OÖN-Karikaturist Horst Haitzinger: Strichwörtlich ein Alter Meister
Er zeichnet nicht nur seit Jahrzehnten mit unverkennbarem Strich für die OÖNachrichten, er zählt auch zu den bekanntesten Karikaturisten im gesamten deutschsprachigen Raum: Horst Haitzinger. Nächste Woche wird er 80 Jahre alt. Ein Grund, den während des Zweiten Weltkriegs in Traun aufgewachsenen Künstler vor den Vorhang zu holen.
Die Alliierten haben gerade Linz bombardiert. Die letzten Bomben des Angriffs werden über Traun abgeworfen. Der fünfjährige Horst sitzt in einem Luftschutzkeller. Sein Vater, Postenkommandant bei der Gendarmerie in Traun, ist nach Hause unterwegs. Doch in unmittelbarer Nähe explodiert eine Bombe, ein Splitter trifft den Gendarmen und reißt ihn aus dem jungen Leben, macht Horst und seine um zehn Jahre ältere Schwester zu Halbwaisen.
Ein unheimlich netter und gütiger Vater sei er gewesen, sagt Horst Haitzinger. Aber genaue Erinnerungen sind längst verblasst, an seinen Vater und auch an den Zweiten Weltkrieg. Freilich, die Bombenangriffe, der Luftschutzkeller, der Verlust seines Vaters – die markanten Eckpfeiler dieser Zeit haben sich eingebrannt. Der Rest sei aber künstlich Aufgewärmtes. Zu klein sei er damals gewesen. Und doch waren es für sein Leben prägende Eindrücke – unbewusst.
Seine Kindheit sei dennoch glücklich gewesen. "Es gab ja keinen Vergleich, wir waren alle vom Krieg betroffen – alles war egalisiert", sagt der am 19. Juni 1939 in Eferding, in der damaligen Ostmark, geborene Haitzinger. "Ich hatte eine glückliche Volksschulzeit und eine todunglückliche Hauptschulzeit."
Todunglücklich? "Weil ich eine Schulniete war. In Mathe hab’ ich gelitten, es war furchtbar. Erst viel später, in München, ist mir klar geworden, dass der Großteil meiner Lehrer alte Nazis waren, aber das hat man als Kind natürlich nicht gespannt, es war ja auch nichts anderes da."
Doch bei allem Unglück in dieser Zeit hatte Haitzinger vor allem eines: eine Mutter, die das Talent ihres jungen Buben erkannte und alles in Kauf genommen hat, um ihn zu fördern und ihm die Kunstgewerbeschule in Linz zu ermöglichen. Hier fand er schnell wieder Freude am Lernen. "Ich habe quer durch meine Schulzeit mit Zeichnen brilliert, das war mein Highlight, das hat mir auch meine Berufswahl erleichtert, weil ich mich damals schon für Karikaturen interessiert habe", erinnert sich Haitzinger, der sich wöchentlich Ausgaben der deutschen Satirezeitung "Simplicissimus" gekauft hat mit der Zielvorgabe, dort einmal zu landen.
Doch noch war es ein Fernziel. Und um ihm dieses zu ermöglichen, nahm seine Mutter viel in Kauf und musste sich gegen die guten Ratschläge aus der eigenen Verwandtschaft wehren. "Mei, Liesl, kannst du den Buben nichts G’scheites lernen lassen", hieß es damals. Doch genau das tat sie.
"Für meine Mutter war es brutal. Sie hat grauenhaft stupide Heimarbeit gemacht, um mir das Studium zu finanzieren. Das war für mein ganzes Leben maßstabbildend."
Und es hat sich ausgezahlt: 1957, nach seinem Abschluss, übersiedelte Haitzinger nach München, wo er an der Akademie der Bildenden Künste Malerei und Grafik studierte und seine Anfänge als Karikaturist im Linzer Tagblatt und der Furche hatte. Parallel dazu belagerte er die Redaktion des "Simplicissimus" mit kiloweise Zeichnungen. Bis er dem Chefredakteur Otto Iffland aufgefallen ist. "Er war ein origineller Mann, der mich gefördert hat. Er hat schnell gemerkt, dass mir etwas einfällt, meine Ideen hat er anderen Zeichnern gegeben, aber dafür durfte ich veröffentlichen."
Suche nach einer Vaterfigur
Iffland war mehr als Chef und Förderer für ihn – er war Vaterfigur. "Wenn man ohne Vater aufwächst, dann prägt einen das. Mir ist aber erst im fortgeschrittenen Alter bewusst geworden, warum ich ständig Anschluss an ältere Freunde gesucht habe – mein ganzer Freundeskreis in München war zehn, fünfzehn Jahre älter als ich. Ich hatte immer ein Anschlussbedürfnis an eine Vaterfigur."
