"Pioniergeist gehört zu unserer DNA"
Meinhard Lukas, Rektor der JKU, über Avantgarde und Pragmatismus an der Linzer Uni, über künftige Potenziale und über die Frage, warum der Campus sexy sein muss.
Von Wolfgang Braun,
08. Oktober 2016 - 00:04 Uhr
- Seit Oktober 2015 ist Meinhard Lukas Rektor an der Linzer JKU. Im Interview mit den OÖNachrichten spricht er über seine Ziele, die Rolle der Universitäten in der Gesellschaft und darüber, warum die JKU keine Revolutions-Uni ist.
- OÖNachrichten: Wenn Sie die ersten 50 Jahre der JKU mit drei Schlagworten beschreiben müssten – welche wären es?
Meinhard Lukas: Offen. Tief verwurzelt in der Region. Stark in nationaler und internationaler Forschung. - 50 Jahre ... ist das nicht auch die Zeit der Midlife-Crisis?
Nein. Für eine Universität gelten andere Dimensionen. Die Universität Wien ist beispielsweise 650 Jahre alt. Da sind wir noch in der Kindheit. Die JKU hat sich in ihren ersten 50 Jahren prächtig entwickelt, auch dank der Lebensleistung vieler Kollegen. Andererseits hat sie enorme Potenziale, die es noch zu heben gilt. - Die Gründungsphase der JKU fiel in die späten 60er-Jahre. Ist sie geprägt vom Geist der 68-er?
Die JKU ist keine Revolutions-Universität. Hier dominierte ein pragmatischer Ansatz: Es gab den starken Wunsch, in Linz bzw. Oberösterreich eine Uni zu haben – erst nach und nach wurde entschieden, wie man sie sinnvoll mit Inhalten füllt. Die JKU ist keine klassische 68-er-Gründung wie manche deutsche Universität. - Bedauern Sie das?
Nein. Die Wissenschaftspolitik in Bund und Land hat die Chancen dieser Universität gesehen und erkannt, dass man hier Dinge etablieren kann, die man an alteingesessenen Universitäten nicht so einfach schafft. In Linz wurde rasch ein Avantgarde-Gedanke Wirklichkeit, sowohl technologisch als auch gesellschaftspolitisch. Man kann in diesem Zusammenhang die Rolle der Gründungsprofessoren gar nicht hoch genug einschätzen. Es ist in Linz gelungen, 1966 eine Reihe von Professoren mit unglaublichem Pioniergeist zu berufen – und zwar in einer großen Breite. Da gab es den wirtschaftsnahen Marketingpapst Ernest Kulhavy, der von internationalem Marketing spricht, als der Begriff in Europa noch nirgendwo verwendet wurde. Da gab es Karl Stadler, der als Erster über die NS-Vergangenheit Österreichs forschte, dann gab es Rudolf Strasser, den Vater des kollektiven Arbeitsrechts in Österreich oder Adolf Adam, der als Statistiker die österreichische Informatik zu entwickeln begonnen hat. Nicht zu vergessen in der Volkswirtschaft Kurt Rothschild. Diese Dichte ist bei einer Gründung außergewöhnlich, da sind Leistungen entstanden, die bis heute herausragend sind. - Avantgarde und Pragmatismus – zeichnet das die JKU aus?
Das ist mit Sicherheit Teil der DNA dieser Universität. - In jüngerer Vergangenheit hat man das Gefühl, die JKU ist besser, als sie öffentlich wahrgenommen wird. Selbst an der Uni spricht man von "hidden champions", also von Forschern, die Großartiges leisten, deren Bekanntheit außerhalb von Wissenschaftskreisen aber begrenzt ist. Muss man nicht trachten, das "hidden" wegzubekommen?
Natürlich, das ist auch eines der großen Ziele dieses Rektorats. Alle internationalen Hochschul-Rankings zeigen, wo wir zulegen müssen: Dort, wo es um harte wissenschaftliche Fakten geht, liegen wir international unter den Top-100. Wenn aber weiche Kriterien wie Reputation abgefragt werden, liegen wir zwischen Platz 400 und 500. Es ist also auch eine Marketing- und Kommunikationsfrage. - Muss die JKU gesellschaftspolitisch stärker Position beziehen?
