Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

WIR SIND ZEITUNG
Wir sind Zeitung
Wir sind Zeitung 2021

Wir sind Zeitung, Teil 6

Unterricht ganz anders! Da gibt es was zu erzählen.

Folgender Beitrag wurde eingereicht von:

Name: Sophie Cocca
Alter: 13
Schule: BRG Wels Wallererstra?e
Klasse: 4A

Angsterfülltes Kreischen, wildes Getrampel von Füßen und…umherfliegende Kissen. Den ersten Eindruck, den man von dem Hause Esempio während des zweiten Lockdowns erhält, beschreibt die Lage des lautesten Haushaltes in dem kleinen Ort, indem Ruhestörungen genauso wie befahrene Straßen so selten vorkommen, dass einige Bewohner diese Ausdrücke noch nicht einmal in ihren Wortschatz aufgenommen haben, perfekt. Wie jeden Abend, wenn der Energiepegel der Kinder bedenklich weit nach oben schießt, die Tatsache, dass man sich eigentlich in Kürze an sein Kissen schmiegen und sich in seine federweiche Bettdecke kuscheln sollte, damit man mit langen, tiefen Atemzügen in einen unbeschwerten Schlaf gleitet, völlig ignoriert wird, kommen den auf den ersten Blick harmlos erscheinenden Sprösslingen urplötzlich Ideen, die deren Eltern in den Wahnsinn treiben.

An diesem Abend kam drei der vier Geschwister der grandiose Einfall, sich gegenseitig mitten in dem Wohnzimmer der Familie, wo der teure Fernseher, kostbare Vasen, wunderschöne Pflanzen in Töpfen, Duftfläschchen und außerdem diverse kunstvoll gestaltete Bilder Seite an Seite so standen, dass man an jedem Platz des Raumes einen faszinierten Blick auf die wertvollen Gegenstände – zugegeben: die Pflanzen waren mehr oder weniger nur bedeutsam für das männliche Oberhaupt der Familie, doch der kümmerte sich von Zeit zu Zeit mehr um seine zierlichen Orchideen, als um seine verkorksten Kinder - werfen konnte, den bei allen Erziehungsberechtigten verhassten Kissenkrieg zu erklären. Mit voller Wucht wird ein Kissen nach dem anderen durch die Luft geschossen. Einige verfehlen nur um Haaresbreite den Fernseher. Die Brüder bombardieren sich pausenlos mit den Polstern. Aufgrund ihrer jugendlichen Stärke kommt es durchaus vor, dass einer der beiden mit einem dumpfen Schlag am Boden landet. Die dritte Person, die sich mit wildem Kampfgeschrei an dem Gefecht beteiligt, ist das einzige Mädchen, dass sich in der zweiten Generation der Esempios befindet. Die Schwester schlägt sich auf die Seite des Jüngeren und mit vereinten Kräften nehmen sie gemeinsam die Couch ein und feuern mit all ihrer Munition auf ihren Feind, bis kein einziges Kissen mehr übrig ist. Der ältere Bruder holt gerade zum Rückschlag aus, als die Haustür mit einem schmerzhaften Quietschen geöffnet wird. Die drei Geschwister erstarren. Die Eltern, deren Reaktion auf das verwüstete Wohnzimmer ganz sicher nicht zu Gunsten der Schuldigen sein würde, sind von ihrem Spaziergang zurück. Die Kinder haben nichts Gutes zu erwarten, denn vor allem ihre Mutter befindet sich schon jetzt in einer sehr angespannten Lage.

Ab Anbruch des morgigen Tages – dem 17.November – beginnt offiziell der zweite und hoffentlich auch letzte (Wer`s glaubt, wird selig…) „harte“ Lockdown im Jahr 2020. Maskenpflicht, geschlossene Geschäfte, Einschränkung jeglicher Sozialkontakte, Homeschooling und Quarantäne. Die letzten zwei Maßnahmen sind für die meisten die aller schlimmsten. Drei Wochen lang gemeinsam mit Geschwistern und Eltern, keine Chance auf Treffen mit Freunden, keine Erlaubnis, sich bei der Nachbarstochter über die grässliche Familie zu beschweren, selbst ein beruhigender Spaziergang ist umstritten. Die momentane Covid 19-Pandemie hat uns in diese Situation gebracht. Es handelt sich um einen speziellen, vermutlich aus China stammenden Virus, der sich nicht nur sehr schnell verbreitet, sondern auch tödliche Folgen für ältere bzw. nicht so abwehrstarke Betroffene haben kann. Jedem von uns ist klar, dass es ein Ausnahmezustand ist, an den man sich vermutlich noch sehr lange erinnern wird… nun, deshalb ist er es auch wert, dass man ihn etwas genauer unter die Lupe nimmt.

