Euthanasie-Gedenken in "Klein Auschwitz"
HARTHEIM. Botschafter und Botschaftsvertreter aus 19 Ländern kamen nach Hartheim, um die 30.000 Ermordeten zu würdigen
Dienstagnachmittag, 17 Uhr, Schloss Hartheim. Kaum einmal finden sich so viele Botschafter, Botschafterinnen und Vertreter gleichzeitig an einem Platz ein wie hier. Deutschland, Spanien, Frankreich, Polen, Tschechien, Litauen … Für alle ist es eine Selbstverständlichkeit, am 1. Oktober jedes Jahres den Weg nach Hartheim anzutreten und zu gedenken.
Zum Gedenken daran, was geschehen ist. 30.000 Menschen wurden hier im Renaissanceschloss Hartheim vergast und verbrannt. "Klein Auschwitz" wird Hartheim genannt. Hier wurde getestet, was in Auschwitz zur Perfektion getrieben wurde: die industrielle Ermordung von Menschen. Im Falle von Hartheim waren es Menschen mit Beeinträchtigung und dann, als die Kapazitäten der Gaskammern in den Konzentrationslagern Mauthausen, Dachau und Ravensbrück ausgelastet waren, KZ-Häftlinge.
Versagen der Nachkriegsjustiz
Wie jedes Jahr gibt es beim Gedenken einen Gastredner, diesmal war es der Schauspieler Nikolaus Habjan, der mit seinem Figurentheaterstück "F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig" seit zwölf Jahren unterwegs ist. Zawrel war ein Überlebender des Kindereuthanasieprojektes "Am Spiegelgrund" in Wien – von wo Tausende Kinder nach Hartheim transportiert wurden. Das Stück thematisiert Zawrels Leben, aber auch die Nachkriegsjustiz und den saloppen Umgang mit den Mördern.
Dem widmete Habjan auch seine Rede. Er griff hierin die Taten von Ärzten und Pflegerinnen auf. Ärzten und Pflegerinnen, die auch in Hartheim tätig waren. Menschen, die anderen Menschen Grausamkeiten antaten – bevor oder nachdem sie sie getötet hatten. Habjan thematisierte auch das Versagen der Nachkriegsjustiz – auch dank ihres Ministers Christian Broda. Denn die Verbrechen wurden – so es zur Verhandlung kam – oft lediglich abgemahnt, im für sie besten Fall durften sie ihre Berufe weiter ausüben. Habjan hielt in seiner Rede das Erinnern hoch, "denn es ist geschehen und es geschieht nach wie vor und wird weiter geschehen, wenn nichts dagegen geschieht", zitierte er ein Gedicht von Erich Fried. Er untermauerte dies mit jüngst publik gewordene Fällen von – es gilt die Unschuldsvermutung – NS-Verharmlosung eines Magistratsmitarbeiters, der mit ausgestreckter rechter Hand tanzend gefilmt wurde, und mit dem Singen eines SS-Lieds bei einer Beerdigung vor wenigen Tagen.
Landeshauptmann Thomas Stelzer, der Oberösterreich bei der Gedenkfeier repräsentierte, mahnte, dass diese Verbrechen "nur ein Menschenleben lang her" seien. Er sprach vom Abgrund, der in Hartheim ausgeschildert sei, und davon, dass es heute keine Toleranz für zerstörungswütige Hetzer geben dürfe: "Wäre es der einzige Erfolg der EU, den Frieden zu sichern, dann wäre es aller Mühen wert."
Danach gab es Wortspenden von kirchlichen Würdenträgern, der jüdischen, der evangelischen und der katholischen Gemeinde – der Tradition folgend, aus der dieser Gedenktag entstanden ist. Und seit Hartheim vor genau 20 Jahren auch ein Lern- und Gedenkort wurde, erweisen auch die Botschaften den Ermordeten ihre Ehre.
Ausstellung
Am 1. Oktober wurde im Schloss Hartheim die Ausstellung „Streiflichter im Nebel“ eröffnet. Diese wurde von Schülerinnen und Schülern des Linzer Körnergymnasiums gemeinsam mit Menschen mit Beeinträchtigungen ausgearbeitet. „Die Jugendlichen sind 15 bis 17 Jahre alt und haben jahrgangs- und fächerübergreifend zusammengearbeitet“, sagt Peter Pohn, der mit Andreas Egger und Cornelia Werth vom Lehrerkollegium die Projektleitung innehatte.
Entstanden sind nicht nur Fotografien und Bilder, die Schüler haben auch Gespräche mit Opferangehörigen geführt, die Teil der Ausstellung sind.
Wie prägend diese Erfahrung für die Jugendlichen war, zeigt sich daran, dass Julia Beck, Schülerin im Gymnasium, eine Arbeit zum Thema schreibt: „Ich will die Bedeutung des Widerstands gegen das NS-Regime beleuchten und die Grausamkeiten der Euthanasie aufzeigen. Es ist wichtig, das Gedenken an die Opfer zu bewahren und den Mut derjenigen zu würdigen, die sich gegen die Unmenschlichkeit stellten.