"Systemsprenger" in der Jugendhilfe: Wer sprengt hier wen oder was?
SANKT PÖLTEN. Pädagogische Enquete zum Umgang mit herausfordernden Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe
Wie geht man in der Kinder- und Jugendhilfe mit jenen Kindern und Jugendlichen um, die zum "Hoch-Risiko-Klientel" zählen, die die Systeme überfordern und mitunter sprengen, wie der Titel eines deutschen Kinofilms ("Systemsprenger") aus dem Jahr 2019 lautete?
Damit beschäftigte sich die pädagogische Enquete von Pro Juventute heuer an der Fachhochschule Sankt Pölten. Fachlichen Input lieferte in Sankt Pölten jener Mann, dessen Studie "Kinder, die Systeme sprengen" aus dem Jahr 2010 in Fachkreisen viel Beachtung fand – und der auch Berater beim Film "Systemsprenger" war: Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf.
Den Begriff "Systemsprenger" habe er jahrelang ungern benutzt, sagte er. Im wissenschaftlichen Diskurs halte er ihn auch nach wie vor für unpassend. Aber in der allgemeinen Diskussion finde er es mittlerweile in Ordnung, ihn zu benutzen, weil man die Schwierigkeiten von Kindern, die nicht dazugehören wollten oder könnten, auch benennen müsse, sagte Baumann. Der Begriff solle auch nicht die Kinder charakterisieren, sondern sei eine Bezeichnung des Zusammenspiels dieser Kinder mit den Systemen der Kinder- und Jugendhilfe.
Einig war man sich bei der anschließenden Podiumsdiskussion, dass es natürlich keine Option sei, diese Kinder als hoffnungslose Fälle abzustempeln. Für die Zielgruppe, aber auch für das Hilfesystem brauche es daher "intensivpädagogische Angebote, um psychische und physische Stabilität zu fördern", sagte Baumann. In der Jugendhilfe gelte: "Das Gegenteil von Scheitern ist nicht der Erfolg, sondern handlungsfähig zu bleiben."
Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SP) dankte für den pädagogischen Blick auf die Klienten. Karin Lauermann, die Direktorin des Bundesinstituts für Sozialpädagogik, hält beim Fachpersonal das Grundlagenwissen, aber auch dessen Umsetzung im Sinne einer verstehenden Haltung für unabdingbar. Für den Geschäftsführer des Arbeitskreises "Noah", Herbert Siegrist, ist es wichtig, dass bei einem Abbruch der pädagogischen Maßnahme (Unterbringung) im Anschluss Unterstützung geboten.
Die Gastgeberin der Enquete, Pro-Juventute-Geschäftsführerin Andrea Scharinger, betonte die Schwierigkeit, in einer altersgemischten Gruppe allen, auch besonders herausfordernden Kindern und Jugendlichen, gerecht werden zu können. Sie forderte zudem Eltern-Begleitfachdienste für alle stationär untergebrachten Kinder und Jugendlichen.
Pro Juventute ist ein gemeinnütziges Sozialunternehmen, das österreichweit sozialpädagogische Einrichtungen betreibt, in denen mehr als 300 Kinder und Jugendliche betreut werden.
Woher kommen diese Kinder? Genau dort müsste man ansetzen!