Im Augenblick befinden wir uns mitten im ersten Tag der zweiten Woche jenes „Lockdowns“ (welch treffender Ausdruck) und schon jetzt drehen einige Familien völlig durch. Auch wenn die Esempios sich zusammenreißen, ist es unmöglich, Eskalationen wie eine Kissenschlacht zu verhindern, auch wenn es die Stimmung der Eltern nicht gerade aufhellt. Die Mutter der Vier hat sich seit dem Moment, als von der Regierung die erneute Schließung der Schulen bekannt gegeben wurde, in einem beinahe depressiven Zustand wiedergefunden und hat mindestens einen Tobsuchtsanfall am Tag, während dem sie lauthals jedem in ihrem Haushalt mitteilt, dass sie die Teppiche im Eingangsbereich schon zehnmal gesäubert habe und trotzdem jedes Mal, wenn sie wieder einen ängstlichen Blick auf ihre heißgeliebten Bodenbeläge werfe, Fußspuren aus Schlamm, Blättern und Erde den Stoff zieren würden. Glücklicherweise ist der Vater der Erste, der das Chaos entdeckt, seine Miene verdunkelt und mit einem bärenartigen Knurren seine Kinder zum Aufräumen schickt. Selbstverständlich reden seine Söhne sich damit heraus, dass sie bedauerlicherweise keine Decken zusammenfalten können und verschwinden rasch in ihre Zimmer, während die große Schwester seufzend mit dem Ausschütteln der Kissen beginnt. Für einen Augenblick unterbricht sie ihre Arbeit. Auch Ampa, der junge weibliche Welpe der Familie, ist gemeinsam mit seinen Besitzern im Haus eingetroffen und läuft schwanzwedelnd auf sie zu. Wenn es ein Wesen in der Familie gibt, dem so gut wie niemand jemals wirklich böse sein kann – auch wenn sie die sorgfältig aufgebauten Autobahnen zerstört, nicht aufhört, an der Tür zu kratzen, Farbstifte stiehlt oder Käsebrote vom Tisch stibitzt -, dann ist es dieses Tier mit den großen, funkelnden Augen, dem weichen, wuscheligen Fell und dem kleinen Maul, dessen Mundwinkel immer nach oben gerichtet sind und aus dem eine Zunge mit blauen Flecken hängt. Leider ist es nicht möglich, sich bei ihr zu erkundigen, wie sie es findet, so lange mit sechs streitenden Zweibeinern unter einem Dach zu wohnen. Es lässt sich aber vermuten, dass es sie ziemlich verwirrt. Es ist zwar jeder daheim, doch kaum einer hat Zeit, um ihr die köstlichen kleinen Happen aus dem Behälter in der Küche zuzuwerfen. Sicher ist es verletzend, wenn sprechende Bildschirme und schon recht mitgenommen aussehende Hefte plötzlich in der Familienhierarchie über einem stehen. Doch Ampa lässt sich nichts anmerken und kaut weiterhin gedankenverloren auf dem Schlapfen herum, den sie vor der Haustür gefunden hat, während der älteste Bruder Leon auf Zehenspitzen zurück ins Wohnzimmer schleicht und sich heimlich eines der IPads greift. Kaum hält er es in der Hand, öffnet er schon die Teams-App, um einer Konferenz beizutreten. Konferenz. Welch wichtiges Wort, obwohl es sich nur um gewöhnlichen Englischunterricht handelt, allerdings digital. Viele Lehrer haben die Entscheidung gefällt, ihren gesamten oder auch nur einen Teil ihres Unterrichts über Onlineplattformen abzuhalten. Dabei kann der Professor/in ganz gewöhnlich unterrichten, den eigenen Computerbildschirm teilen, Schüler aufrufen, etwas zu sagen… Eine der besten Funktionen ist jedoch, wie Daniel Esempio – der Vater der vier Kinder – grinsend meint: „Die Möglichkeit, seinen bei den Besprechungen sichtbaren Hintergrund zu ändern.“ Ursprünglich sollte diese Einstellung wohl den Zweck haben, seine private Umgebung vor der Öffentlichkeit geheim zu halten, doch der Antrieb der heutigen Nutzer ist weitaus sinnvoller, so hat Professor Daniel Esempio, der unter anderem auch den Doktortitel trägt, den Universitätsschülern, die all seinen Vorträgen über die momentane Wirtschaftslage, Aktienkurse usw. interessiert gelauscht haben, seinen beeindruckenden Ausblick aus der gläsernen Wand seiner Penthouse Wohnung mit Tropenholzboden auf die üppigen Bäume des Central-Parks präsentiert. Doch nicht jedem ist die Veranschaulichung seines Reichtums gegenüber anderen vergönnt. Die zwei jüngsten menschlichen Familienmitglieder gehen noch in die Volksschule und haben keine Online-Unterrichtsstunden, sondern maximal Videos der Religionslehrerin, die ihnen das Vaterunser vorträgt. Stattdessen müssen sie sich ihre sogenannten „Lernpakete“ jeden Montag von der naheliegenden Volksschule abholen und die Zettel ausgefüllt am Ende der Woche zurückbringen. Durch die Konfrontation mit den (in ihren Augen) simplen Aufträgen ihrer jüngeren Brüder erinnert die ältere Schwester sich wehmütig an ihre verspielte Grundschulzeit und sehnt sich nach der Zeit vor dem „harten“ Gymnasium, in dem die Lehrer nicht einmal ihre Lieblingsfarbe zum Korrigieren verwenden würden.

