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"Ich empfinde das als Wahnsinn"

Von Nora Bruckmüller, 17. Jänner 2020, 00:04 Uhr
"Ich empfinde das als Wahnsinn"
Bild: Markus Walch

Als seine Bühnenfigur "Ermi-Oma" debütierte, war Markus Hirtler 35 Jahre. Seit acht Monaten ist der Kabarettist (50) nun selbst Opa. Sein 15-Jahr-Jubiläum als "Oma" feiert er mit Auftritten. Denn gegen die Tabus des Alters muss der Steirer noch immer anspielen.

Als "Ermi-Oma" will Markus Hirtler jenen eine Stimme geben, die man gerne überhört, "weil sie nicht mehr als jung, sexy und dynamisch gelten". Sein Einsatz für die Wertschätzung des Alters begann mit einem Auftritt als Rotkäppchens Großmutter.

OÖNachrichten: Sie spielen seit 15 Jahren die Ermi-Oma. Haben Sie je gedacht, das so lange zu tun?

Markus Hirtler: Nein, nie. Kabarett war nie in meiner Lebensplanung vorgesehen. Ich komme direkt aus dem Berufsfeld Krankenpflege, Pflegedienst- bzw. Heimleiter und Sozialmanagement. Als es mit der Ermi-Oma losging, habe ich zu meinem Team gesagt: Ich mache das nur so lange, wie es für mich stimmt. Sobald ich spüre, dass sich das Zeitfenster für mein Thema schließt, absolviere ich nur mehr die geplanten Auftritte aus Loyalität gegenüber den Veranstaltern. Und ich hätte mir damals nie gedacht, dass Alter und Altern so lange Thema bleiben. Nie! Ich dachte, dass nach drei, vier, fünf Jahren alles dazu gesagt sein wird.

Was hat Sie auf die Bühne gebracht? Weniger der Spieldrang als die Botschaft?

Angetrieben hat mich die Not, das thematisieren zu wollen, was ich aus meiner Arbeit kenne. Ich wollte es unter die Leute bringen. Motiviert haben mich meine Erlebnisse in der Pflege, das Erleben, wie negativ wir in der Gesellschaft mit dem Altern umgehen. ‚Ich muss das jetzt alles einfach sagen und herauslassen‘ – das war mein Wunsch.

Haben Sie Ihre Gedanken dann gleich für ein etwaiges Programm aufgeschrieben?

Nein, ich habe immer nur für mich geschrieben, mein ganzes Leben lang bereits. Bis ich einmal mehr oder weniger ‚genötigt’ worden bin, die Oma vom Rotkäppchen zu spielen.

Wie ist das passiert?

(lacht) Ich habe für das Unternehmen Baxter in einem Blutplasmazentrum gearbeitet. Meine Chefin hatte sich vorgestellt, für unsere Kunden in Pasching Märchenfiguren zu spielen. Sie hat eine Liste aufgehängt, um sich dafür einzutragen. Ehrlich habe ich mir gedacht: ‚Lass diesen Kelch an dir vorüberziehen.‘ Diese organisierte Lustigkeit ist echt nicht mein Ding.

Und Sie haben sich ruhig verhalten?

Ja. Dann ist sie zu mir gekommen und hat gesagt: ‚Markus, Sie stehen ja gar nicht auf der Liste. Ich brauche aber noch die Großmutter vom Rotkäppchen, machen Sie das bitte.‘ Und weil ich doch keine Spaßbremse bin, habe ich ja gesagt. Dann habe ich mich genauso angezogen, wie ich bis heute als Ermi-Oma auf der Bühne stehe, und dann hat der Blitz eingeschlagen.

Inwiefern?

Ich habe gespürt: Das ist die Figur, mit der ich das auf die Bühne bringen kann, was mich seit 20 Jahren beschäftigt, berührt und belastet. Dann war ich das erste Mal in meinem Leben im Kabarett – in meinem eigenen. Und ich habe bis heute keine Ahnung, was ich genau tue. (lacht)

Wann haben Sie begonnen, spürbar an der gesellschaftlichen Haltung gegenüber dem Alter zu zweifeln?