In München, wo er bis heute mit seiner Frau, mit der er seit "Jahrhunderten verheiratet ist", lebt, hat er rasch Fuß gefasst. "Ich durfte auch Titelblätter zeichnen, das war ein sensationeller Erfolg. Nachdem ich wusste, wie meine Mutter in meiner Hauptschulzeit mitgelitten hat, wollte ich ihr auch zeigen: ‚Ja, der Bua funktioniert‘. Sie war auch sehr glücklich darüber."
In den folgenden Jahren ging es dann schnell. Der Verleger der Nürnberger Nachrichten unterbreitete ihm ein Angebot. "Er war ebenfalls eine Vaterfigur für mich. Er war ein unheimlich heiterer und aufgeschlossener Mensch – und das, obwohl er acht Jahre lang durch die grauenhaften Konzentrationslager der Nazis gegangen war", sagt Haitzinger, der bis zum heutigen Tag Mitarbeiter der Nürnberger Nachrichten ist.
Die "Christuszwillinge"
Getrübt war die Zusammenarbeit nur einmal: Haitzinger zeichnete einen Zyklus von acht Farbbildern, wonach die Weltgeschichte auch anders hätte laufen können. Auf einem Bild war der Stall in Bethlehem zu sehen – in der Krippe die Christuszwillinge. Als Josef dann die Heiligen Drei Könige sieht, sagt er zu Maria: "Ich gehe mit einem hinter den Stall."
Das Pech: Das ursprünglich für den Playboy gezeichnete Blatt kam just zu Weihnachten auch in die Nürnberger Nachrichten.
"Es brach ein Skandal los, das können Sie sich nicht vorstellen", sagt Haitzinger. "Von der Kanzel wurde zum Boykott der Zeitung aufgerufen. Dabei war das weiß Gott nicht meine Absicht. Ich wollte nie mit Geschmacklosigkeiten Furore machen. Aber das war Ende der 1970er-Jahre. Heute würde das kaum noch aufregen. Ich hätte mich dann noch schriftlich beim richtigen der beiden Christkinder entschuldigt, aber der Satz wurde in einer öffentlichen Entschuldigung des Verlags rausgestrichen."
Über das Ausmaß und die Intensität der Kritik ist Haitzinger heute noch erstaunt, wenngleich er beim Erzählen lachen muss. "Ich wollte ja keine Religionskritik damit betreiben, sondern lediglich Bespaßung." Was zur Frage führt, ob Religion sakrosankt sei? "Nein. Man darf sich über Religion lustig machen, wenn ein substanzieller Gedanke dahinter steckt. Ich bin aber nicht der Ansicht, dass Satire alles darf. Was sie darf, dafür kann ich auch keine Regel aufstellen, dass muss man selbst entscheiden."
Tag für Tag eine Zeichnung
Rund 15.000 Zeichnungen hat er in seinem Leben bisher geschaffen. Jeden Tag eine. Dabei folgt er einem festen Ablauf. Nach dem Aufstehen – "ich bin Langschläfer und steh’ gegen 9 Uhr auf" – dreht er das Radio zu Hause in der Nähe des Olympiabergs in München auf und hört Nachrichten. Dann überlegt er – "der schwierigste Prozess beim Zeichnen". Gegen Mittag spricht er sich mit seiner Stammredaktion, der "TZ", ab. Bis 15 Uhr hat er geliefert. Einen Fernseher zum Studieren der Politiker hat er erst seit zehn Jahren, und selbst jetzt greift er noch lieber auf sein umfangreiches "Verbrecheralbum" – seine Bildersammlung – zurück.
Für einen Karikaturisten ist ein großes humanistisches Wissen unumgänglich. Die griechische Mythologie, Alte Meister, Märchen, biblische Geschichten – all das verwendet er, dient ihm als Metapher. Das Problem dabei: "Ein Teil meiner Metaphern greift nicht mehr, viele Junge haben keinen Bezug mehr dazu, können dieses Wissen nicht abrufen. Die haben häufig nicht den Fundus, der zum Verständnis der Karikatur notwendig ist. Aber wie sonst sollte ich Europa darstellen, wenn nicht als Figur aus der Mythologie?"
Sich selbst verewigt er übrigens nicht in seinen Karikaturen. Wenngleich ihm einmal ein Freund gesagt hat, dass jene Figur, der Anonymus, die er immer wieder einbaut, ohnehin ihm gleiche. Und genau so wie der Anonymus, der meist völlig entgeistert nach links und rechts blickt und nicht weiß, wie ihm geschieht, geht es Haitzinger selbst hin und wieder.
Meinung ja, Emotion nein
Als Karikaturist muss er stets eine Meinung haben, doch es fällt ihm zunehmend schwerer, weil die politischen Verquickungen dermaßen kompliziert geworden seien.
Doch trotz Meinung und persönlicher Einschätzung des Weltgeschehens stellt er Emotionen – wie Hass – in seinen Karikaturen hintan. So sei Putin für ihn zwar ein Fuchs, eine fragwürdige Nummer, zu viel der Emotion sei seiner kritischen Haltung aber hinderlich. "Ich äußere mich dezidiert, aber es muss Sachlichkeit durchscheinen." So würden einige Kollegen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel regelrecht hassen, er wüsste aber nicht, warum. "Ich bin mir ihrer politischen Defizite bewusst, aber ich habe das Gefühl, dass sie einen absolut redlichen Charakter hat."
