Der menschliche Körper ist Signal und Apparat
Ausstellung: Eine Hommage des Lentos an VALIE EXPORT zum 80. Geburtstag.
Lange hat ihre Geburtsstadt Linz gebraucht, um sich der Bedeutung der Kunst von VALIE EXPORT klar zu werden. 2015 kaufte die Stadt ihren Vorlass, seit 2017 wird er im VALIE EXPORT Center (VEC) in der Tabakfabrik wissenschaftlich aufgearbeitet. Das sei ein "Zeichen der Wertschätzung und Wiedergutmachung" gewesen, sagt der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ).
VEC-Direktorin Sabine Folie hat nun im Obergeschoß des Kunstmuseums Lentos EXPORTS Recherche zu einer "Geschichte des Körpers" in die gestern eröffnete Ausstellung "Hommage à VALIE EXPORT" transponiert, die mit Arbeiten der Künstlerin von den 70er-Jahren bis in die Gegenwart das Verhältnis von Kultur und Natur in Form einer Kulturalisierung des Körpers aufschlüsselt. Es ist eine kluge, plausible und sensibel ausgewählte Huldigung der Künstlerin, die bereits am 17. Mai ihren 80. Geburtstag gefeiert hat (die OÖN berichteten), aber Corona … – Sie wissen ja. Auch bei der gestrigen Eröffnung war EXPORT entschuldigt. Ihre Ärzte hatten ihr geraten, größere Veranstaltungen in diesen Tagen zu meiden.
In keiner Arbeit über zeitgenössische feministische Kunst fehlt EXPORTS Performancefoto "Aktionshose: Genitalpanik", für das die Künstlerin 1968 als Revolutionärin mit im Schritt zerschnittenen Jeans, Maschinengewehr und Löwenmähne posierte. 52 Jahre danach entfaltet die Arbeit im Lentos noch immer ihren optischen Magnetismus, der sowohl den Voyeurismus anstiftet, aber auch die dahinter liegenden Ebenen einer zur Schau gestellten Körperlichkeit offenbart. Performance-Heldin Marina Abramovic wiederholte EXPORTS Aktion 2005 im New Yorker Guggenheim Museum.
Sabine Folie lockt damit ihr Publikum, um die weiteren Varietäten von EXPORTS Arbeit am und mit dem menschlichen Körper freizulegen. Es geht um Versuche der technologischen und gesellschaftlichen Dechiffrierung des Körpers, genauso wie um die Parallelen zu Werken alter Meister (am Beispiel von Werken William Blakes (1757–1827) zwischen Unterwerfung und tradiert weiblichem Gestus. Der Körper ist eben Apparatur und Signal zugleich.
Unter den mehr als 30 Arbeiten sind obendrein die legendären Tattoo-, Ritz- wie Selbstmarkierungs- und Selbstbeschädigungs-Arbeiten zu sehen, wie auch der dressierte Körper, der zur Vermarktung taugt (Film-Satire: "Ein perfektes Paar oder die Unzucht wechselt die Haut"). Darüber hinaus zeigt Folie, wie es EXPORT gelungen ist, den menschlichen Körper mit dessen technologischen Errungenschaften – etwa in der Architektur – zu verschmelzen. Besonders beeindruckend ist darunter die altarähnliche Arbeit "Orthogonale Raumvektoren" (1990), die ein Frauengesicht in Anordnung und Wucht von Wolkenkratzern installiert. Eine Ausstellung (bis 10. Jänner), die den Blick auf den menschlichen Körper verändert.
Marius Babias, Sabine Folie (Hrsg): VALIE EXPORT – Der virtuelle Körper. Drehbuch eines nicht realisierten Films, Verlag Walther König, 248 Seiten, 20,40 Euro.