Während Daniel noch im Stande ist, zu lachen oder sogar einen Witz auszusprechen, entwickeln einige bereits aggressive, gereizte Spannungen und destruktive Stimmungszustände, sowie Marlon, der Drittälteste, der nichts mehr will, als mit seinen Freunden unheimliche Fratzen an die Tafeln in der Schule zu malen, dort, wo eigentlich zum Unterricht Passendes stehen sollte. Auch sein kleiner Bruder Emanuel – noch ein blutjunger Neuling in der Welt der Volksschüler – versinkt hoffnungslos in den Forderungen seiner Mutter, die ihn dazu zwingt, mit ihr die „Worte“ „lililililili“ oder „alialialialiali“ zu lesen. Diese Tatsache besitzt ein gewisses Amüsement, wenn man bedenkt, dass sie lieber Toiletten reinigt und Müll entsorgt, als sich zu dem ermüdenden Versuch zu überwinden, einem kleinen Sturkopf, der lieber mit seinen Autos spielen würde, Lesen beizubringen. Sobald ihr der Geduldsfaden reißt, rennt Emanuel weinend beziehungsweise schreiend in sein Zimmer und lässt seine Wut an den unschuldigen Stofftieren aus – jene, die fürs Erste von den Zähnen des Familienhundes verschont geblieben sind. Seine Mutter hat nach einigen Versuchen, ihn zu besänftigen aufgegeben und widmet ihre Aufmerksamkeit wieder dem Wasserkochen zu, um währenddessen dem Jammern des nächsten Kindes zu lauschen.


So verstreichen die Tage. Stille wird von Fluchen, Geheule und Gekreische oder auch einfach nur von dem Geräusch zuschlagender Türen unterbrochen, alle versammeln sich zu Tisch, wo ein neuer Streit beginnt, sobald man mit seinen Spaghetti nicht zufrieden ist und lieber Penne möchte, man macht Witze und irgendwann lacht wieder jemand, dann trennen sich alle und die Stille, in der sich jeder auf seine Arbeit konzentriert, setzt wieder ein, bis sie unterbrochen wird. Eine Endlosschleife. Allerdings wurde noch kein Blut vergossen, niemand aus dem Haus gesperrt und es wurde auch noch nicht mit Mord gedroht. Bis jetzt…

 

