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Fatale Hausgeburt: 6 Monate bedingt wegen grober Fahrlässigkeit

Von Robert Stammler, 08. November 2024, 11:07 Uhr
Die Verhandlung im Welser Landesgericht wurde für zwei Stunden anberaumt. Bild: VOLKER WEIHBOLD

WELS. 6 Monate bedingt wegen grob fahrlässiger Körperverletzung: Der am Freitag wegen einer fatalen Hausgeburt fortgesetzte Prozess in Wels gegen eine 38-Jährige mit neu geladenen Zeugen endete mit einem (nicht rechtskräftigen) Schuldspruch.

Die Richterin hatte zuvor bereits anklingen lassen, dass sie ein Fahrlässigkeitsdelikt in Erwägung ziehe, der Verteidiger der Angeklagten hingegen hatte einen kompletten Freispruch gefordert. Es habe sich um eine spontane Geburt im Badezimmer gehandelt, dabei sei seine Mandantin bewusstlos geworden. Der Vorwurf,  sie habe die Rettung nicht gerufen, sei daher unhaltbar,  sagt der Verteidiger.

Die Einleitung der Geburt im Krankenhaus sei nur eine Empfehlung gewesen, die Hausgeburt habe sie nicht geplant. Sie konnte sich erst wieder orientieren und erinnern, als die Füße des Babys herausschauten. „Es ist ein Wahnsinn, dass man so etwas vor Gericht überhaupt verhandelt“,  sagt der Verteidiger weiter. Dass der Gynäkologe, der die Anzeige gegen die Mutter mit unterschrieben hat,  später auch zum Gerichtsgutachter wurde, sei eines Rechtsstaates nicht würdig.

Die Anklägerin hingegen sagte,  die Beschuldigte wähne sich als Opfer „des Kindesvaters, der Schulmedizin und jetzt der Justiz“. 

In ihrer Urteilsbegründung führte die Richterin an, die 38-Jährige habe trotz der volatilen Lage des Babys in ihrem Bauch und der diesbezüglichen Warnungen der Ärzte im Krankenhaus einen Revers unterschrieben. So sei es dann ein paar Tage später zur fatalen Hausgeburt und den Komplikationen gekommen. Es sei ein "schmaler Grad zwischen grober Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz", betonte die Vorsitzende. Die Angeklagte zeige eine gewisse Affinität zur Alternativmedizin und habe daher bei ärztlichen Ratschlägen die Scheuklappen zugemacht. Ihr Motto sei gewesen: "Es wird schon gut gehen".

"Das Ganze wäre absolut vermeidbar gewesen. Merle könnte heute ein gesundes Kind sein", so die Richterin. Eine Geldstrafe habe das Gericht nicht verhängen wollen. "Sie sollen jeden Cent in ihre Therapien stecken." 

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, sowohl Anklage als auch Verteidigung wollen in Berufung gehen. 

Die Vorwürfe

Nach einer fatalen Alleingeburt daheim war am Freitag der Prozess gegen die 38-Jährige mit neu geladenen Zeugen fortgesetzt worden. Die Mutter soll alle Warnungen der Ärzte wegen Schwangerschaftskomplikationen ignoriert und ihr viertes Kind ohne Hilfe zu Hause geboren haben. Es kam zu Sauerstoffunterversorgung des Babys, die körperliche und geistige Defizite nach sich zog. Die wegen Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen angeklagte Frau bestreitet die Vorwürfe. Die Staatsanwältin hält der Frau "verantwortungsloses Verhalten" vor, mit dem sie "ihr und das Leben des Kindes gefährdet" habe. Es stehe auch ein fahrlässiges bzw. grob fahrlässiges Verhalten im Raum, führte die Richterin am zweiten Prozesstag aus. Die Angeklagte habe nach zwei bereits gut gegangenen Geburten daheim ein drittes Mal auf diese Weise entbinden wollen. Wieder habe sie auf jegliche ärztliche Hilfe und eine Hebamme verzichtet, obwohl ihr im Spital "explizit" dringend davon abgeraten worden war, so der Vorwurf.

