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Im Wendekreis der Sozialdemokratie

So unverbaut sah die Umgebung des Petrinums im Jahre 1920 aus. Die Gründe der heutigen Knabenseminarstraße wurden parzelliert und verkauft. (Archiv der Stadt linz)

06.06.2024

Wie die „rote Villa“ in Linz-Urfahr im Schatten des Petrinums ihre Würde und Geschichte bewahrt

Sie steht nicht unter Denkmalschutz und birgt doch so viel Historie. Denn im Hause Knabenseminarstraße 52 in Linz-Urfahr wurde Zwischenkriegsgeschichte geschrieben. 

Damals, 1934, stand die Gesinnung des Besitzers an die Hauswand gemalt. Die karmesinrot gefärbelte Villa, 1929 entworfen und erbaut vom heute noch in der Linzer Schubertstraße eingetragenen Unternehmen Fabigan und Feichtinger, gehörte Ludwig Pollak, einem Sozialdemokraten und Schutzbündler, der für seine Gesinnung mit vier Monaten Gefängnis zu bezahlen hatte. 

Heim eines Schutzbündlers

Man schrieb den 12. Februar 1934. Im Parteiheim der Sozialdemokraten im Hotel Schiff an der Landstraße (heute Sitz der Landes-SP und des Cafés Central), wo die Polizei nach Waffen suchte, kommt es zum Schusswechsel. Schnell breitet sich der Bürgerkrieg zwischen sozialdemokratischem Schutzbund und konservativer Heimwehr über Österreich aus. 

Schutzbündler Ludwig Pollak, ein Zahnarzt mit Praxis in der Landstraße 12 und Leiter des Zahnambulatoriums Linz, versorgte seine Gesinnungsfreunde, die beim Petrinum um die Ecke verschanzt waren, mit heißem Tee. Dies und in der „roten Villa“ gefundenes Verbandsmaterial genügten, um Pollak, einen engen Freund des Schutzbundführers Richard Bernaschek, zu verhaften. 

In Wien wurde kurzer Prozess gemacht: Vier Monate wegen „des Verbrechens des Aufruhrs“ hatte Pollak abzusitzen. Einen Denkzettel verpasste ihm das Bundesheer sofort: Am 13. Februar 1934, einen Tag nach Einstellung der Kampfhandlungen, beschossen die Siegreichen die „rote Villa“ mit einer Haubitze vom Linzer Schloss aus. 

Einschusslöcher im Dach

Sie trafen das Dach, die Einschusslöcher sind heute noch in den Dachsparren zu sehen. Sie werden als Spuren der Geschichte kundig konserviert, wie überhaupt das gesamte Haus Knabenseminarstraße 52 unter besonderer historischer Patronanz steht: Denn seit 2001 ist die Linzer Wirtschaftswissenschafterin und Ausstellungskuratorin Herta Neiß vom Institut für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Johannes-Kepler-Universität, mit ihrem Mann Andreas Neiß Eigentümerin der „roten Villa“. 

„Es sah auch drinnen aus wie in den 1930er-Jahren. Wir haben dem Haus mit viel Liebe und Einsatz seinen alten Glanz wiedergegeben“, sagt Herta Neiß. Gekauft wurde von der in Innsbruck lebenden damaligen Eigentümerin Glory Schneidt. Sie ist die Nachfahrin jener Familie, die die „rote Villa“ bereits 1934, als Ludwig Pollak noch in Wien war, ersteigert hat.

Bereits 1934 versteigert

Denn die kreditgebende Bank hatte, als die Raten nicht bedient werden konnten, die Villa versteigern lassen. Karl Schneidt war Prokurist in den Franck-Werken gewesen. 

