt, wie z.b auch georg trakl....

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haspe1 (23.645 Kommentare)
am 26.09.2016 07:25

@mitreden: Trakl und Brosch haben gemein, dass sie die Gräuel des 1. Weltkrieges, die sie persönlich erlebt und gesehen haben, wohl nicht ertragen und überwinden konnten. Und deshalb in die Sucht geflüchtet sind. Sie hatten tragische Schicksale, Künstler sind ja oft sehr sensible Charaktere.

"Verrückt" ist wohl nicht ganz das richtige Wort dafür.

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