Merkel schüttelt Haitzinger mit einer gewissen Naivität in der Mimik aus dem Handgelenk. Auch Helmut Kohl und Franz Josef Strauß waren dankbare Figuren. "Aber ich bin schon froh, wenn immer mal jemand Neuer kommt."
Hingegen sind viele Themen, die er zeichnet, wiederkehrend. Viele Karikaturen aus den 90ern könnten ungesehen auch heute verwendet werden, ohne dass es jemandem auffallen würde. Die Erde am Rande des Kollapses, Wirtschaftskrisen, Terror ... der bekennende Umwelt- und Naturschützer müsste lediglich die Jahreszahl ändern.
Frustrierend? "Das kann ich mit einem lapidaren ‚Ja‘ beantworten."
Was ihn hingegen freut, ist, in sein 140 Jahre altes Wochenendhaus, das er renoviert hat, zu fahren, um dort an seinen Ölbildern zu malen. Zur Jahrtausendwende hat er damit angefangen, eines pro Jahr schafft er – "hier vergesse ich dann auch Putin und Trump."
Die Motive sind andere. Inspiriert auch von den Alten Meistern wie Pieter Bruegel dem Älteren. Mehrmals hat er im Kunsthistorischen Museum in Wien Alarm ausgelöst, als er den "Turmbau zu Babel" studiert hat. Haitzinger hat die Hybris, den Größenwahn, den Bruegel eingefangen hat, in seinem Atelier weitergesponnen. Der Turm, der in den Wolken endet, geht bei ihm in den Wolken weiter und weiter und weiter. Der Größenwahn wiederholt sich.
Gewählt wird in Österreich
Bescheiden ist hingegen Haitzinger. Seine Töchter organisieren ein Fest, zu dem er nur unter einer Bedingung zugesagt hat: "Dass niemand ein selbstgefertigtes Gedicht aufsagt." Wichtig ist ihm ohnehin, die Zeit mit seinen Liebsten, seiner Frau, den Töchtern, seinen fünf Enkelkindern und seiner acht Monate alten Urenkelin zu verbringen.
Ob er im September zur Nationalratswahl in Österreich auch eine strichwörtliche Meinung hat, verrät er noch nicht. Eine klare Meinung, wen er wählen wird, hat er gewiss. Denn Haitzinger ist immer noch österreichischer Staatsbürger. Deutscher war er nur, als er noch in Traun gelebt hat, damals, als die Bomben der Alliierten auch auf die Ostmark niedergingen.
Das sagen die OÖN-Karikaturisten über Horst Haitzinger
„Horst Haitzinger begleitet mich seit meiner Jugend, ohne ihn gekannt zu haben. Er ist über Jahrzehnte ein sehr guter Karikaturist mit einem sehr kraftvollen Strich. Bei ihm erkennt man jede Figur, man erkennt sofort, wer gemeint ist, das ist hohe Kunst. Und doch schimmert hinter jeder seiner Figuren auch immer das Liebevolle eines Menschen durch. Horst ist kein Provokateur, er ist ein Kommentator. Aber freilich, es kann auch zu Missverständnissen kommen, das ist so, wenn man Ecken und Kanten hat, das regt aber auch den Diskurs an. Ein Porträt in den OÖN steht dem Horst zu seinem 80er zu.“
Gerhard Haderer, der gebürtige Leondinger und Karikaturist hat für Haitzinger heuer auch die
Laudatio bei der Eröffnung einer Ausstellung in der Galerie Traun gehalten.
„Auch wenn ich ihn nicht persönlich kenne, so habe ich ihn schon als junger Karikaturist wahrgenommen.
Ich bewundere es, dass er schon so lange zeichnet, immer wieder neue Ideen reinzubringen, das strengt an, und seinen Stil hat er jetzt schon seit mehr als fünf Jahrzehnten. Horst Haitzinger ist eine absolute Größe, das beweist auch dieses Beispiel: Ich war vor zwei Jahren in Berlin im Willy-Brandt-Haus. Und dort habe ich eine seiner Karikaturen sofort erkannt. Eine riesige Karikatur von Willy Brandt, die aus dem Jahre 1971 stammt. Ich hoffe, er macht noch lange weiter.“
Gerald Mayerhofer, der Karikaturist zeichnet seit sieben Jahren für die OÖNachrichten – er hat zuvor unter anderem auch für die renommierte New York Times gearbeitet.
Hoffentlich bekommt Herr Haitzinger nicht zu viel FAX-Spam, wenn die OÖN seine Faxnummer, mit der er seine Zeichnungen verschickt, am Bildrand eingeblendet lässt.
Gartulier zum Geburtstag und noch viele, viele gute Jahre!