Namen wurden…ANGEPASST/VERÄNDERT/AUSGESTAUSCHT

Bis jetzt? Durchdrehen endlich erlaubt! ? Reportage zum Thema Homeschooling, Quarantäne und Covid19-Pandemie

Name: Sophie Cocca
Alter: 13
Schule: BRG Wels Wallererstra?e
Klasse: 4A

Angsterfülltes Kreischen, wildes Getrampel von Füßen und…umherfliegende Kissen. Den ersten Eindruck, den man von dem Hause Esempio während des zweiten Lockdowns erhält, beschreibt die Lage des lautesten Haushaltes in dem kleinen Ort, indem Ruhestörungen genauso wie befahrene Straßen so selten vorkommen, dass einige Bewohner diese Ausdrücke noch nicht einmal in ihren Wortschatz aufgenommen haben, perfekt. Wie jeden Abend, wenn der Energiepegel der Kinder bedenklich weit nach oben schießt, die Tatsache, dass man sich eigentlich in Kürze an sein Kissen schmiegen und sich in seine federweiche Bettdecke kuscheln sollte, damit man mit langen, tiefen Atemzügen in einen unbeschwerten Schlaf gleitet, völlig ignoriert wird, kommen den auf den ersten Blick harmlos erscheinenden Sprösslingen urplötzlich Ideen, die deren Eltern in den Wahnsinn treiben.

An diesem Abend kam drei der vier Geschwister der grandiose Einfall, sich gegenseitig mitten in dem Wohnzimmer der Familie, wo der teure Fernseher, kostbare Vasen, wunderschöne Pflanzen in Töpfen, Duftfläschchen und außerdem diverse kunstvoll gestaltete Bilder Seite an Seite so standen, dass man an jedem Platz des Raumes einen faszinierten Blick auf die wertvollen Gegenstände – zugegeben: die Pflanzen waren mehr oder weniger nur bedeutsam für das männliche Oberhaupt der Familie, doch der kümmerte sich von Zeit zu Zeit mehr um seine zierlichen Orchideen, als um seine verkorksten Kinder - werfen konnte, den bei allen Erziehungsberechtigten verhassten Kissenkrieg zu erklären. Mit voller Wucht wird ein Kissen nach dem anderen durch die Luft geschossen. Einige verfehlen nur um Haaresbreite den Fernseher. Die Brüder bombardieren sich pausenlos mit den Polstern. Aufgrund ihrer jugendlichen Stärke kommt es durchaus vor, dass einer der beiden mit einem dumpfen Schlag am Boden landet. Die dritte Person, die sich mit wildem Kampfgeschrei an dem Gefecht beteiligt, ist das einzige Mädchen, dass sich in der zweiten Generation der Esempios befindet. Die Schwester schlägt sich auf die Seite des Jüngeren und mit vereinten Kräften nehmen sie gemeinsam die Couch ein und feuern mit all ihrer Munition auf ihren Feind, bis kein einziges Kissen mehr übrig ist. Der ältere Bruder holt gerade zum Rückschlag aus, als die Haustür mit einem schmerzhaften Quietschen geöffnet wird. Die drei Geschwister erstarren. Die Eltern, deren Reaktion auf das verwüstete Wohnzimmer ganz sicher nicht zu Gunsten der Schuldigen sein würde, sind von ihrem Spaziergang zurück. Die Kinder haben nichts Gutes zu erwarten, denn vor allem ihre Mutter befindet sich schon jetzt in einer sehr angespannten Lage.

Ab Anbruch des morgigen Tages – dem 17.November – beginnt offiziell der zweite und hoffentlich auch letzte (Wer`s glaubt, wird selig…) „harte“ Lockdown im Jahr 2020. Maskenpflicht, geschlossene Geschäfte, Einschränkung jeglicher Sozialkontakte, Homeschooling und Quarantäne. Die letzten zwei Maßnahmen sind für die meisten die aller schlimmsten. Drei Wochen lang gemeinsam mit Geschwistern und Eltern, keine Chance auf Treffen mit Freunden, keine Erlaubnis, sich bei der Nachbarstochter über die grässliche Familie zu beschweren, selbst ein beruhigender Spaziergang ist umstritten. Die momentane Covid 19-Pandemie hat uns in diese Situation gebracht. Es handelt sich um einen speziellen, vermutlich aus China stammenden Virus, der sich nicht nur sehr schnell verbreitet, sondern auch tödliche Folgen für ältere bzw. nicht so abwehrstarke Betroffene haben kann. Jedem von uns ist klar, dass es ein Ausnahmezustand ist, an den man sich vermutlich noch sehr lange erinnern wird… nun, deshalb ist er es auch wert, dass man ihn etwas genauer unter die Lupe nimmt.

