Wie China per Internet die Diktatur stärkt
Das Internet kann Diktaturen stürzen – aber auch stärken. Interne Propagandapläne der Kommunistischen Partei Chinas zeigen, wie sie mit einer Armada von Netzagenten die öffentliche Meinung manipuliert.
Ende Februar twitterte der Künstler Ai Weiwei eine Einladung zum Verrat: „Sagt mir eure Meinung: Ich möchte Internetkommentatoren, sogenannte ‚Wumao‘, interviewen. Das Gespräch dauert 10 bis 20 Minuten, und ich zahle 2000 Yuan.“
2000 Yuan sind rund 210 Euro – Ai wusste, dass Staatsgeheimnisse ihren Preis haben. „Wumao“ heißt so viel wie „fünf Groschen“ und ist der Spitzname der Inoffiziellen Mitarbeiter des Propagandaapparats, deren Aufgabe es ist, gegen Bezahlung im Internet linienkonforme Beiträge zu verfassen, abweichende Meinungen zu löschen und Regimekritiker an die Polizei zu verpfeifen. Offizielle Angaben über die Cyberspitzel gibt es nicht, doch Ai wollte ihre Arbeitsweise offenlegen. Dutzende, wenn nötig Hunderte Interviews sollten den Beweis erbringen, dass Volkes Stimme im chinesischen Internet vor allem die Stimme der Kommunistischen Partei ist. Die Recherche, eine von Ai Weiweis vielen Angriffen auf die Autorität der Partei, dürfte einer der Gründe sein, weswegen er am 3. April verhaftet wurde.
Die Meinung machen
Nun geben interne Parteidokumente Antworten auf Ais Fragen. Die Papiere, welche die OÖN einsehen konnten, gewähren erstmals einen direkten Einblick, wie die Partei ihr riesiges Netzwerk von Online-IMs kommandiert, die im Internet den Eindruck erwecken sollen, die Bevölkerung stehe geschlossen hinter ihrer Führung. „Anweisungen für den Aufbau eines Systems für Internetkommentare“, lautet der Titel einer entsprechenden Direktive des Parteikomitees. „Für die Stabilität der Führung durch die Partei ist es notwendig, bei der Bildung der öffentlichen Meinung im Internet die Initiative zu haben“, heißt es. Deshalb brauche die Regierung ein System von Kommentatoren, „um die Meinungsführerschaft zu organisieren“. Von Kreisebene aufwärts sollen alle Regierungen eigene Teams aufbauen. Demnach müssten landesweit über 4000 Gruppen mit wahrscheinlich Hunderttausenden Mitarbeitern aktiv sein.
Das auf den 3. März 2011 datierte und als „geheim“ („mimi“) eingestufte Papier wurde 1450 Spitzenkadern zugestellt und bezieht sich auf zwei frühere Anweisungen des Zentralkomitees der Partei und des Staatsrates, des chinesischen Kabinetts. „Es gab schon viele Anzeichen dafür, dass Chinas Regierung ein solches Propagandainstrument nutzt, aber es gab keine Beweise“, sagt der Hongkonger Verleger Bao Pu, der auf die Veröffentlichung von Parteiinterna spezialisiert ist.
Angst vor einer Revolte
Seit langem sieht Peking das Internet und seine schwer zu kontrollierenden Nachrichtenströme als Bedrohung – eine Angst, die zuletzt durch die Revolten im Nahen Osten noch bestärkt wurde. In China sind Facebook und Twitter zwar gesperrt und nur mit spezieller Software zum Umgehen der sogenannten „Great Firewall“ zugänglich. Doch obwohl die Mikroblogs und sozialen Netzwerke chinesischer Portale zu strenger Selbstzensur verpflichtet sind, ist eine vollständige Kontrolle schwierig.
Immer wieder geraten sensible Informationen in Umlauf: Meldungen über Korruption, Bilder von Demonstrationen, Aufrufe zu Protesten, Diskussionen über Menschenrechtsverletzungen, Witze über die Propaganda oder Übersetzungen ausländischer Medienberichte. Staats- und Parteichef Hu Jintao hat deshalb wiederholt angemahnt, im Internetzeitalter brauche die Partei „Mechanismen zur Steuerung der öffentlichen Meinung“.