Schon als sehr junger Pfleger habe ich eines nie verstanden: Solange du jung, dynamisch, attraktiv und sexuell aktiv bist, wird dir zugehört. Danach bist du nicht mehr interessant. Warum? Ich habe sehr alte Menschen mit extrem hoher emotionaler und sozialer Kompetenz getroffen, die nicht mehr gehört werden. Es kann doch nicht sein, dass wir uns diese Kompetenzen nicht mehr in die Mitte unserer Gesellschaft holen.

Im Hinblick auf das Gehörtwerden, muss man vielleicht noch weiter denken. Migranten, Teenager, sehr oft auch Frauen fallen aus dem Raster der tonangebenden Vitalität.

Das Spannende bei mir ist ja gerade eines: Wenn wir uns vorstellen würden, ich würde als Pflege- und Heimleiter ganz normal auf der Bühne stehen, dann hätte das gar nicht die Fallhöhe, den Witz, den ich brauche.

Weil Ihnen ja von vornherein eine ernstzunehmende Expertise zugeschrieben wird.

Und denken wir weiter: Wenn ich mich als junge Frau verkleiden würde, dann wäre vermutlich ‚dreifacher Familienvater in Transvestitenrolle‘ eine Schlagzeile. Die Oma, der alte Mensch, ist ja von vornherein entsexualisiert. Das empfinde ich als vollen Wahnsinn, einen Holla!

Weil nicht Wahrheit, sondern Verdrängung diese Vorstellung entstehen lässt?

Ich habe hochbetagte Menschen erlebt, die sich verliebt haben. Bei denen fahren die Hormone, Dopamin und Oxytocin, voll ein – wie bei 16-Jährigen. Wir glauben hier, dass der Jugend alles zusteht und dem Alter nichts.

So etwas sollten Sie noch viel öfter öffentlich erzählen. Das würde den Druck durch den Glaubenssatz reduzieren, dass nur ein straffer, faltenfreier Körper noch Liebe garantiert.

Mit 85 wird die Haut bestimmt nicht mehr so sein wie mit 20. Aber vielleicht ist das dann gar nicht mehr wichtig? Vielleicht sind es doch mehr Vertrautheit, Zweisamkeit, Herzensgemeinschaft. Und da kommt Sexualität aber sehr wohl noch ins Spiel. Aus meiner Beobachtung gesprochen: Die geschwinde Lust wünscht man sich vielleicht einmal in einer launischen Nacht. Aber wenn man mit dem Gegenüber dauerhaft ein Zusammensein eingehen will, wünscht man sich Ebenbürtigkeit, so sein zu dürfen, wie man ist, angenommen zu sein. Was gar nichts mit jung, dynamisch, erfolgreich zu tun hat.

Das strahlt auch Ihr Ermi-Oma-Outfit nicht wirklich aus.

(lacht) Meine Mama ist wie mein Vater 86, sie helfen mir bei den Requisiten. Und meine Mama, gelernte Schneiderin, sagt seit Jahren: ‚Hau des Klumpert endlich weg, kauf da was Neues!‘ Worauf ich dann im Scherz sage: ‚Mutti, das ist noch gar nicht abbezahlt.‘ Weil mir eines ganz wichtig ist: Die Requisiten sind nicht wichtig. Mir geht es um die Botschaft. Mit dem Kostüm gebe ich den Menschen dafür ein Bild, so können sie in eine gewisse Haltung eintauchen.

Ihr aktuelles Programm handelt von 24-Stunden-Pflege. Haben Sie das selbst gemacht?

Nein. Ich habe überlegt, ob ich mich in eine rumänische Agentur einschleuse, aber ich habe sehr schnell gespürt, dass man das nicht tut. Man spielt nicht mit Menschen. Ich habe recherchiert und mit Betroffenen aller Ebenen gesprochen. Dabei habe ich gemerkt: Dieses Thema ist so unglaublich ungerecht wie es differenziert ist. Einerseits habe ich Pflegesituationen erlebt, die wie ein Lottosechser für Familien waren, andererseits Grauslichkeiten, Gewalt, Pflegerinnen, behandelt wie Sklavinnen, denen als Essen nicht mehr zugestanden wird als ein halbes Würschtel und ein Erdapfel – und alles dazwischen. Aber wir lieben es halt, uns Sklaven zu halten.

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Autorin
Nora Bruckmüller
Redakteurin Kultur
Nora Bruckmüller
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