Präsidentenwahl in Rumänien: Offenbar Rechtsextremist und Bürgerliche in Stichwahl
BUKAREST. Neue Wende nach der rumänischen Präsidentenwahl: Nach dem überraschenden Sieg des Rechtsextremisten Calin Georgescu hat der favorisierte sozialdemokratische Regierungschef Marcel Ciolacu offenbar den Einzug in die Stichwahl am 8. Dezember verpasst.
Nach Auszählung fast aller Stimmen lag Ciolacu am Montag in der Früh ganz knapp hinter der bürgerlichen Oppositionsführerin Elena Lasconi. Exit-Polls hatten Ciolacu am Sonntagabend noch klar vorne gesehen.
Während Georgescu mit 22,95 Prozent klar den Sieg davontrug, kam Lasconi auf 19,17 Prozent oder 0,02 Prozentpunkte mehr als Ciolacu. Der Abstand betrug nur 2.000 Stimmen, wie rumänische Medien berichteten. Eine offizielle Mitteilung der rumänischen Wahlkommission zum Ausgang war noch ausständig. In einer Mitteilung um 9 Uhr Ortszeit (8 Uhr MEZ) war Ciolacu noch klar auf dem zweiten Platz gelegen. Lasconi konnte in der weiteren Auszählung offenbar vor allem bei den Auslandsrumänen punkten. Im Ausland wurden 950 Wahllokale eingerichtet, darunter 17 in Österreich.
Beispielloses Debakel für regierende Sozialdemokraten
Für die Sozialdemokraten (PSD) ist das Ausscheiden Ciolacus ein beispielloses Debakel. Allerdings hatte die dominierende Partei des Landes in den vergangenen zwei Jahrzehnten wenig Glück bei Präsidentenwahlen. PSD-Kandidaten schafften es jeweils in die Stichwahl, wurden dann aber von bürgerlichen Kandidaten wie zuletzt Amtsinhaber Klaus Iohannis geschlagen. Dieser durfte nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal antreten.
Politiker, Demoskopen und breite Teile der Gesellschaft standen in der Nacht auf Sonntag unter Schock wegen des überraschenden Sieges des wenig bekannten Extremisten und Antisemiten Georgescu. Rumänische Soziologen sprachen in Live-Schaltungen und Wahlanalysen von einer Wutwahl der rumänischen Bürgerinnen und Bürger - das Wahlergebnis sei ein eindeutiger Protest der Wählerschaft gegenüber dem Parteiensystem im Allgemeinen und den beiden Regierungsparteien PSD und Liberale (PNL) im Besonderen, die die stetig hohe Inflation (fünf Prozent) und zunehmende Verarmung der Menschen zu verantworten hätten.
Wahlsieger agierte "unter dem Radar"
Der parteifreie Georgescu sei de facto aus dem Nichts aufgetaucht, habe keine politische Partei hinter sich und im Wahlkampf stets "unter dem Radar" agiert bzw. fast ausschließlich über Social Media Plattformen, allen voran TikTok, mittels Influencern, Podcasts und Videos um Stimmen geworben, so der Tenor. Rumänische Politologen rätseln, ob der plötzliche Höhenflug Georgescus auf "die Dummheit" der Wählerschaft oder auf eine gezielte Einmischung Russlands vor allem in den sozialen Netzwerken zugunsten des erklärten Putin-Bewunderers zurückzuführen sei - und sehen das Land völlig unerwartet auf dem Scheideweg.
Beobachter erwarten, dass es in der Stichwahl zu einer starken Mobilisierung des pro-westlichen Lagers kommen wird. Lasconi dürfte sich als Hoffnungsträgerin präsentieren, die das NATO-Land auf europafreundlichem Kurs hält. Für die Reformpolitikerin stellt der Einzug in die Endrunde der Präsidentenwahl den Höhepunkt ihrer noch jungen politischen Karriere dar. Die amtierende Bürgermeisterin der Kleinstadt Campulung Muscel und frühere TV-Journalistin war erst im Sommer zur neuen Vorsitzenden der bürgerlichen Oppositionspartei USR gewählt worden, als die alte Parteispitze infolge bitterer Wahleinbußen der Reformpartei bei der Kommunalwahl abgewählt wurde. Als Präsidentschaftsanwärterin ihrer Partei meldete sich Lasconi erst, nachdem sich keiner der erfahrerenen USR-Spitzenpolitiker zum Antritt im Präsidentenrennen bereit erklärt hatte. Sie sei sich sicher, dass "letztlich alles gut wird für Rumänien", sagte die Politikerin am Montagmorgen in einer ersten Reaktion.
