Dracula und andere böse Geister
Die schaurig-schöne Törzburg in Transsilvanien ist nur zweieinhalb Autostunden von Bukarest entfernt.
Schon die Anreise zum sagenumwobenen Dracula-Schloss ist angsteinflößend. Der Bus-Chauffeur überholt Autos und die für Rumänien üblichen Pferdefuhrwerke links und rechts und grinst dabei auch noch teuflisch. So gelingt es ihm allerdings, seine leicht verschreckten Gäste pünktlich zum Einbruch der Dunkelheit in Bran abzusetzen.
Hier in Transsilvanien thront die Törzburg auf einem Hügel. Der einfallende Herbstnebel und die spärliche Beleuchtung des altehrwürdigen Gebäudes könnten nicht besser zueinander passen. Der Ort Bran, der inmitten der rumänischen Karpatenlandschaft liegt, ist zweieinhalb Autostunden von Bukarest entfernt und eine von Rumäniens touristischen Hauptattraktionen.
Eine halbe Million Menschen besuchen Bran und die prächtig dastehende Burg Jahr für Jahr. Immerhin gilt sie als Vorlage für die Burg von Graf Dracula im berühmten Roman von Bram Stoker, der 1897 erschienen ist.
In diesem Buch wird sie als "Burg am Rande eines grandiosen Abgrundes" beschrieben, der bei näherer Betrachtung gar nicht so beeindruckend ist. Im Eingangsbereich ist ein kitschiger Standl-Markt aufgebaut, auf dem man allerlei Souvenirs erwerben kann – vom selbst gestrickten Winterpullover über Knoblauchketten bis hin zum glitzernden Dracula-Schlüsselanhänger. In den zahlreichen Lokalen in der näheren Umgebung gibt’s viel gegrilltes Schafsfleisch und noch mehr Bier.
Zepter und Silberdolch
Wer keine Nacht-Führung gebucht hat, der schaut sich die Burg von 9 bis 16 Uhr bei Tageslicht an. Das Eintrittsticket kostet umgerechnet zehn Euro, was für rumänische Verhältnisse sündhaft teuer erscheint. Dafür bekommt man einiges Geschichtliches geboten. Eine monumentale Treppe führt zu dem Gebäude, das im 13. Jahrhundert als militärische Festung gebaut wurde und seine Besitzer häufig gewechselt hat. Seit 2006 gehört die Törzburg, wie sie auch genannt wird, wieder den Habsburgern, die ein feines Museum daraus gemacht haben – mit holzgeschnitzten Türrahmen, kunstvollen Kachelöfen, jeder Menge altem Mobiliar, funkelnden Kronen, Standuhren, einem Zepter und einem Silberdolch von König Ferdinand.
Der blutrünstige Graf
Im düsteren Eingangsbereich erblickt man auf den Gemälden jenen Mann, der die Touristen anlockt. Ob das Vorbild von Dracula, der walachische Fürst Vlad Draculea "Tepes", der von 1431 bis 1476 gelebt hat, dieses Schloss je betreten hat, ist allerdings umstritten – aber was soll’s. Die Atmosphäre hinter den dicken Mauern macht einem glauben, dass der blutrünstige Graf, den man aus dem Stoker-Roman kennt, jederzeit um die Ecke biegen könnte. Dem historisch-echten Vlad Dracula möchte man lieber nicht begegnen. Der ließ seine Gegner nämlich gerne auf Pfähle spießen und qualvoll sterben. Zwischen 40.000 und 100.000 Menschen sollen während seiner Herrschaft umgekommen sein.
Dunkle Stiegenaufgänge, enge Gänge, quietschende Türen und knarrende Holzböden machen die Besichtigung im Jahre 2018 zum schaurig-schönen Erlebnis, bei dem zum Abschluss ein uralter Dracula-Film in Schwarz-Weiß gezeigt wird. Und weil der Herbstwind beim Abstieg von der Burg kräftig bläst, gibt’s auch noch die versprochene Gänsehaut.
Sein Unwesen treibt Graf Dracula in Rumänien längst nicht nur in Bran und Umgebung, wo es etliche gleichnamige Hotels gibt. Selbst im Ausgeh-Viertel der Hauptstadt Bukarest trifft man immer wieder auf den wohl berühmtesten Blutsauger aller Zeiten. Die Kellner in den Lokalen sind bleich geschminkt und servieren nicht nur zu Halloween rote "Blut-Cocktails".
Sowjet-Charme inklusive
Aber auch die Geister der jüngeren Vergangenheit spuken in Bukarest fleißig herum. Die Stadt gleicht einer Patchworkdecke, in die französischer Stil mit kommunistischen Bauten und moderner Architektur verwoben wurde.
Die lange Zeit der Diktatur von Nicolae Ceausescu, der von 1965 bis 1989 ein brutales kommunistisches Regime führte, hat Spuren hinterlassen – nicht nur im Stadtbild. Wäre nicht unsere Stadtführerin Daniela, könnte man meinen, Rumänien sei das Land, in dem man das Lächeln verlernt hat. Ob Kellnerin oder Rezeptionist: Ernste Blicke, kurze Antworten – die Leichtigkeit des Seins ist nirgendwo spürbar. "Viele Menschen in Rumänien sind frustriert. Sie arbeiten viel und verdienen wenig. Das Leben hier ist hart", erzählt die frühere Anwältin, die die Branche gewechselt hat. "Im Tourismus hat man eindeutig mehr zu lachen", sagt die 35-Jährige.
Seit 2007 ist Rumänien Teil der Europäischen Union. Die Bevölkerung kämpft aber weiterhin mit Armut, Korruption, Arbeitslosigkeit. Seit 2017 kommt es immer wieder zu Protesten gegen politische Korruption. Die Revolution gilt bis heute als nicht vollständig aufgearbeitet.
Das prägendste Gebäude der Hauptstadt, in der rund 1,8 Millionen Menschen leben, ist der riesige Parlamentspalast. Das Haus, das noch in der Ceausescu-Ära gebaut wurde, gilt mit seinen 350.000 Quadratmetern flächenmäßig als das zweitgrößte Verwaltungsgebäude der Welt nach dem Pentagon. "Man kann es besichtigen. Es zahlt sich aber nicht aus", sagt Daniela und zeigt uns lieber verwunschen wirkende Parkanlagen inmitten der Stadt und die Gegenden rund um die Konzerthalle Athenäum. "Das sollten Sie sich unbedingt ansehen. Leider gibt es heute keine offiziellen Führungen. Aber wenn Sie beim kleinen Eingang links hinten fragen, dürfen Sie für 12 Leu jederzeit hinein", sagt sie und lacht. "So funktioniert Rumänien."
Abends lohnt es sich, die Oper zu besuchen. Gaetano Donizettis "L’elisir d’amore" steht auf dem Programm. Ein lustig-leichtes Stück mit viel italienischem Esprit. Nur ein kleiner Funken davon würde diesem Land so gut tun.