Missbrauch-Gutachten belastet Hamburger Erzbischof und 201 weitere Personen
KÖLN. Untersuchung von Anwaltskanzlei entlastet Kardinal Woelki und belastet unter anderen Hamburger Erzbischof Heße. Von Erzdiözese beauftragtes Gutachten ist erstes mit ungeschwärzten Namen von Verantwortlichen. Woelki entbindet Weihbischof von Aufgaben.
Nach monatelanger Debatte ist am Donnerstag ein 800 Seiten starkes Gutachten über den Umgang mit Missbrauchsfällen in der deutschen Erzdiözese Köln vorgestellt worden. Es handle sich um das erste Gutachten dieser Art, in dem ungeschwärzt auch die Namen von Verantwortlichen genannt würden, sagte der Strafrechtler Björn Gercke bei einer Pressekonferenz. Unmittelbar nach der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens entband Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki zunächst den Kölner Weihbischof und früheren Generalvikar Dominikus Schwaderlapp (53) und den Leiter des Kölner Kirchengerichts, Günter Assenmacher (69), von ihren Aufgaben.
Kardinal Woelki (64) selbst treffen laut der juristischen Untersuchung keine Vorwürfe. In keinem einzigen Fall attestieren die Gutachter den Verantwortlichen zudem Strafvereitelung im strafrechtlichen Sinn.
Laut den vorgestellten Ergebnissen belastet die Untersuchung neben Schwaderlapp und Assenmacher aber insbesondere auch den heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße (54) sowie den früheren Kölner Generalvikar Norbert Feldhoff (81). Ihnen sowie den bereits verstorbenen Erzbischöfen Joseph Höffner (1906-1987) und Joachim Meisner (1933-2017) attestiert die Anwaltskanzlei Gercke & Wollschläger in ihrem Gutachten jeweils zahlreiche Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen - gemessen am staatlichen und kirchlichen Recht sowie am kirchlichen Selbstverständnis.
Insgesamt hat Gercke - laut Aktenlage - 75 Pflichtverletzungen von acht lebenden und verstorbenen Verantwortlichen von 1975 bis 2018 ausgemacht. Acht Pflichtverletzungen von Erzbischof Höffner habe es gegeben, 24 von Erzbischof Meisner - ein Drittel aller Pflichtverletzungen. 13 Pflichtverletzungen seien bei dem ehemaligen Generalvikar Feldhoff festgestellt worden und acht bei Weihbischof Schwaderlapp. Schwer beschuldigt wurde auch der heutige Hamburger Erzbischof Heße, der ab 2006 Personalchef und später bis 2015 auch Generalvikar in Köln: Er habe elf Pflichtverletzungen begangen.
Schutz der Institution Kirche im Vordergrund
Strafrechtler Gercke und die Co-Autorin der Studie, die Rechtsanwältin Kerstin Stirner, bescheinigten den Verantwortlichen eine große Rechtsunkenntnis und eine desaströse Aktenlage. Wenn Vorschriften geheim seien, sei Rechtsunkenntnis die logische Folge. Der Schutz der Institution Kirche habe im Vordergrund gestanden. Bei Verfehlungen von Laien habe es dagegen kein Fehlverhalten gegeben; es habe rasche Kündigungen gegeben.
Das Handeln der Verantwortlichen in der Erzdiözese sei über viele Jahre "von Chaos, subjektiv empfundener Unzuständigkeit und Missverständnissen" geprägt gewesen, sagte Stirner. Geändert habe sich dies erst mit Einrichtung einer Interventionsstelle im Jahr 2015.
Keine lückenlose Rekonstruktion möglich
Sein Team habe die Geschehnisse der Vergangenheit nicht lückenlos rekonstruieren können, sagte Gercke. "Wir haben erhebliche Mängel im Hinblick auf die Organisation des Aktenbestands sowie der Aktenführung im Erzbistum festgestellt." Zudem habe sein Team den Eindruck gewonnen, dass einige Aktenbestandteile fehlten. Vor allem einige ältere Akten seien handschriftlich geführt und zum Teil unleserlich. Im Laufe der Begutachtung seien auch mehrfach Unterlagen nachgereicht worden.
