Britisches Kabinett billigte Brexit-Deal
LONDON. Die Vereinbarung Großbritanniens mit der EU über den Austritt aus der Union nahm zwar die erste Hürde. Der britische Minister Dominic Raab kann die Passagen im Brexit-Vertragsentwurf zum künftigen Status von Nordirland aber nicht mittragen. Auch die britische Arbeitsministerin Esther McVey ist zurückgetreten.
Der Deal, den Premierministerin Theresa May dem Kabinett vorgelegt habe, entspreche nicht dem Brexit-Votum der britischen Bürger, begründete McVey ihren Rücktritt in einem Schreiben an May.
Raab gab in seinem auf dem Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlichten Schreiben zwei Gründe für seine Entscheidung an: Zum einem könne er vor allem die Passagen im Entwurf zum künftigen Status Nordirlands nicht mittragen. Das vorgeschlagene "Regulierungssystem" stelle für ihn eine "sehr reale Bedrohung für die Integrität des Vereinigten Königreichs" dar. Der größter Streitpunkt zwischen Brüssel und London war die Frage der irischen Grenze.
Zum anderen stößt der sogenannte Backstop bei Raab auf Widerstand. Die von der EU verlangte Notfallklausel sieht vor, dass Nordirland in der Zollunion mit der EU und regulatorisch teilweise im EU-Binnenmarkt verankert bleibt, nicht aber ganz Großbritannien.
Today, I have resigned as Brexit Secretary. I cannot in good conscience support the terms proposed for our deal with the EU. Here is my letter to the PM explaining my reasons, and my enduring respect for her. pic.twitter.com/tf5CUZnnUz
— Dominic Raab (@DominicRaab) 15. November 2018
Nicht immer machte Raab als Brexit-Minister eine glückliche Figur: So handelte er sich mit einer Äußerung zum Handel zwischen Großbritannien und dem Kontinent heftigen Spott ein. Ihm sei das volle Ausmaß der Bedeutung des Ärmelkanals für den Handel nicht klar gewesen, hatte Raab bei einer Konferenz in London gesagt. Die Strecke Dover-Calais ist die wichtigste Verbindung zwischen Großbritannien und dem Festland.
Erste Hürde genommen
Das britische Kabinett hat den Vertragsentwurf über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union in einer Sondersitzung am Mittwoch angenommen. Damit ist der Weg frei für einen außerplanmäßigen EU-Gipfel Ende November, in dem der Brexit-Deal von den anderen Mitgliedsstaaten offiziell abgesegnet werden kann. Fast zweieinhalb Jahre nachdem die Entscheidung für den Brexit im Referendum fiel, und fünfeinhalb Monate bevor der Austritt Ende März 2019 endgültig wird, hat Großbritannien einen ersten Durchbruch erreicht: Man hat jetzt die Chance, den Brexit in geregelten Bahnen zu vollziehen.
Nachdem am Dienstagnachmittag Oliver Robbins, der britische Unterhändler in Brüssel, und Sabine Weyand, seine EU-Verhandlungspartnerin, signalisierten, dass man einen stabilen Vertragstext vereinbart habe, begann in der Downing Street, dem Amtssitz von Premierministerin Theresa May, die Aktion, die Mitglieder des Kabinetts zu überzeugen. Im Laufe des Abends nahm sich May einen Kollegen nach dem anderen zur Brust und versuchte zu verhindern, dass Kabinettsminister aus Protest gegen den Deal zurücktreten.
Video: Politikwissenschafterin Melanie Sully über den Brexit-Deal
Irland weiterhin ein Streitthema
Denn der Austrittsvertrag ist alles andere als unumstritten innerhalb der Regierungsfraktion. Der größte Streit dreht sich um die Frage, wie das Problem der irischen Grenze gelöst werden kann. Die EU besteht darauf, dass es zu keiner harten Grenze zwischen Nordirland und der Irischen Republik kommen darf, und hatte ursprünglich als sogenannten Backstop vorgeschlagen, dass Nordirland innerhalb der Zollunion und Teilen des Binnenmarktes verbleibt.