Im Augenblick befinden wir uns mitten im ersten Tag der zweiten Woche jenes „Lockdowns“ (welch treffender Ausdruck) und schon jetzt drehen einige Familien völlig durch. Auch wenn die Esempios sich zusammenreißen, ist es unmöglich, Eskalationen wie eine Kissenschlacht zu verhindern, auch wenn es die Stimmung der Eltern nicht gerade aufhellt. Die Mutter der Vier hat sich seit dem Moment, als von der Regierung die erneute Schließung der Schulen bekannt gegeben wurde, in einem beinahe depressiven Zustand wiedergefunden und hat mindestens einen Tobsuchtsanfall am Tag, während dem sie lauthals jedem in ihrem Haushalt mitteilt, dass sie die Teppiche im Eingangsbereich schon zehnmal gesäubert habe und trotzdem jedes Mal, wenn sie wieder einen ängstlichen Blick auf ihre heißgeliebten Bodenbeläge werfe, Fußspuren aus Schlamm, Blättern und Erde den Stoff zieren würden. Glücklicherweise ist der Vater der Erste, der das Chaos entdeckt, seine Miene verdunkelt und mit einem bärenartigen Knurren seine Kinder zum Aufräumen schickt. Selbstverständlich reden seine Söhne sich damit heraus, dass sie bedauerlicherweise keine Decken zusammenfalten können und verschwinden rasch in ihre Zimmer, während die große Schwester seufzend mit dem Ausschütteln der Kissen beginnt. Für einen Augenblick unterbricht sie ihre Arbeit. Auch Ampa, der junge weibliche Welpe der Familie, ist gemeinsam mit seinen Besitzern im Haus eingetroffen und läuft schwanzwedelnd auf sie zu. Wenn es ein Wesen in der Familie gibt, dem so gut wie niemand jemals wirklich böse sein kann – auch wenn sie die sorgfältig aufgebauten Autobahnen zerstört, nicht aufhört, an der Tür zu kratzen, Farbstifte stiehlt oder Käsebrote vom Tisch stibitzt -, dann ist es dieses Tier mit den großen, funkelnden Augen, dem weichen, wuscheligen Fell und dem kleinen Maul, dessen Mundwinkel immer nach oben gerichtet sind und aus dem eine Zunge mit blauen Flecken hängt. Leider ist es nicht möglich, sich bei ihr zu erkundigen, wie sie es findet, so lange mit sechs streitenden Zweibeinern unter einem Dach zu wohnen. Es lässt sich aber vermuten, dass es sie ziemlich verwirrt. Es ist zwar jeder daheim, doch kaum einer hat Zeit, um ihr die köstlichen kleinen Happen aus dem Behälter in der Küche zuzuwerfen. Sicher ist es verletzend, wenn sprechende Bildschirme und schon recht mitgenommen aussehende Hefte plötzlich in der Familienhierarchie über einem stehen. Doch Ampa lässt sich nichts anmerken und kaut weiterhin gedankenverloren auf dem Schlapfen herum, den sie vor der Haustür gefunden hat, während der älteste Bruder Leon auf Zehenspitzen zurück ins Wohnzimmer schleicht und sich heimlich eines der IPads greift. Kaum hält er es in der Hand, öffnet er schon die Teams-App, um einer Konferenz beizutreten. Konferenz. Welch wichtiges Wort, obwohl es sich nur um gewöhnlichen Englischunterricht handelt, allerdings digital. Viele Lehrer haben die Entscheidung gefällt, ihren gesamten oder auch nur einen Teil ihres Unterrichts über Onlineplattformen abzuhalten. Dabei kann der Professor/in ganz gewöhnlich unterrichten, den eigenen Computerbildschirm teilen, Schüler aufrufen, etwas zu sagen… Eine der besten Funktionen ist jedoch, wie Daniel Esempio – der Vater der vier Kinder – grinsend meint: „Die Möglichkeit, seinen bei den Besprechungen sichtbaren Hintergrund zu ändern.“ Ursprünglich sollte diese Einstellung wohl den Zweck haben, seine private Umgebung vor der Öffentlichkeit geheim zu halten, doch der Antrieb der heutigen Nutzer ist weitaus sinnvoller, so hat Professor Daniel Esempio, der unter anderem auch den Doktortitel trägt, den Universitätsschülern, die all seinen Vorträgen über die momentane Wirtschaftslage, Aktienkurse usw. interessiert gelauscht haben, seinen beeindruckenden Ausblick aus der gläsernen Wand seiner Penthouse Wohnung mit Tropenholzboden auf die üppigen Bäume des Central-Parks präsentiert. Doch nicht jedem ist die Veranschaulichung seines Reichtums gegenüber anderen vergönnt. Die zwei jüngsten menschlichen Familienmitglieder gehen noch in die Volksschule und haben keine Online-Unterrichtsstunden, sondern maximal Videos der Religionslehrerin, die ihnen das Vaterunser vorträgt. Stattdessen müssen sie sich ihre sogenannten „Lernpakete“ jeden Montag von der naheliegenden Volksschule abholen und die Zettel ausgefüllt am Ende der Woche zurückbringen. Durch die Konfrontation mit den (in ihren Augen) simplen Aufträgen ihrer jüngeren Brüder erinnert die ältere Schwester sich wehmütig an ihre verspielte Grundschulzeit und sehnt sich nach der Zeit vor dem „harten“ Gymnasium, in dem die Lehrer nicht einmal ihre Lieblingsfarbe zum Korrigieren verwenden würden.