Der Strafrechtler erklärte, dass der frühere Kölner Erzbischof Kardinal Meisner zusätzlich zu den Beständen der Erzdiözese einen eigenen Ordner mit Akten über "Brüder im Nebel" geführt habe, "in dem er geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufbewahrt" habe. Mindestens zweimal habe es Aktenvernichtungen gegeben, wie sie das kirchliche Recht jedoch vorschreibe. Die Gutachter hätten in diesen Fällen weitere Nachfragen bei verschiedenen Stellen der Erzdiözese unternommen.
202 Beschuldigte in den Akten
Das Team der Kanzlei Gercke & Wollschläger wertete 254 Verdachtsfälle zwischen 1975 und 2018 aus. Sie zählten 314 Betroffene von sexuellen Übergriffen durch 202 beschuldigte Kleriker und andere Kirchenvertreter, wobei die Geistlichen mit 127 die größte Gruppe bildeten. Die Zahl der Opfer beläuft sich auf 314, darunter 178 männliche und 119 weibliche. Das Geschlecht der restlichen Opfer habe nicht zugeordnet werden können. Bis auf einen Betroffenen waren alle unter 18 Jahre alt.
In den meisten der 254 Fälle, nämlich in 117, wurde der Verdacht laut Aktenlage nicht aufgeklärt, wie es hieß. In 45 habe sich der Verdacht bestätigt, in 15 ließ er sich entkräften, hieß es. In 68 Fällen war der Beschuldigte bereits verstorben. Gercke betonte bei der Präsentation, dass Auftrag des Gutachtens die Untersuchung des Umgangs mit Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt in der Erzdiözese gewesen sei, nicht aber eine Aufklärung von Missbrauchsvorwürfen an sich.
Staatsanwaltschaft übergeben
Schon vor der Präsentation berichtete der Strafrechtler Gercke am Montagabend im WDR, dass er das Rechtsgutachten der Kölner Staatsanwaltschaft bereits habe. Außerdem habe es schon während der Untersuchungsphase in den vergangenen Monaten einen stetigen Austausch mit der Strafverfolgungsbehörde gegeben. Die Staatsanwaltschaft habe schon vor einiger Zeit einen Zwischenbericht bekommen. Auch das bisher unveröffentlichte Gutachten der Münchener Strafrechtskanzlei, der das Erzbistum wegen angeblich methodischer Fehler das Mandat entzogen hatte, liege der Kölner Staatsanwaltschaft vor.
Zweites Gutachten
Das Gercke-Gutachten hatte Kardinal Woelki erst im Oktober vergangenen Jahres in Auftrag gegeben. Es handelt sich um die zweite Ausarbeitung für die Erzdiözese Köln - ein erstes Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wurde zunächst nicht wie vorgesehen veröffentlicht. Woelki berief sich dabei auf andere Juristen, nach deren Einschätzung das Papier methodische Mängel hat. Befürchtet wurde zudem, dass Persönlichkeitsrechte der Genannten verletzt werden könnten. Kritiker warfen ihm deshalb mangelnden Aufklärungswillen vor.
Kardinal Woelki und sein Generalvikar Markus Hofmann nahmen als Gäste an der Präsentation teil. Laut Erzdiözese kannten sie den Inhalt des Gutachtens bislang nicht. Woelki will sich am 23. März zu den Konsequenzen äußern.
Das komplette Gutachten soll gegen 13 Uhr auf der Internetseite der Erzdiözese Köln veröffentlicht werden, nachdem zunächst der Betroffenenbeirat Einsicht erhalten hat. Ab dem 25. März sollen Betroffene, Journalisten und weitere Interessierte Möglichkeit zur Lektüre des WSW-Gutachtens bekommen.
Pfui Teife
In Frankreich hat man das Kindermissbrauchsproblem durch Geistliche anders gelöst.
Aussage eines Bischofs: "Die Wunde wird mit Gottes Hilfe heilen, wir dürfen nur nicht kratzen!“
Es haben die Verstorbenen schuld. Sie sind hoffentlich an einen warmen Ort.