Die schwierige Suche nach Bruckners "echter" Siebter war von Jubel gekrönt
Brucknertage St. Florian: Wie Rémy Ballot den Noten eine beeindruckende Linie entlockte.
Es gibt wohl zurzeit kaum einen Komponisten, bei dem die akribische Suche nach dem letztendlichen Willen des Meisters derart intensiv abläuft wie bei Bruckner.
Vor seinem 200. Geburtstag im Jahr 2024 versucht man, die "Wahrheit" zu entdecken, Fehler vorangegangener Ausgaben zu eliminieren und bereichert sie so wahrscheinlich mit ebenso vielen.
Bei der VII. Symphonie, die am Freitag bei den Brucknertagen mit dem Altomonte Orchester unter Rémy Ballot in der Stiftsbasilika St. Florian beeindruckend erklang, schien das nicht so einfach zu sein. Es gibt nur eine einzige Fassung und eine Niederschrift. Doch diese wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet, ja erscheint manchmal sogar widersprüchlich.
Die Wirkung liegt im Detail
Da geht es nicht nur um den nicht vom Komponisten stammenden Beckenschlag im zweiten Satz, sondern auch um vermeintliche Kleinigkeiten wie die Artikulation.
So scheinen die doch plump gesetzten Marcati das "Non confundar"-Thema, hergeleitet aus dem Te Deum, in Einzeltöne zerfallen zu lassen. Bruckner hat diese Artikulation sogar durch eine zusätzliche Anmerkung noch verstärkt. Doch das wirft Fragen auf: Ist diese Stelle nicht doch falsch notiert worden? Von wem?
So hat man für diesen Abend eine Fassung gewählt, die nach neuesten Erkenntnissen etwa genau diese Stelle anders phrasiert. Rémy Ballot lässt hier beinahe legato spielen, was vielleicht einen ausgeglicheneren, gebetsähnlichen Charakter erzeugen mag. Die Nachdrücklichkeit auf die christliche Hoffnung, bei Gott in Ewigkeit nicht zu Schanden zu kommen, was der Schlusssatz des Te Deum-Textes ausdrückt, geht aber dadurch verloren.
Überhaupt war diese Interpretation von doch sehr breiten Tempi geprägt. Ballot übertrifft im 2. Satz sogar den für extrem langsame Tempi bei Bruckner bekannten rumänischen Dirigenten Sergiu Celibidache. Dazu kam eine weichzeichnende Artikulation, die kaum Ecken und Kanten hatte.
Alles reine Interpretation
Das mag in einem guten Konzertsaal aufgehen, aber nicht in der halligen Stiftskirche. Dadurch wurde die eigentlich differenzierte Artikulation der einzelnen Themen nivelliert. Selbst wenn der Notentext "bereinigt" sein mag, sind viele Aspekte unbestimmt.
Denn was heißt "sehr langsam" überhaupt? Bruckner verwendete kein Metronom, somit ist alleine bei der Tempowahl eine große Bandbreite gegeben. Auch Wagner – der Schluss des 2. Satzes ist unmittelbar unter dem Einfluss des Todes des von Bruckner höchst verehrten Meisters entstanden – beklagte immer wieder: Seine Musik werde zu langsam, zu laut und mit viel zu viel Vibrato gespielt. Vibrato ist eben auch ein Thema der Umsetzung, da es nicht notiert ist. Es obliegt somit dem Interpreten. So kann eine Musik eine ganz andere Aussage bekommen.
Also zu vermuten, dass "richtigere" Noten eine "richtigere" Interpretation ergeben, ist beinahe einfältig. So wird man auch weiterhin auf der Suche sein. Das ist gut, denn so bleibt die Musik lebendig.
Fazit: Es ist eine überzeugende, einer Linie gewissenhaft folgende Aufführung entstanden. Vom bestens disponierten Altomonte Orchester vollkommen verinnerlicht, war es ein zu Recht heftig bejubeltes Konzert.
Hintergrund
Wie es zur „bereinigten“ Fassung der Siebten kam: Auf Initiative der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek wird die von Leopold Nowak geschaffene Bruckner-Gesamtausgabe neu aufgelegt. Herausgeber wird der kanadische Bruckner-Spezialist Paul Hawkshaw.