Während Daniel noch im Stande ist, zu lachen oder sogar einen Witz auszusprechen, entwickeln einige bereits aggressive, gereizte Spannungen und destruktive Stimmungszustände, sowie Marlon, der Drittälteste, der nichts mehr will, als mit seinen Freunden unheimliche Fratzen an die Tafeln in der Schule zu malen, dort, wo eigentlich zum Unterricht Passendes stehen sollte. Auch sein kleiner Bruder Emanuel – noch ein blutjunger Neuling in der Welt der Volksschüler – versinkt hoffnungslos in den Forderungen seiner Mutter, die ihn dazu zwingt, mit ihr die „Worte“ „lililililili“ oder „alialialialiali“ zu lesen. Diese Tatsache besitzt ein gewisses Amüsement, wenn man bedenkt, dass sie lieber Toiletten reinigt und Müll entsorgt, als sich zu dem ermüdenden Versuch zu überwinden, einem kleinen Sturkopf, der lieber mit seinen Autos spielen würde, Lesen beizubringen. Sobald ihr der Geduldsfaden reißt, rennt Emanuel weinend beziehungsweise schreiend in sein Zimmer und lässt seine Wut an den unschuldigen Stofftieren aus – jene, die fürs Erste von den Zähnen des Familienhundes verschont geblieben sind. Seine Mutter hat nach einigen Versuchen, ihn zu besänftigen aufgegeben und widmet ihre Aufmerksamkeit wieder dem Wasserkochen zu, um währenddessen dem Jammern des nächsten Kindes zu lauschen.


So verstreichen die Tage. Stille wird von Fluchen, Geheule und Gekreische oder auch einfach nur von dem Geräusch zuschlagender Türen unterbrochen, alle versammeln sich zu Tisch, wo ein neuer Streit beginnt, sobald man mit seinen Spaghetti nicht zufrieden ist und lieber Penne möchte, man macht Witze und irgendwann lacht wieder jemand, dann trennen sich alle und die Stille, in der sich jeder auf seine Arbeit konzentriert, setzt wieder ein, bis sie unterbrochen wird. Eine Endlosschleife. Allerdings wurde noch kein Blut vergossen, niemand aus dem Haus gesperrt und es wurde auch noch nicht mit Mord gedroht. Bis jetzt…

 

Namen wurden…ANGEPASST/VERÄNDERT/AUSGESTAUSCHT

Weitere Texte: