Hörgeräte: Das Geschäft mit einem Tabu
WALS-HIMMELREICH. Jeder fünfte Österreicher hört schlecht. Trotzdem verzichten viele auf technische Hilfe. Was das für eine Branche bedeutet, die ihr Potenzial derzeit noch nicht voll ausschöpft.
1,8 Millionen Landsleute teilen das gleiche Problem: Sie hören schlecht. Die Hälfte dieser Menschen bräuchte Studien zufolge technische Hilfe, um den weiteren Verfall der Hörleistung zu stoppen. Doch Hörhilfen sind für viele offenbar nicht attraktiv: Nur rund 400.000 Österreicher haben ein Hörgerät.
"Das Potenzial auf dem Markt ist enorm", sagt Ursula Rumplmayr. Die 38-Jährige ist seit 1. April alleinige Geschäftsführerin beim Hörgeräte-Akustiker Hansaton aus Wals-Himmelreich bei Salzburg. Gemeinsam mit dem Grazer Unternehmen Neuroth und dem Steyrer Unternehmen Hartlauer dominiert Hansaton den Markt für Hörgeräte in Österreich. Der gemeinsame Anteil der "großen Drei" beträgt 80 Prozent. Neuroth setzt 125 Millionen Euro um, Hartlauer kommt mit Hörgeräten auf 60 Millionen Euro Umsatz. Bei Hansaton, das seit 2001 zum Schweizer Sonova-Konzern gehört, waren es im Vorjahr 32,5 Millionen Euro Umsatz.
Jedes Jahr werden in Österreich rund 85.000 Hörgeräte verkauft. Obwohl die Tendenz steigt, kämpfen Anbieter mit einigen Schwierigkeiten. Erstens sei schlechtes Hören in der Gesellschaft nach wie vor ein Tabuthema, sagt Rumplmayr: "Oft dauert es bis zu sieben Jahre, ehe Betroffene eine Hörbeeinträchtigung wahrnehmen und sich an Experten wenden." Viele schämen sich, ein Hörgerät zu tragen. Hinzu kommen jene, die zwar ein Hörgerät haben, es jedoch nicht nutzen. "Die Dunkelziffer bei den sogenannten Schubladen-Trägern ist hoch", sagt Rumplmayr.
Zweitens schrecken einige die Preise ab. Zwar tragen Krankenkassen die Kosten einer technisch vollwertigen Versorgung (792 Euro für ein Ohr, 1425,60 Euro für beide Ohren). Wer jedoch ein besseres Hörgerät will, muss tiefer in die Tasche greifen. Modelle der Spitzenklasse kosten bei Hansaton ab 2500 Euro je Ohr.
Drittens spielt der Beruf des Hörgeräteakustikers eine Rolle. In Österreich gebe es derzeit zwischen 600 und 700 Hörgeräteakustiker, schätzt Rumplmayr. Rund 200 sind es bei Hansaton, davon 39 in Ausbildung. Weil es schwierig sei, junge Menschen für die Ausbildung zu begeistern, sucht Hansaton bewusst jene, die sich auf dem zweiten Bildungsweg befinden: "Viele stammen aus sozialen Berufen oder der Gastronomie. Sie bringen Empathie mit."
Wachstum mit neuen Filialen
Um ihr Potenzial ausschöpfen zu können, vertrauen die Hörakustiker auch auf den technischen Fortschritt. Dass sich Hörgeräte heute via Bluetooth mit dem Handy oder dem Fernseher verbinden lassen, ist keine Überraschung mehr. Stärker im Kommen ist das Hörgerät zum Wiederaufladen. Ähnlich einer elektrischen Zahnbürste wird es mit Akku betrieben. Die Ladestation dient auch zur Reinigung.
Hansaton will aber nicht nur mit neuen Technologien, sondern auch mit neuen Standorten wachsen. Von den 95 Hörkompetenz-Zentren stehen 16 in Oberösterreich, bald eröffnet das siebzehnte in Perg. Rumplmayr: "Wir wollen Nahversorger sein."
Ursula Rumplmayr, Chefin bei Hansaton
Ein Tabu war bei Ärzten bis vor wenigen Jahren der Unterschied zwischen Schlechthören und Schlechtverstehen.
Mittlerweile wird er nicht mehr weggewischt oder überhört. Nur teuerste Geräte sind derzeit in der Lage, Verstehen auch in schwierigen Fällen zu unterstützen. Sie entstehen mmn, wenn zu lange schlecht gehört wird, das heißt zu lange auf Unterstützung durch Geräte „verzichtet“ wird.
Das heißt: Sofort zum HNO, wenn ein Verdacht besteht.