Kunst-Betrachtungen eines Blinden
Johann König berichtet in seinem Buch über sein Berliner Leben als "Blinder Galerist".
Bei so einem Buchtitel ist das Leser-Interesse gleich angefüttert. Wie katapultiert sich ein blinder Mensch an die Spitze der maßgeblichen Galeristen Deutschlands für Gegenwartskunst? Als er elf Jahre alt war, spielte Johann König mit der Munition einer Startschusspistole. Er füllte die Kügelchen in einen Behälter mit Anglerblei – nach wenigen Sekunden explodierte das teuflische Schwarzpulvergemisch. Seine Hand war zerfetzt und sein Gesicht blutete, als hätte ihn eine Ladung Schrotkugeln getroffen. Drei Mal wurde er operiert, jeder Eingriff dauerte länger als 15 Stunden, die Ärzte implantierten mehrere Spenderhornhäute, gut ein Jahr verbrachte König im Krankenhaus. Das Wenige, das König heute, mit 37 Jahren, sehen und erkennen kann, wird gleich zu Beginn mit der Schilderung seiner Orientierungsschwierigkeiten bei der Flugreise zur Kunstmesse Art Basel Miami Beach plausibel. Autor Daniel Schreiber hat Königs Lebenserinnerungen in Form gebracht.
Seit 2015 betreibt König in der ehemaligen St.-Agnes-Kirche in Berlin-Kreuzberg die "KÖNIG GALERIE". Gut zwei Jahre lang hatte er den gepachteten Betonbau aus den 60er-Jahren umgestalten lassen. Wer jemals dort gewesen ist, der versteht die Vergleiche mit der Londoner Tate-Turbinenhalle.
Im Haifischbecken des Kunsthandels lernte König trotz seiner Behinderung schwimmen. Ob seines Handicaps hat er sich auf Konzeptkunst konzentriert – also auf jene oft spielerische Form, die auch mit dem Verstand betrachtet wird, nicht nur mit den Augen.
Trauzeuge Gerhard Richter
Privatfotos und Anekdoten illustrieren den Weg auch über manchen Misserfolg zu seinem gegenwärtigen Status als Schrittmacher der deutschen Kunst-Society. Wäre er nicht schon als Dreikäsehoch von Kunstgrößen wie etwa Gerhard Richter – dem Trauzeugen seiner Eltern – oder On Kawara und vielen anderen umgeben gewesen, seine Intuition, mit der er heute Kunst aufspürt und in ökonomischen Wert verwandelt, hätte nicht diese Schärfe. Johann König ist der Sohn des berühmten Ausstellungsmachers Kasper König, sein Onkel ist der Kunstbuchhändler Walther König, sein Halbbruder der New Yorker Galerist Leo König. Und bei den Königs daheim stand der Fernseher eben auf einer Brillo-Box von Andy Warhol.
Ohne Fleiß wären auch diese Voraussetzungen für die Katz’. König zeigt viel von sich, allerdings nichts über die Falltüren des Marktes, die Gier, die Neureichen-Willkür. Es eröffnet sich die sinnliche Kunst-und-Kohle-Welt, in der sich Qualität zwar durchsetzen mag, aber ohne ein Ego wie jenes von Johann König unentdeckt bleiben könnte.
Johann König, Daniel Schreiber: "Blinder Galerist", Propyläen, 165 Seiten, 24,70 Euro.