Der Traunstein: Tödliche Abstürze und ein Pauschalurteil
GMUNDEN. Auf dem Traunstein sterben zwei Männer- mitten im Winter, bei einer anspruchsvollen Tour durch die Nordwand. Bei der Suchaktion wird ein Bergretter durch ein Schneebrett verletzt. Die virtuelle Welt ist außer sich: Kein Mitleid, keine Gnade. Offenbar auch nicht für deren Angehörige.
Stefan Krapf muss den Berg sperren. Im besten Fall für zwei Monate. Während dieser Zeit soll Gmundens Bürgermeister veranlassen, dass sämtliche Anstiege auf den Traunstein mit einem Stahlseil versehen werden und im Gemeinderat eine verpflichtende Kletterausrüstung auf den Weg bringen. Klingt wie ein schlechter Scherz? Ist aber ernst gemeint. Es ist eine der zahlreichen Wortmeldungen, die sich unter Beiträgen über den tödlichen Absturz zweier junger Männer aus der Nordwand des Berges gesammelt haben. Aber es ist eine der wenigen, über die sich schmunzeln lässt.
In den allermeisten Fällen werden nur zwei Wörter hinterlassen. Und das auch längst nicht mehr hinter der vermeintlichen Schutzwand der virtuellen Anonymität: "Selbst schuld" steht dort. Oder: "Kein Mitleid". Im Winter gehe man eben nicht auf den Traunstein. Nie. Und wer es dennoch tut, müsse mit den Konsequenzen leben. Lawinentote "sollen im Frühjahr ausapern", Verstiegene dort bleiben, "wo der Pfeffer wächst" und jene, die sich aus Angst nicht mehr weiter trauen, nach der Rettung zumindest eine "saftige Rechnung" bezahlen.
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Aber es geht hier nicht um Dinge. Es geht um Menschen. Um Freunde, um Töchter, Söhne, Brüder, Schwestern, Neffen, Nichten, Väter und Mütter. Wie fühlen Angehörige und Hinterbliebene, wenn sie lesen müssen, dass “dieser Trottel eh selber schuld ist und kein Mitleid verdient hat”?
Die Selbstverständlichkeit und die Rohheit, mit der über Menschen in der vermeintlich gesetzlosen digitalen Welt gerichtet wird, hat Ausmaße angenommen, die nicht mehr zu akzeptieren sind. Es ist ein entsetzlich verletzender Domino-Effekt. Einer fängt an, ein anderer stimmt ein und der Kanon der anonymen Missgunst singt fröhlich ein trauriges Lied. Wenn dann noch andere Menschen in ihrer Freizeit helfen müssen, um Personen, deren Risikobereitschaft größer als die eigene ist, wieder zurück in diese gesicherte Zone zu bringen, verliert das Fass den Boden.
"Bergretter in Lebensgefahr"
Am vergangenen Samstag verletzte sich ein Gmundner Bergretter bei der Suchaktion nach jenen zwei vermissten Bergsteigern, die am Tag darauf nur noch tot geborgen werden konnten. Ein Schneebrett löste sich, ein Sturz folgte, der glücklicherweise verhältnismäßig glimpflich endete. Er habe sich wegen der beiden "Leichtsinnigen" bewusst in Lebensgefahr begeben müssen, schreiben jene, die es offenbar besser wissen und füllen damit die Kommentarzeilen. Aber das stimmt nicht.
Dieser Bergretter ist kein Hasardeur und auch niemand, der sich freiwillig in absolute Lebensgefahr begibt. Das ist auch gar nicht möglich. Denn die oberste Prämisse der Bergretter ist der Schutz des eigenen Lebens. Niemand wird von der Einsatzleitung mit Harakiri-Aktionen betraut, immer wird sorgfältig abgewogen, vor jedem Einsatz gibt es ein ausführliches Risikomanagement.