Er spürte mit CSI-Methoden nachträgliche Ergänzungen und Korrekturen von Bruckners Schülern Joseph und Franz Schalk auf und entfernte diese aus dem Original des Komponisten.
...phasenweise hatte ich das Gefühl, dass der Streicherklang wie ein Nebel durch die Basilika schwebte, von den Instrumenten unabhängig. Das funktioniert nur in der speziellen Akustik von St. Florian und die hat Remy Ballot wie ein eigenes Instrument integriert. Und auch Bruckner kannte diesen Raum wie kein anderer und viele Symphonien sind hier entstanden und er hat sie an der Orgel "ausprobiert". Das heißt der Klang war im vertraut.
Das Nonconfundar-Thema ist das Thema des Te Deums, das heißt nicht,dass dieses Thema in der 7. Symphonie wortwörtlich zu nehmen ist. Es ist die gleiche Tonfolge, aber nicht das gleiche Programm dahinter.
Ich gratuliere jedenfalls Remy Ballot und dem Altomonte-Orchester zu dieser sensationellen Aufführung.
Bruckner ist kein Symphonien schreibender Wagner. Seine Begeisterung für Wagner hat mit seiner eigenen Musik nichts zu tun. Manche haben das erkannt, manche nicht. Nikolaus Harnoncourt dürfte es erkannt haben, daher sein Ausspruch, dass Bruckner wie eine "Stein vom Mond" gefallen sei.
Die Mähr, wer Wagner dirigieren kann, kann auch Bruckner ist leider nicht auszurotten. Wagner konnte es nicht schnelle genug sein und Bruckner hat die Dirigenten seiner Zeit immer gedrängt langsam zu dirigieren.
Und jetzt nahezu 200 Jahre Bruckners Geburt ist es wirklich an der Zeit Bruckner und Wagner auseinanderzuhalten. Da die Brüder Schalk versucht haben Bruckner zu verwagnern, ist es nun endlich legitim nach dem wahren Bruckner zu forschen.
Unabhängig davon ist der jeweilige Musikgeschmack, darüber läßt sich aber nicht streien, da hat jeder seine eigene Wahrheit.
Ich war im Konzert und gerade der zweite Satz hatte für micht Sphärenklänge. Phasenweise hatte ich das Gefühl,....
Ja, es stimmt, sie war "von Jubel gekrönt". Ein Jubel, dem ich nicht einstimmen konnte. Sie war faad, ohne Aussage, ohne Bewegung. Ein bisserl Wagnerianischer Pomp hätte dieser kirchlichen Symphonie gut getan. Die Wagner-Tuben sind untergegangen. Es stimmt schon, der Zweite Satz ist von Bruckner als sehr langsam geschrieben, aber sicher nicht als sehr faad.
Der Dritte Satz war eine Auflockerung, bis dann der Vierte Satz wieder ohne Ausdruck gespielt wurde. Berühmt wäre Bruckner mit dieser Einstudierung nicht geworden.
Respekt!
Es kann Ballots Leistung gar nicht genug gewürdigt werden, wenn man weiß, dass das Orchester in dieser Konstellation, mit vielen internationalen Gastmusikern, jährlich nur bei den Brucknertagen zusammenkommt. Man muss sich das einmal vorstellen: 2,5 Tage Proben mit einem noch nicht eingespielten Orchester, 1 Konzert, daraus entsteht dann die Aufnahme. Diese wird wohl wieder - wie die letzten Aufnahmen seit 2013 - bei den wichtigsten internationalen Musikmedien Kritikerjubelchöre abräumen. Natürlich war das Altomonte-Orchester "bestens disponiert", nur sollte auch die Frage gestellt werden, woher das kommt. Aus dem Nichts sicherlich nicht ...
lieber etwas langsamer als die "moderne Hetze" bei so manchen Aufführungen. Nicht nur bei Bruckner.
Ist doch nicht so wichtig*) - in der zugebretterten und zugenagelten Stiftsbasilika.
*) auch schon egal = genau so hat es Bruckner gewollt. Bravooo!