Hinter dem Eisernen Vorhang
Wie war das damals, als man Böhmen nur vom Hinüberschauen kannte, als die Angst vor atomarer Zerstörung Europa fest im Griff hatte und sich doch hinter dem Eisernen Vorhang so manches Kleinod erhalten hat? Eine Zeitreise von Thomas Fellhofer.
Ahoj! Mit diesem freundschaftlichen Hallo wurde der Gast aus dem Westen zwischen 1948 und 1989 in Böhmen wohl nicht oft begrüßt – zumindest nicht an der Grenze. Hatte man nach einem behördlichen Spießrutenlauf ein Visum und genügend Geld gewechselt, war man immer noch der Klassenfeind. Deshalb begnügten sich viele mit dem Hinüberschauen. Vom Moldaublick in Ulrichsberg etwa konnte man hinter den Eisernen Vorhang blicken. Heute sind die Böhmen längst gastfreundliche und umtriebige Touristiker. In einer Zeitreise von 1948 bis 1989 lässt sich als Gast erleben, oder zumindest erahnen, wie das war, zu einer Zeit, als man eben nur hinüberschauen konnte.
1945-1948: Die Tschechoslowakei erholt sich von den Folgen des Zweiten Weltkrieges, die Kommunisten gelangen schrittweise an die Macht. Präsident Beneš stimmt unter Druck dem Vorschlag von Klement Gottwald für eine neue Regierung zu, einer rein kommunistischen.
Die erste Station der Zeitreise ist die Villa, die sich Edvard Beneš gemeinsam mit seiner Frau Hana nach dem Vorbild von südfranzösischen Landhäusern in Tábor erbauen ließ. "Ostalgiker" können hier erleben, wie "luxuriös" sich die damalige Staatsspitze eingerichtet hatte. Unweit davon entfernt residierte auch Zdenek Fierlinger, einst ein Freund von Beneš. Doch schnell war der einstige Sozialdemokrat überzeugter Kommunist. Darunter litt auch die Freundschaft der beiden Staatsmänner und Nachbarn. Nach Anmeldung im Nationalmuseum können die Villen heute besichtigt werden.
Fehlen darf natürlich auch ein Spaziergang durch Tábor nicht. In der Zeit des Totalitär-Regimes war diese historische Stadt, die weiland schon von den Hussiten niedergebrannt worden war, Kommando-Stützpunkt des westlichen Wehrkreises. Zentrum der militärischen Macht war das "östliche Pentagon".
1948-1955: Es kommt zu radikalen Säuberungswellen im Staat. Regimegegner werden bestraft und in Arbeitslager gesperrt. Alles richtet sich nach einem klaren Muster – nach der UdSSR.
Ein Ort der Erinnerung an diese schreckliche Zeit ist die Gedenkstätte Vojna Lešetice in Príbram – ein ehemaliges Arbeitslager. Das angeschlossene Museum ist den Opfern des Kommunismus und der Uranförderung gewidmet. Vergleiche mit den KZ-Gedenkstätten hierzulande lassen sich bei der Besichtigung kaum vermeiden. 1500 Gefangene arbeiteten hier unter unmenschlichen Bedingungen, um Uran für die Sowjetunion zu schürfen. Politische Gefangene und Kriminelle arbeiteten von 1949 bis 1951 Seite an Seite.
Nächtigen wie die Kommunisten-Kader
Weiter geht die Zeitreise ins Hotel Orlík am gleichnamigen Stausee. Tief im Wald verborgen und einst abgeschirmt von der Arbeiterklasse konnte es nur vom kommunistischen Kader belegt werden. Präsidenten kamen zur Sommerfrische ebenso wie hohe Parteifunktionäre. Zwei "Checkpoints" mussten passiert werden, ehe sich die Anlage zeigte. Den Luxus von damals kann der Besucher heute noch erahnen – vor allem in den angeschlossenen Ferienhäusern für die Polit-Spitze. Vollendet wird das nostalgische Erlebnis bei einem "Husak-Menü". Schinkenröllchen werden serviert, gefolgt von einer traditionellen Svícková und Erdbeer-Schlag als Nachspeise. "In der Region erinnert man sich heute noch, dass es sogar manchmal Ananas zu kaufen gab, wenn wieder einmal eine ausländische Delegation abgesagt hatte", erzählt Martin Slavík vom Tourismusverband der Region Písek beim Abendessen. Dazu gibt es natürlich wie in Tschechien üblich Bier. Dieses sei heute übrigens bedeutend besser als zur Zeit des Kommunismus: "Mein Opa hat im Markt immer jede Bierflasche umgedreht und geschaut, ob darin nichts unappetitliches schwimmt. Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei", erzählt er.
1955-1985: Nach dem Tod von Stalin und Gottwald kommt es schrittweise zu einer Lockerung in der Tschechoslowakei. Alles gipfelt im Prager Frühling (1968). Die Tschechoslowakei hat eine sichtbare Zukunft. Die sogenannte "Normalisierung" tritt ein. Es ist vom "geregelten Sozialismus" die Rede.
Mit dem Nostalgiebus aus dem Jahre 1967 geht die Zeitreise weiter zum Schloss Orlík, das längst wieder in Besitz der Familie Schwarzenberg ist. Es ist ein gut erhaltenes Kleinod aus der Monarchie. Das Interieur "überlebte" das Regime. Heute ist eine Besichtigung des "Adlerhorstes" ein echtes Erlebnis. Der Glanz der Monarchie erstrahlt in allen Ecken. Weniger "Glück" hatte das Schloss Cimelice. Hier war einst eine Filmschule untergebracht. Vom vornehmen Schloss zeugen heute nur noch Fotos. Ansonsten ist Cimelice recht verfallen.
Überbleibsel textiler Blütezeit
Das Städtchen Písek ist nicht nur wegen seiner Architektur eine Reise wert – immerhin ist die Steinerne Brücke älter als die Karlsbrücke in Prag. Beim Textilhersteller Jitex lässt sich erleben, wie mächtig einst die Textilindustrie in der Region war. Immerhin hatte das Textilkombinat der CSSR hier seinen Sitz. Auch die Kunstfaser Silon wurde hier erstmals produziert. Von einst 4000 Angestellten sind heute nur noch 100 übrig. "Früher haben wir fast die Hälfte unserer Produktion in die UdSSR geliefert. Heute produzieren wir für die Armee, die Polizei oder die Bauernschaft. In der Textilbranche arbeitet man aus Liebe und nicht des Geldes wegen", erzählt Radek Sobotka, der seit 1985 in der Branche tätig ist. Besonders stolz ist man bei Jitex auf die Produkte aus Merino-Wolle. Denn Silon wird eigentlich nur noch als Industriefaser hergestellt. Zum Anziehen taugt sie auch nur bedingt, ist doch angeblich die Erfindung des Herren-Deodorants auf diese Kunstfaser zurückzuführen.
Brutalistische Bauten
In Písek empfiehlt sich ein Stadtrundgang nicht nur wegen der historischen, sondern auch wegen der sozialistischen und brutalistischen Bauten. Diese sind übrigens in fast allen Städten Böhmens zu finden. Irgendeine brutalistische Bausünde "ziert" fast jeden historischen Stadtplatz.
Zu Gast
Südböhmen in Linz: Die Region Südböhmen präsentiert sich vom 16. bis 18. Mai in der Linzer Innenstadt. Auf dem Hauptplatz, der Landstraße, der Promenade und dem Martin Luther Platz stellt der Kreis Südböhmen sein Angebot vor. Zu sehen gibt es Handwerkliches, Kulinarisches und touristische Angebote.
Historische Städte: Vor allem die historischen Stadtkerne haben sich gut erhalten oder wurden liebevoll restauriert. Neben Písek, Tábor und Budweis ist auch Krumau immer eine Reise wert.
Kulinarisch kommt man in Tschechien an einem Bierkeller kaum vorbei. Ob in der Fleischhalle (Masné krámy) in Budweis oder in kleineren Wirtshäusern, zum deftigen Essen gehört ein gutes Bier einfach dazu. Im Sinne der „Zeitreise“ lässt sich aber auch „authentisch kommunistisch“ Speisen – im Restaurant Olympia in Písek etwa. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.
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Na GsD haben die Schwarzenberger ihre Schlösser wieder zurück.
Das wäre sonst der reine Kommunismus und das bei so einem Präsidenten.