Heute leuchtet das Haus karmesinrot wie damals. Zwischenzeitlich war das Haus umgefärbt worden und stand verwildert und verwachsen da. Mehr als 20 Jahre war es nur mehr im Sommer kurzzeitig gewohnt und zuletzt gar nicht mehr. Doch die „rote Villa“ atmet auch innen noch immer Geschichte. Die Böden knarren wie anno dazumal. Die Holzstiege führt in die oberen Stockwerke wie früher. Die Büchereinbauwand steht so da, wie sie Pollak benutzte. Das Einschussloch der Heimwehr lugt im ausgebauten Dachboden in Richtung Wohnbereich hervor. Auch Fenster, Türgriffe und vieles Weitere ist „original Fabigan und Feichtinger“. 

Original Fabigan und Feichtinger

Sogar die Pläne sind erhalten. Sie fanden sich, in einer Mappe gewissenhaft archiviert, im Unternehmen in der Schubertstraße. Ihre Handschrift hinterließen Fabigan und Feichtinger in Linz etwa auch mit der Diesterwegschule, dem Diakonissenspital in der Weißenwolffstraße und dem heutigen Karl-Schaller-Haus der Raiffeisenlandesbank (früher Kindergarten der Franck-Werke). 

Ludwig Pollak, ein konfessionsloser Jude, überlebte die Wirren des Zweiten Weltkriegs. Details dazu sind nicht bekannt. Dann ging Pollak zurück nach Oberösterreich und schrieb mit seiner Schwester erneut Geschichte. 

„Als wir das Haus gekauft haben, war es auch innen wie in den 1930er-Jahren, als es Sozialdemokrat Ludwig Pollak bewohnte. Wir haben viel bewahrt, der Villa die rote Farbe wiedergegeben.“

Herta Neiß, Linzer Zeithistorikerin, die mit ihrem Mann Andreas die „rote Villa“ heute bewohnt

Mittlerweile hatte er sich in Ludwig Schrenzel umbenannt, leitete das Zahnambulatorium Steyr und wies eine besondere Beziehung zu Weißenbach am Attersee auf. Sein Vater Josef Pollak hatte in der Zwischenkriegszeit dort das Hotel Post, die Villa Roth, den Meierhof und einen riesigen Seegrund, insgesamt rund 70.000 Quadratmeter, gekauft. 1938 wurde der Besitz arisiert und auch wegen der „kommunistischen Haltung der Familie“ eingezogen. Ein Rückstellungsantrag der Geschwister Schrenzel und Webern mit ihren Pollak-Wurzeln war erfolgreich. Die nötige Ablöse wurde 1951 mit dem Verkauf eines Teilstückes an das Land Oberösterreich aufgebracht.

Versprechen an die Jugend

Dies ist das Areal des heutigen Europacamps der Sozialistischen Jugend. Die auch vom Rechnungshof immer wieder kritisierte Pacht von „25 Schilling pro Jahr“ geht auf Pollak zurück, der dies beim Verkauf auf 99 Jahre verfügte. 

Ludwig Schrenzel (Pollak) verbrachte seine Pensionsjahre in Weißenbach. Hotel Post, Villa Roth und Meierhof wurden von Schrenzel und seiner Schwester Gertrude Webern 1954 an die Oesterreichische Nationalbank verkauft.

Vor einigen Jahren meldete sich der Enkel von Gertrude Webern, Anthony Cohn, aus England zu den Pachtzins-Querelen zu Wort und forderte die Respektierung des letzten Willens seiner Familie. 

Die „rote Villa“ wurde übrigens nie arisiert, sondern bereits 1934 rechtmäßig verkauft. Spaziert man an der Knabenseminarstraße 52 vorbei, kann man dies im Bewusstsein tun, dass hier Ludwig Pollak und sein Freund Richard Bernaschek (ermordet am 18. April 1945 in Mauthausen) ein und aus gingen und ein Stück Geschichte schrieben.

"Auf nachrichten.at/linzeraugen finden Sie weitere Berichte über historische Häuser und ihr zeitgemäßes Innenleben. k.haas@nachrichten.at"

LINZER AUGEN
VON KARIN HAAS
STADTSPAZIERGÄNGERIN