Ich bin überzeugt, dass das eines der nicht gehobenen Potenziale dieser Universität ist. Wer technologische Forschung betreibt, muss auch die Frage "cui bono?" stellen: Was bedeutet eine technologische Entwicklung für die Gesellschaft? Aber auch: Was hieße es, auf diesen technologischen Fortschritt zu verzichten? Gerade was die Erforschung der gesellschaftlichen Folgen des technologischen Fortschritts betrifft, haben wir so gute Voraussetzungen wie keine andere Universität in Österreich. - Ein elementarer Teil der JKU ist die Technisch-Naturwissenschaftliche Fakultät (TNF) – wird sie das weiter bleiben?
Dass wir eine technologisch ausgerichtete Uni sind, ist eine Marke, die wir stärken wollen und müssen. Aber wir stehen vor der Herausforderung, dass wir gleichzeitig wissenschaftliche Breite signalisieren müssen. Daher haben wir unter anderem auch die neue Pädagogikausbildung an der JKU etabliert. - Die Universitäten klagen immer wieder über zu wenig Budget. Hat Forschung einen zu geringen Stellenwert in Österreich?
Es fehlt immer noch das Bewusstsein, wie wichtig Forschungsförderung ist. Ich bin der Meinung, dass die Budgets für die Unis zu knapp sind. Externe Beobachter haben aber Recht, wenn sie sagen, dass die Unis wesentlich mehr Geld brauchen würden, sich aber dafür auch weiterentwickeln müssen. Wenn nur 40 Prozent der Studenten prüfungsaktiv sind und nur ein Bruchteil derer, die ein Studium beginnen, dieses auch fertig macht, dann kann man schlecht sagen, dass das Geld lückenlos effizient eingesetzt ist. So gesehen sind eine Studienplatzfinanzierung und vernünftige Zugangsregelungen unverzichtbar. - Fehlt es auch bei den Studenten an dem Bewusstsein, dass es ein Privileg ist, studieren zu dürfen?
Absolut. Das ist eines der großen Probleme. Eine der Segnungen der 70er Jahre und der Ära Kreisky war der freie Hochschulzugang, damit hat man die Universitäten für breite Schichten geöffnet. Aber Maß und Ziel sind verloren gegangen. Der Wert eines Studienplatzes wird nicht mehr richtig bemessen. Vor allem dort, wo es keine Studiengebühren und Zugangsregeln gibt, entsteht der Eindruck, das sei eine Selbstverständlichkeit. Deshalb bin ich überzeugt, dass eine Klärung von Neigung und Motivation für ein Studium unverzichtbar ist. - Wir haben über den Pioniergeist der Gründungsphase der JKU gesprochen. Braucht es den nicht auch jetzt zum Start der Medizinischen Fakultät?
Sicher, neben der fachlichen Kompetenz ist dieser Pioniergeist entscheidend bei der Bestellung der Professoren. Denn Pioniergeist gehört auch zu unserer DNA. Er muss aber durchgängig gehalten werden, nicht nur auf Professorenebene. Zum Pioniergeist gehört, dass nicht alles in so einem Projekt mit Geld abzugelten ist. Aber wir sind in der Medizin mit einem System konfrontiert, das stark finanziell reglementiert ist. - Die politische Lage in Österreich ist, anders als in den Jahrzehnten zuvor, äußerst labil – wie sollen die Unis darauf reagieren? Im Elfenbeinturm bleiben? Oder sich einmischen?
Die Universitäten müssen ihre gesellschaftspolitische Verantwortung stärker wahrnehmen und im öffentlichen Diskurs viel präsenter sein. Es gibt ein unglaubliches Bedürfnis nach Vereinfachung, das auch von der einen oder anderen Partei klar als politisches Instrument genutzt wird. Daher ist es die gesellschaftliche Verpflichtung der Universitäten zu vermitteln, dass die Welt unglaublich komplex geworden ist – und zwar in einer Sprache, die die Menschen verstehen. - Wenn Sie auf die kommenden 50 Jahre blicken: Welche drei Schlagworte sollen für die JKU prägend sein?
Europäische Spitze, visionäre Forschung und Lehre, Platz zum Wohlfühlen. Letzteres heißt ganz banal: Der Campus muss sexy sein. Junge Menschen müssen sagen: Andere Städte mögen größer sein, aber der Campus der Linzer Uni ist der spannendste in ganz Österreich.
Zur Person: Meinhard Lukas ist international renommierter Zivilrechtsexperte. Der 46-jährige gebürtige Welser ist seit Oktober 2015 Rektor an der Linzer Johannes Kepler Universität. Er ist gefragter Rechtsgutachter, auf seine Expertise vertrauen internationale Konzerne wie EADS. Zudem beriet er bis Juni 2013 die Stadt Linz im Swap-Streit mit der Bawag.