Jetzt hat sich die EU darauf eingelassen, dass, solange keine anderweitige Lösung gefunden wird, nicht allein Nordirland in der Zollunion verbleibt, sondern das gesamte Vereinigte Königreich, womit ein Backstop nicht nötig wäre.
Den Brexit-Hardlinern gefällt vieles an dieser Lösung nicht. Bei einem Verbleib in der Zollunion müsste sich das Königreich weiter an EU-Spielregeln halten, die Arbeiterrechte, Umweltschutzmaßnahmen oder die Begrenzung von staatlichen Hilfen für Unternehmen betreffen. Außerdem könnten britische Gewässer weiterhin für europäische Fischerboote offenstehen. Und nicht nur Brexit-Ultras, sondern auch gemäßigte Konservative befürchten, dass ein Verbleib in der Zollunion weder zeitlich befristet ist, noch von Großbritannien gekündigt werden kann. Das würde bedeuten, dass man dauerhaft an die EU gebunden wäre und keine unabhängige Handelspolitik betreiben könnte.
Besonders laut gegen den Brexit-Deal protestierten die zehn Abgeordneten der DUP, jener nordirischen Unionisten-Partei, die Mays Minderheitsregierung in einem Duldungspakt stützt. Auch die "European Research Group" (ERG), ein Verbund von Hardlinern innerhalb der Regierungsfraktion, machte klar, man werde gegen den Austrittsvertrag stimmen. Damit schwinden die Chancen, dass der Deal vom Parlament angenommen wird.
Labour wirft May "chaotische Schlamperei" vor
Die oppositionelle Labour Party will bei einem Scheitern des Brexit-Deals von Premierministerin Theresa May einen eigenen Plan für den EU-Austritt Großbritanniens vorlegen. „Technisch kann der Brexit nicht verhindert werden“, sagte ein Sprecher von Labour-Chef Jeremy Corbyn gestern auf die Frage, was bei einer Ablehnung von Mays Deal im Unterhaus passieren werde.
Labour werde in diesem Fall „einen anderen, alternativen Brexit-Plan“ präsentieren, sagte der Sprecher. Zugleich bekräftigte er die umstrittene Aussage Corbyns, wonach Labour den EU-Austritt nicht stoppen könne. „Das ist weder unsere Politik noch unsere Priorität, und wir haben auch nicht die Mittel, um das zu tun“, sagte er.
In einer hitzigen, sehr emotional geführten Unterhausdebatte hat Corbyn May gestern ungewohnt scharf kritisiert: „Nach zwei Jahren verpfuschter Verhandlungen mit der EU legt die britische Regierung nun ein Abkommen vor, das einem Scheitern gleichkommt“, schimpfte Corbyn.
„Das ist nicht hinnehmbar“
Seine Partei respektiere das Ergebnis des Brexit-Referendums. Doch sie respektiere nicht diese „chaotische Schlamperei“. Das Parlament solle entscheiden zwischen den Optionen „kein Abkommen“ und „Mays Abkommen“. Das sei nicht hinnehmbar, so Corbyn.
Unterhändler der britischen Regierung und der EU hatten sich am Dienstag auf den Entwurf für das Brexit-Abkommen geeinigt. Es steht aber in den Sternen, ob die konservative Regierungschefin das Abkommen durch das Parlament bringen kann, in dem ihre Torys keine eigene Mehrheit haben. Die nordirischen Unionisten, die das Kabinett stützen, haben bereits Ablehnung signalisiert.
Gestern wurde auch Widerstand von schottischen Tory-Abgeordneten bekannt, die sich gegen eine Aufgabe von Fischereirechten stemmen.
„Verheerend für Schottland“
Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon von der sezessionistischen „Scottish National Party“ bezeichnete den Vertragsentwurf als „verheerend“. „Das wäre die schlechteste aller möglichen Welten“, sagte sie der BBC.
