Libanon: Explosionskatastrophe in einem Treibstofflager
BEIRUT. Streitkräfte hatten zuvor den Befehl erteilt, die Vorräte an die lokale Bevölkerung zu verteilen.
Eine gut gemeinte Intervention der Armee im Norden des Libanon endete gestern in einem Desaster: Um profitsüchtigen Treibstoffimporteuren und Schmugglern das Handwerk zu legen, hatten die Streitkräfte ein Lager mit 60.000 Litern Benzin beschlagnahmt und den Befehl erteilt, die Vorräte an die lokale Bevölkerung zu verteilen. Als sich die mit Kanistern ausgerüsteten Einwohner in dem Depot bedienen wollten, kam es zu einem Handgemenge.
Nach Augenzeugenberichten sei dabei ein Feuerzeug auf den Boden geworfen worden, was Sekunden später zur Explosion des Treibstofflagers führte. Mindestens 30 Menschen kamen ums Leben, Dutzende werden noch vermisst. Mehr als 100 Verletzte konnten zunächst nicht in die Krankenhäuser gebracht werden, weil die Ambulanzfahrzeuge kein Benzin hatten.
Nach Sonnenaufgang stürmten aufgebrachte Einwohner die Villa des mutmaßlichen Besitzers des Treibstoffdepots und setzten sie in Brand. Ihm wird vorgeworfen, das Benzin ins nahe Syrien zu schmuggeln, wo Kraftstoff mit noch höheren Profiten als im Libanon verkauft werden kann.
Der Libanon leidet seit der gewaltigen Explosion im Beiruter Hafen am 4. August 2020 unter einer schweren Versorgungskrise. Vergangene Woche verschärfte sich die Lage weiter, nachdem die Zentralbank angekündigt hatte, keine Devisen für Treibstoffsubventionen zur Verfügung zu stellen. In Erwartung höherer Preise schlossen daraufhin viele Tankstellen.
Um gegen das Horten von Treibstoff vorzugehen, hatte die libanesische Armee bereits am Freitag damit begonnen, Tankstellen des Landes zu besetzen und die eingelagerten Vorräte teilweise kostenlos an die Autofahrer zu verteilen. Diese feierten die Armeesoldaten als Helden. Die schwere Versorgungskrise wird die Staatsarmee mit ihren Robin-Hood-Aktionen aber nicht in den Griff bekommen.
Aufgrund des akuten Treibstoffmangels haben mehr als 80 Prozent der Libanesen nur noch zwei Stunden Strom am Tag. Generatorenstrom ist für sie nicht nur unbezahlbar. Viele Dieselaggregate mussten bereits abgestellt werden, weil die Verteiler des Kraftstoffs ihre Vorräte zurückhalten, um in naher Zukunft von höheren Preisen profitieren zu können. (wrase)