"Dass man einen Unfall einhundertprozentig ausschließen kann, das gibt es aber nicht", sagt Wolfgang Socher, der den Einsatz am Traunstein für die Gmundner Bergrettung leitete. "Wir haben ausführlich besprochen, dass in der Wand eine gewisse Gefahr von Lawinen ausgeht. Aber eine genaue Abschätzung des Geländes in der Nacht ist sehr schwierig. Darum habe ich auch jenen Bergretter dort hingeschickt, der die besten Gebietskenntnisse hat. Eines war ganz klar: Niemand wird in dieser Nacht in diese Wand aufsteigen", sagt er.
Es sei darum gegangen, mögliche Lichtzeichen zu sehen, Spuren zu entdecken. Als sich das Schneebrett löste, war der Bergretter nur knapp über dem Wandfuß. "Im Endeffekt war es trotzdem ein Schritt zu viel. Aber ich hätte es vermutlich genauso gemacht", sagt Socher. Jeder habe das Recht "Stopp" zu sagen, es gebe keine Helden und keinen Superstar, der sich über das verantwortbare definierte Maß hinwegsetze. "Vor jedem Einsatz wird überlegt: Können wir das riskieren?", sagt Socher. Es passiere ausgesprochen wenig, ausschließen könne ein Bergretter einen Zwischenfall aber nie.
Die richtige Tour, der falsche Tag
Socher wolle auch nicht kommentieren, ob die beiden Freunde aus Pettenbach und Timelkam die falsche Entscheidung getroffen haben. "Die Tour wäre für sie möglich gewesen. Dass es der falsche Tag war, lässt sich nun leicht sagen".
Die Retter machen aber auch keinen Unterschied zwischen “verschuldet” und “unverschuldet”. Auch wenn sie bestimmt nicht immer eine Freude daran haben, sie retten und helfen aus Überzeugung.
Privileg nicht ausnutzen
Es geht aber auch darum, das Privileg, Menschen zu haben die sich im Notfall am Berg um unser Leben kümmern, nicht auszunutzen. Touren müssen akribisch geplant werden, die Natur bestimmt die Verhältnisse, nicht der Mensch. Niemand darf sich blind auf andere verlassen, Selbstverantwortung gehört in den Bergen zur Standardausrüstung. Vollkasko-Mentalität passt nicht ins Gebirge. Schwierige Touren, wie jene in der Traunstein-Nordwand, sind nichts wofür man sich rechtfertigen muss- man muss ihnen nur gewachsen sein.
Aber: Fehler können passieren. Immer. Unfälle leider auch. Und wenn die passieren, bringen Beleidigungen und Schadenfreude niemanden weiter . Auch wenn die Fehler bei schlechtem Wetter passiert sind, bei ungünstigen Verhältnissen, im Alleingang, oder einfach nur, weil das Pech an diesem Tag mehr zu sagen hatte, als das Glück. Es geht um Sensibilisierung, darum Bewusstsein für Gefahren zu schaffen, aufzuklären und zu warnen. Das gilt auch für die Medien. Titel wie "Lawinen-Idioten hart bestrafen", wie es der Boulevard nach tödlichen Unfällen formuliert hat, helfen dabei wenig.
Und ja: Der Traunstein ist kein leichter Hügel. Er ist nämlich gar kein Hügel. Er ist ein waschechter Berg. 1350 Höhenmeter vom See zum Gipfel. Die Wege sind steil, ausgesetzt, und kräftezehrend. Dafür braucht es Kondition, die passende Ausrüstung, den passenden Tag und die nötige Erfahrung. Aber nicht jeder, der ihn im Winter besteigt, ist lebensmüde oder ein "Idiot". Und nicht jeder, der bei einer Besteigung ums Leben kommt, ist selbst schuld.
Nach einem derartigen Unfall bleibt am Ende nur noch eines übrig: den Angehörigen viel Kraft in einer schweren, traurigen Zeit zu wünschen.