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Rechtswissenschaftliche Fakultät: Was ist lüge, was ist wahr?

Expertinnen der JKU untersuchen, wie psychologische Mechanismen Gerichtsprozesse beeinflussen können.

Von Robert Stammler, 08. Oktober 2016 - 00:04 Uhr

Wie aus der Pistole geschossen beantwortet der Zeuge die Fragen des Richters. Seine Sätze wirken geschliffen. Als der Zeuge bemerkt, dass der Richter seine Aussagen zu glauben scheint, huscht der Ansatz eines Schmunzelns über sein Gesicht. Nichts ist wahr, der Lügner genießt im Stillen seinen Triumph.

Längst hat die Psychologie Merkmale für Körpersprache und Sprechstil entwickelt, um Lügen identifizieren zu können. "Doch eine bewusste Identifizierung fällt dennoch schwer, weil das Bewusstsein leicht zu täuschen ist", sagen Lyane Sautner und Susanne Schmittat. Die Juristin und die Rechtspsychologin vom Institut für Strafrechtswissenschaften der JKU erforschen in einem interdisziplinären Projekt, wie psychologische Wirkmechanismen zu Stolpersteinen in Gerichtsprozessen werden können und inwiefern sich diese Erkenntnisse im Verfahrensrecht (insbesondere in der Straf- und Zivilprozessordnung) nutzen lassen. "In Österreich sind diese Forschungsthemen noch überwiegend Neuland", sagt Universitätsprofessorin Sautner. Für den Strafprozess liefern die Erkenntnisse die Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung mit den strafprozessualen Prinzipien der Objektivität, der Verteidigungsrechte und der freien Beweiswürdigung.

Dabei geht es aber nicht nur um die Frage der Glaubhaftigkeit von Aussagen. Eine weitere psychologische Erkenntnis lautet, dass der Mensch dazu neigt, jene Informationen als qualitativ besser zu bewerten, welche vorangegangene Entscheidungen bestätigen. "Auch juristische Expertise schützt nicht davor, bestätigende Informationen bevorzugt wahrzunehmen", sagt Rechtspsychologin Schmittat.

Sie lieferte in ihrer Forschung viele Indizien, dass selbst zurückgezogene Geständnisse bestätigend wirken können, wenn sie durch Sachbeweise widerlegt seien. In Zusammenarbeit mit der Rechtspsychologin Birte Englich, Universitätsprofessorin an der Uni Köln, und Universitätsprofessorin Petra Velten wollen Schmittat und Sautner von der Abteilung für "Strafrecht und Rechtspsychologie" am Institut für Strafrechtswissenschaften nun erforschen, inwieweit strafprozessuale Abläufe diese bestätigende Informationsverarbeitung begünstigen. "Es geht um die Frage, ob zum Beispiel der Zeitpunkt und die Darstellungsart von Beweisen bereits eine systematische Verzerrung hervorrufen", sagt Sautner.

Die Psychologie in Gerichtsverfahren ist aber nicht nur ein neues Forschungsthema für das Strafrecht. Auch am Institut für Europäisches und Österreichisches Zivilverfahrensrecht beschäftigen sich Universitätsprofessorin Astrid Deixler-Hübner und ihr Team mit dieser Materie. Eine praktische Fragestellung lautet etwa, welche Faktoren ausschlaggebend sind, ob ein Richter die Standpunkte beider Parteien für gleich wahrscheinlich bzw. unwahrscheinlich hält, sodass man von einer "non liquet"-Situation, also von einer unklaren Beweislage ausgehen muss.

Wem glaubt der Richter?

Denn oftmals seien Richter geneigt, solche unklaren Verfahrenslagen zu vermeiden und dem Standpunkt einer Partei daher mehr Glauben zu schenken als der anderen. "Das kann etwa bei der Feststellung des Scheidungsverschuldens der Fall sein, oder auch, wenn es um die Entscheidung der Obsorge zwischen zwei Elternteilen geht", sagt Deixler-Hübner. Mit den Auswirkungen psychologischer Effekte in Zivilverfahren beschäftigt sich auch Universitätsassistent Jürgen Schmidt in seiner Dissertation. Vor allem die Art und Weise der Befragung könne dazu führen, dass Zeugen Dinge hinzudichten oder weglassen. Denn fehlende Infos füllt das Gehirn gerne mit logischen Konsequenzen auf, die nicht unbedingt den Tatsachen entsprechen müssen. "Die Fragetechnik des Richters hat dabei einen großen Einfluss."

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