Im Detail instruiert die Parteispitze die lokalen Propagandaabteilungen, wie die Hoheit über Internetforen und Chatrooms erobert werden soll. „Die öffentliche Meinung muss 24 Stunden am Tag in Echtzeit beobachtet werden“, heißt in der Direktive. „Heiß diskutierte Themen und sensible Probleme müssen so schnell wie möglich erkannt und behandelt werden.“ Bei Ereignissen, die das Potenzial haben, die soziale Stabilität zu beeinträchtigen, müssten umgehend „positive Informationen“ lanciert werden, mit denen die öffentliche Meinung „in die richtige Richtung“ gelenkt werde.
Als gefährliche Informationen definiert das Propagandaministerium „alle Inhalte, die aggressive Information über die Kommunistische Partei, die Parteiführung, das sozialistische System, unsere Gesetze oder Medien verbreiten oder ein anderes politisches System unterstützen“. Kritische Inhalte müssen gelöscht und an die Behörden gemeldet werden. Als IMs sollen Menschen angeworben werden, die möglichst auch in ihrem regulären Job viel Zeit im Internet verbringen. „Die Inhalte müssen in Internetsprache verfasst sein und den Lesegewohnheiten im Netz entsprechen“, lautet die Anforderung. Neben Kommentaren sollen in Abstimmung mit den Propagandabeamten auch Bilder, Videos oder Audiodateien erstellt und in Umlauf gebracht werden.
Ob die Wumao tatsächlich die angeblichen „fünf Groschen“ (5 Eurocent) für jeden Eintrag bekommen, geht nicht hervor. Allerdings weist die Partei die Lokalregierungen an, für ausreichende Finanzierung zu sorgen und in kritischen Fällen wie Massenprotesten „alle Ressourcen einzusetzen“. Auch außerhalb des Internets sollen die IMs als „Informanten und Überwacher “ dienen und in ihren Schulen, Universitäten, Unternehmen, Siedlungen oder Dörfern Personen mit abweichenden Meinungen ausfindig machen. „Die tägliche Überwachung muss verstärkt werden“, so die Order.
Der Inhalt der Direktiven lässt vermuten, dass das Regime wieder tiefer in das Leben der Menschen eindringen und auch gegen privat geäußerte Meinungen vorgehen will. Bisher konnten Chinesen privat weitgehend ungehindert Kritik üben.
Amnesty warnt
Wie erfolgreich die Partei darin sein wird, das Internet zu säubern, ist fraglich. „In China hat die sogenannte Great Firewall bei der Unterdrückung der freien Diskussion im Internet eine unselige Rolle gespielt”, heißt es im jüngsten Jahresbericht von Amnesty International. „Doch trotz aller ausgeklügelten Technologie – immer wieder wurden und werden die chinesischen Behörden von den Internet-Nutzern ausgetrickst.“ Allerdings warnt die Organisation vor Optimismus, dass das Internet zum Instrument der Demokratisierung werden könne: „Technologien dienen den Zwecken derjenigen, die sie in der Hand haben.“ So sieht man es auch in Peking. Um sich ihrer ultimativen Machtstütze gewiss sein zu können, hat die Regierung deshalb beschlossen, diese der effektivsten Abschottungsmaßnahme zu unterziehen: Über zwei Millionen chinesischen Soldaten und Zehntausenden Angehörigen der Militärpolizei ist die Benutzung des Internets vollständig verboten.
Die mächtige KP
Mit einer unmissverständlichen Absage an alle Forderungen nach einem Mehrparteiensystem haben Chinas Kommunisten vor kurzem den 90. Jahrestag ihrer Parteigründung begangen. Staats- und Parteichef Hu Jintao betonte vor Tausenden von Funktionären, China werde weiter „die sozialistische Demokratie unter der Führung der KP“ entwickeln. Es sei dringender denn je, dass die Partei ihre über 80 Millionen Mitglieder zur Disziplin auffordere.