Wegen des Deals müsste Schottland den EU-Binnenmarkt verlassen, „was für sich allein schon schlimm genug ist“, so Sturgeon. „Aber zugleich müssten wir um Investitionen und Jobs mit Nordirland konkurrieren, das faktisch weiterhin im Binnenmarkt bliebe.“
Video: Die britische Journalistin Anne McElvoy vom Magazin "The Economist" berichtet aus London
"Wir sind müde, das steht fest"
EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat sich nach der Brexit-Einigung erschöpft, aber nicht kraftlos gezeigt. "Ja, wir sind müde, das steht fest. Ich hoffe, dass ich das gut verdecken kann", sagte Barnier am Mittwochabend in Brüssel. Zugleich hätten er und sein Team aber noch ausreichend Energie und Entschlossenheit. Die EU und Großbritannien hatten sich nach monatelangen Verhandlungen auf ein vorläufiges Brexit-Abkommen geeinigt. Von Genugtuung wollte Barnier deshalb aber nicht sprechen. Er bedaure die Entscheidung Großbritanniens für den EU-Austritt, betonte er.
Zugleich hob Barnier die Geschlossenheit der verbleibenden 27 EU-Staaten während der Verhandlungen hervor. "Diese Geschlossenheit ist echt", sagte Barnier. Er hoffe, dass diese Einheit künftig als Basis dafür genutzt werden könne, in der EU auch gemeinsam an einer positiven Agenda zu arbeiten.
Ratspräsident Donald Tusk kündigte unterdessen einen EU-Sondergipfel am 24. November an. Mehr dazu lesen Sie hier:
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im Artikel :
Irland weiterhin ein Streitthema
gleich von Beginn sagte ich es auch , und es bestätigt sich .
diesen ganzen Brexit ist eine Verhöhnung für das Volk !
Wie erwartet kam es zum "Brexshit!". Die Zeit der Extrawürstel muss vorbei sein, hoffentlich kann die EU ihre dzt. Haltung bewahren.
Man kann sehr gut erkennen, wohin die über Jahrhunderte gepflegte Arroganz und Präpotenz der Engländer (nicht der Briten im Allgemeinen) nun führt.
Herr Dominic Raab hat diese Woche die Schlagzeilen der Zeitungen gefüllt.
"Er wusste - nach eigenen Worten - nicht das Frankreich so nah an England liegt und das Lebensmittel und andere Waren mit dem LKW nach England befördert werden."
Sowas ist dann Unterhändler für den Brexit in Brüssel!
Unbedingt zu empfehlen ist dieser Mann, der jeden Tag die wichtigsten Sachen zusammen fasst …. auf seine eigene Art. Kult!
https://www.facebook.com/mark.mcgowan.969/videos/2108834019178740/UzpfSTEwMDAxMDQ3OTY3MjA5Mjo3MTkwNzQ0MDUxMTg1NDI/?id=100010479672092
Satz mit iX
Wird wohl nix 😁😁😁
Der Schaden insbesondere für Britain ist jetzt schon hoch. Offenbar wird nun aber neben dem Brexit auch "kein Brexit" ins Spiel gebracht. So oder so, die soganannten Befürworter haben das Volk verarscht, sind zum Teil selber abgetreten und haben der Wirtschaft einen echten Bärendienst erwiesen. Britannien wird erst drauf kommen wie klein es wirklich ist, wenn es nicht mehr Teil der EU ist.
Natürlich wurde von den Brexiteers in der Kampagne vor dem Referendum gelogen, dass sich die Balken bogen. Nachdem die Briten noch weniger Wissen über die Mechanismen & Abläufe in der EU wissen als unsere Landsleute, konnten diese Schmonzetten auch durchgehen. Aber: Zumindest Teile der Brexiteers (wie Nigel Farage) glaubten, die EU würde alles akzeptieren, was GB bei einem Austritt fordert.
Natürlich meinten einige die EU würde beim austritt alles absegnen. Hätten ja vorher auch immer eine Sonderbehandlung, ala Englandrabatt
Vertschüsst euch bitte und lasst die EU wieder arbeiten. Die Populisten schreien "Raus aus der EU" und verschwinden. Der nächste, Minister Dominic Raab verläßt das sinkende Schiff GB.
Es ist doch immer dasselbe mit den Populisten. Laut etwas hinausposaunen, was den Einfachdenkern in den Kram passt, aber nicht nachdenken, wie das zu lösen ist.