"Rumänisches Volk hat 'Frieden' gerufen"
Am Wahlabend sagte Georgescu auf einer via Facebook übertragenen Pressekonferenz, das rumänische Volk sei "zum Bewusstsein erwacht" und habe seinen Willen bekundet, "nicht weiter auf Knien, nicht weiter unter Invasion, nicht weiter erniedrigt" zu bleiben. Wirtschaftliche Unsicherheit habe zu diesem Votum geführt. "Heute Abend hat das rumänische Volk "Frieden" gerufen", fügte Georgescu hinzu - wohl mit Blick auf Russlands Angriffskrieg auf die benachbarte Ukraine. Der als Viertplatzierter mit 14 Prozent der Stimmen ausgeschiedene Bewerber George Simion von der rechtsextremen Parlamentspartei AUR kündigte an, Georgescu in der Stichwahl zu unterstützen.
Russische Medien jubelten über den Sieg Georgescus. So berichtete die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Novosti, dass in Rumänien ein russlandfreundlicher Kandidat den Einzug in die Stichwahl um das höchste Amt in Staat geschafft habe, der die Beziehungen zwischen den beiden Ländern normalisieren wolle. Lasconi wurde von Ria Novosti indes als "Unterstützerin einer russlandfeindlichen Politik" beschrieben. Auch die Nachrichtenagentur TASS meldete, dass Georgescu eine "Normalisierung" der Beziehungen seines Landes zu Russland anstrebe und äußerst skeptisch in puncto Rumäniens NATO-Mitgliedschaft sei.
Extremist, Antisemit, Putin-Bewunderer
Der studierte Agronom Georgescu stand zunächst 2022 kurz im Rampenlicht, als die rechtsnationale AUR ihm das Amt eines Ehrenvorsitzenden der Partei anbot. Doch zerstritt sich AUR-Chef Simion wenig später mit dem 62-Jährigen, nachdem sich Georgescus Parolen selbst für Simion als zu radikal erwiesen. So hatte Georgescu mit Lobliedern auf die Hauptverantwortlichen des rumänischen Holocaust, Marschall Ion Antonescu, und den Führer der faschistischen "Eisernen Garde", Corneliu Zelea-Codreanu, für einen Eklat gesorgt. Die Generalstaatsanwaltschaft leitete anschließend auch strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn ein.
Georgescu setzt auf eine mystisch-religiöse Rhetorik, wobei er sich selbst nicht als "Kandidaten", sondern als einen "Berufenen" erachtet. "Einer für alle und alle für Gott", sagte er in einem seiner Wahlkampf-Podcasts. Er gilt als radikal extremistisch und antisemitisch, vertritt Anti-NATO-Ansichten und gilt als großer Putin-Bewunderer.
Präsident hat in Rumänien bedeutende Befugnisse
Da Rumänien eine semipräsidentielle Republik ist, hat das Staatsoberhaupt bedeutende politische Befugnisse. Laut rumänischer Verfassung liegt die Richtlinienkompetenz in puncto Außen- sowie Verteidigungspolitik beim Staatspräsidenten, der auch oberster Befehlshaber des Heeres ist und dem Verteidigungsrat des Landes vorsteht. Der Staatspräsident vertritt Rumänien zudem sowohl auf EU-Ebene bzw. bei den Gipfeltreffen des Europäischen Rates als auch völkerrechtlich. Er gilt als Garant der Unabhängigkeit des Landes, des Rechtsstaates sowie, im Fall politischer oder sozialer Spannungen, als Mittler zwischen Behörden und Gesellschaft.