Bei einer Kontrolluntersuchung im Juli 2023 war nämlich eine Beckenendlage des Ungeborenen diagnostiziert worden. Im Spital erfolgte zweimal eine Wendung des Babys, dennoch wurde der Frau nachdrücklich bei mehreren Terminen die stationäre Aufnahme und die Einleitung der Entbindung empfohlen. Beides soll sie jedes Mal abgelehnt haben.

Am 6. August habe die Hochschwangere ihr Badezimmer zum Kreißsaal umfunktioniert. Um 16 Uhr sei es dann zur Geburt gekommen. Nachdem das Mädchen nicht atmete, verständigte sie ihren Ex-Lebensgefährten - den Vater des Babys. Der Mann alarmierte die Rettung und eilte auch selbst mit einem Bekannten zu seiner Ex-Partnerin. Das Baby habe bereits eine blau-graue Gesichtsfarbe gehabt, die Angeklagte habe dennoch gemeint, es sei alles in Ordnung, das Kind habe einen Puls.

Jener Bekannte, der als Zeuge am zweiten Prozesstag am Freitag aussagte, erinnerte sich an Gespräche mit dem Ex-Partner der Angeklagten, wonach dieser beklagt habe, dass die Frau sehr wohl bewusst daheim entbinden wolle, weil das "Krankenhaus mache es eh nicht richtig". Als die beiden Männer direkt nach der Geburt zur Wohnung der Frau kamen, seien sie von ihr mit dem reglosen Baby im Arm empfangen worden. Sie sei "völlig fertig" gewesen, sagte der Zeuge.

"Nicht schuldig im Sinne der Anklage"

Die 38-Jährige erklärt sich nicht schuldig im Sinne der Anklage. Sie habe nicht allein daheim entbinden wollen, vielmehr sei es zu einer traumatischen Sturzgeburt nach einem Blasensprung gekommen, meinte sie bereits zum Prozessauftakt. Sie sei geschockt gewesen, als sie bemerkt habe, dass sich ihr Mädchen nicht bewege. Sie erinnere sich nur noch daran, dass das Kind nicht mit dem Kopf zuerst zur Welt gekommen sei und es sich damit erneut in die problematische Beckenendlage gedreht hatte.

Zwei Freundinnen haben am Freitag mit ihren Aussagen die Angeklagte entlastet. Beide berichteten davon, dass die Frau ihnen unabhängig voneinander erzählt habe, dass sie im Spital entbinden werde.

Der Verteidiger verwies auf "alle notwendigen unterfertigten Einwilligungserklärungen" für eine Geburt im Krankenhaus inklusive der Zustimmung eines Kaiserschnitts vom Juli. Zu einem Kontrolltermin am 3. August kam die Hochschwangere ins Spital. Nach einer zweiten Wendung des Kindes am 1. August lag dieses noch immer richtig. Dennoch sei ihr erneut geraten worden, die Geburt nun einleiten zu lassen. Allerdings habe es "keine Absolutindikation gegeben", versicherte der Verteidiger. Es sei lediglich ein Rat gewesen. Aber die Schwangere wollte heim, um erst noch ihre anderen kleinen Kinder unterzubringen. Am 8. August habe sie im Spital entbinden wollen, sagte die Angeklagte. Dennoch habe die Frau trotz "Risikoschwangerschaft und über dem errechneten Geburtstermin" in den kommenden Tagen nichts Entsprechendes in die Wege geleitet, hielt die Staatsanwältin dagegen.

Laut medizinischem Gutachten wurden bei dem Kind eine "ausgeprägte neurologische Veränderung" attestiert, wie man sie bei einer Sauerstoffunterversorgung beobachte. Nach der Geburt sei es zu Funktionsstörungen mehrerer Organe gekommen. In Summe weise das Mädchen "schwersten Defiziten" im motorischen, kognitiven und sozialen Bereich auf.

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Autor
Robert Stammler
Redakteur Oberösterreich
Robert Stammler
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