"Es muss menscheln, sonst ist es nicht echt für mich"
RIED. Kerstin Hofstätter ist bereits seit 25 Jahren bei Streetwork Ried: "Jede Lebensgeschichte verdient Wertschätzung", sagt die 48-Jährige
Streetwork Ried, von einigen bei der Gründung vor 25 Jahren noch etwas skeptisch beäugt, ist aus der Jugend- und Sozialarbeit der Region nicht mehr wegzudenken. Am Freitag, 23. September, und Samstag, 24. September, feiert Streetwork Ried, Anlaufstelle für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen zwölf und 25 Jahren , das Bestehen seit einem Vierteljahrhundert. Streetworkerin der ersten Stunde ist Kerstin Hofstätter. "Ich liebe meine Arbeit. Bei mir muss es, bei dem, was ich mache, menscheln, sonst ist es nicht echt für mich. Jede Lebensgeschichte ist einzigartig und verdient Aufmerksamkeit und Wertschätzung", sagt die 48-Jährige.
OÖN: 25 Jahre Streetwork in Ried. Sie sind seit Anfang an dabei. Nehmen Sie uns bitte kurz mit in Ihren allerersten Arbeitstag als Streetworkerin in Ried?
Kerstin Hofstätter: Manfred Humer, der damals mit mir begonnen hat, Streetwork Ried aufzubauen, und ich haben auf der Stadtgemeinde den Schlüssel für unser Büro im damaligen "alten Feuerwehrhaus" erhalten. Nachdem wir die Türe aufgesperrt haben, fanden wir einen Zettel auf dem Boden. Auf diesem stand: "Hallo, Streetworker, wo seid ihr. Wir warten schon auf euch im Brauerei-Park." Wir sind also dorthin, wo schon 20 junge Leute auf uns gewartet haben.
Gibt es in Oberösterreich einen Streetwork-Mitarbeiter, der schon länger an einem einzigen Standort arbeitet?
Nein. Norbert Danecker war bis zu seiner Pensionierung ähnlich lange in Braunau tätig. Er ist leider im Juni verstorben, was mich sehr traurig gemacht hat. Er war für mich nicht nur ein Wegbegleiter, sondern ein sehr guter Freund, der mir immer geholfen hat.
Sie haben in all den Jahren mit zahlreichen Kollegen in Ried zusammengearbeitet. Wie oft haben Sie eigentlich selber mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören?
Mit dem Gedanken habe ich sicher mehrfach gespielt, aber es ist so unwahrscheinlich schön mit den jungen Leuten zu arbeiten. Immer wieder mit einem neuen Kollegen an meiner Seite zu starten, ist eine Herkules-Aufgabe. Zwischendurch war ich dann immer wieder für längere Zeiträume ganz alleine. Das geht an die Substanz.
Was macht für Sie die Arbeit als Streetworkerin besonders?
Kein Tag gleicht dem anderen. Wenn man sich auf die jungen Personen einlässt, lernt man viele neue Facetten an diesen Menschen kennen. Dadurch, dass ich schon so lange in Ried bin, habe ich mir ein gut funktionierendes Netzwerk zu anderen Institutionen aufgebaut. Das ist vor allem im ländlichen Raum von großem Vorteil.
Wenn Sie die Streetworkarbeit 1997 mit jener 2022 vergleichen. Wo sind die größten Unterschiede?
1997 habe ich noch einen schriftlichen Dienstantrag mit einer Begründung, "warum Streetwork Ried ein Handy benötigt", nach Linz geschickt. Die Nummer ist auch heute noch dieselbe. Damals sind wir quasi als "stinknormale Personen" ohne Logos und Bekanntheit losgezogen. Die Schnelllebigkeit in der digitalen Welt ist sicher eine der größten Veränderungen. Früher gab es ein Telefon und persönliche Treffen. Jetzt bin ich auf Instagram, Snapchat, Tik-Tok, Telegram, Signal, WhatsApp und Facebook dienstlich vertreten. Hier erreicht man eine Fülle von jungen Menschen, aber ein Arbeitstag geht so oft bis spät in den Abend hinein.
Wie haben sich die Problemstellungen verändert?
Die Themen an sich haben sich gar nicht gravierend verändert. Es geht um Arbeit, Ausbildung, Familie, Geldsorgen, Wohnen, Sucht, Gewalt, Polizei und Gerichtsprozesse. Allerdings wird die Anzahl der Problematiken mehr.
Welche Auswirkungen hat Corona auf die jungen Menschen?
Ich glaube, dadurch haben wir eine Generation etwas vergessen, zum Teil sogar verloren. Corona hat viele gezwungen, noch mehr daheim zu sein und in die digitalen Welten zu flüchten.
Mit wie vielen Klienten haben Sie seit 1997 ungefähr gearbeitet?
Das ist schwer zu sagen. Viele begleiten wir zwischen drei und fünf Jahre. Insgesamt, würde ich schätzen, werden es wahrscheinlich zwischen 1500 und 2000 gewesen sein.
Wo liegen für Sie persönlich die größten Herausforderungen im stressigen beruflichen Alltag?
Auch wenn es zum Glück nicht so oft vorkommt, aber ich kann selber ganz schlecht mit dem Tod von jungen Leuten umgehen, das ist eine große Belastung. Ich sehe mich als Lobby und Sprachrohr für die Jugend. Es ist nicht leicht, etwas zu bewirken, Stichwort öffentliche Räume für die Jugend. Es kommt hin und wieder vor, das Gefühl zu haben, mit den Problemstellungen etwas alleine gelassen zu werden. Leider gibt es in Ried kein Angebot für eine offene Jugendarbeit, das würde auch uns entlasten.
Was würden Sie sich konkret von den Verantwortlichen der Rieder Stadtpolitik wünschen?
Eine schnelle Umsetzung von sichtbaren Angeboten für junge Personen. Damit ist kein großes Fest gemeint, sondern einfach Angebote, wo ich als junger Mensch das Gefühl erhalte, dass mich die Rieder hier haben wollen. Es braucht offene Räume und Treffpunkte für die Jugend. Wenn ich die Situation heute mit der von 2000 vergleiche, dann sehe ich keinen großen Unterschied. Ried hat viele schöne Plätze, aber kaum jemand unserer Klienten will sich dort länger aufhalten, weil alles sehr schnell sanktioniert wird. Die Konsequenz ist die Flucht in geschlossene Räume, wo man aber nicht weiß, was passiert. Mir ist es lieber, wenn ich mit den jungen Menschen im Freien diskutieren kann. Ich muss aber sagen, dass es in all den Jahren immer Vertreter der Politik mit einem offenen Ohr für die Anliegen von Streetwork Ried gab.
Am 23. und 24. September findet das 25-Jahr-Fest statt. Was ist geplant?
Der Freitag steht im Sparkassen-Stadtsaal im Zeichen unserer Bündnispartner, dazu wird es interessante Vorträge geben. Am Samstag findet von 15 bis 21 Uhr ein Mega-Straßenfest für Jung und Alt statt. Es ist, bei all dem Stress, eine wirklich unwahrscheinlich schöne Aufgabe, mit so vielen jungen Personen mit so unterschiedlichsten Charakteren und Talenten Tag für Tag zusammenarbeiten zu dürfen.
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