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Warum Pilgern so befreiend ist: Auf dem Weg in ein besseres Leben

Von Dietlind Hebestreit, 27. September 2022, 06:56 Uhr
Warum Pilgern so befreiend ist: Auf dem Weg in ein besseres Leben
Glücksmomente gehören zum Pilgern genauso dazu wie Zeiten des Zweifelns. Bild: Colourbox

Unterwegs zu sich selbst: Bei einer Pilgerreise lernt der Mensch, was wirklich wichtig ist. Oft gelingt es, emotionalen Ballast abzuwerfen und Impulse in den Alltag mitzunehmen

Die Jungen tun es, die Älteren tun es, die Gläubigen tun es und auch die Ungläubigen: Pilgern ist spätestens seit Hape Kerkelings Kassenschlager "Ich bin dann mal weg" ein Massenphänomen. Und wie alles, was in die Breite geht, hat der Kommerz auch dieses Thema fest im Griff.

Doch was steckt theologisch hinter dieser Variante des Gehens, die schon seit Jahrtausenden Menschen bewegt und doch immer noch eine Funktion zu erfüllen scheint? Franz Kogler vom Linzer Bibelwerk erklärt, dass jede Körperhaltung etwas ausdrückt: "Sitzen symbolisiert Herrschaft, beim Stehen ist man zum Aufbruch – oder zum Kampf – bereit, Liegen steht für das Darniederliegen, aber auch dafür, Energie aufzunehmen. Und Gehen bedeutet, sich auf den Weg zu machen und Neues zu erfahren." Egal ob man in der Bibel in das gelobte Land unterwegs ist oder nur ins nächste Dorf, um dort eine Braut abzuholen: Immer hat Gehen eine tiefere Bedeutung. "Gehen ist ein Grundthema der Bibel – von der ersten bis zur letzten Seite", sagt der 64-jährige Theologe. "Trotz der Mühen entsteht beim Pilgern eine gewisse Leichtigkeit. Es macht Augen und Ohren auf – das erzeugt Dankbarkeit. Das Ziel ist nicht Mariazell oder Santiago, sondern die Haustüre daheim, vor der ich beim Nachhausekommen anders stehe, als ich fortgegangen bin", sagt der Scharnsteiner.

Beim Gehen verdichtet sich Leben

Der neue Leiter des Bibelwerks, Reinhard Stiksel, legt das Thema Pilgern auch auf die Situation der Kirchen um: "Es geht darum, wohin wir als Christen unterwegs sind. Dafür sollte man immer ein Ziel vor Augen haben." Der 34-Jährige war im Sommer mit seiner Frau in Frankreich pilgern. "Das ist eine andere Form des Reisens – und nicht nur konfliktfrei. Da verdichtet sich Leben. Man fokussiert sich auf die einfachen Dinge des Lebens. Und man begegnet Menschen auf Augenhöhe." Auf Pilgerwegen unterwegs zu sein, mache einen noch nicht zum Pilger. "Man begegnet dort Weitwanderern und Menschen, die einfach einen günstigen Urlaub machen wollen. Pilgern ist zu einer Tourismus-Marke geworden. Immer geht es um die Einstellung. Was lasse ich an Veränderung zu? Traue ich mir zu, dass ich anders zurückkomme, als ich losgegangen bin? Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, merke ich schnell, was mich von relevanten Themen ablenkt", sagt der Theologe.

Die Pilger-Referentin der Diözese Linz, Andrea Reisinger, erklärt, warum diese Art des Reisens so guttut und warum Reduktion dabei so eine wichtige Rolle spielt: "Ich habe alles, was ich zum Leben brauche, im Rucksack. Einfachheit befreit enorm." Man kehre vertrauensvoll in den Alltag zurück. "Ich erlebe beim Pilgern: Was ich brauche, kommt zum richtigen Zeitpunkt daher. Ich erkenne, was im Leben notwendig und wichtig ist – und Belastendes tritt in den Hintergrund", sagt die 51-Jährige. Ein weiterer Pluspunkt: "Es ist ein Erlebnis, in der Natur dem Schöpfer zu begegnen."

Informationen zum Thema Pilgern unter www.dioezese-linz.at.

Anleitung zum Pilgern

Ferdinand Kaineder, Präsident der Katholischen Aktion Österreich, ist einer der bekanntesten und erfahrensten Pilger Oberösterreichs. Er erklärt, worauf es bei dieser Art des Fortbewegens ankommt:

  • Loslassen

Man pilgert, um etwas zu verlieren. Deshalb sollte man sich auf das Loslassen einstellen. Man kann sich das so vorstellen wie ein Sackerl, in das man ein Loch macht. Während des Weges verliert man dadurch nach und nach alles Belastende. Es muss leer werden, damit es wieder gefüllt werden kann.

  • Ein Ziel

Ein schönes Ziel ist wertvoll, egal ob man zehn, hundert oder tausend Kilometer geht. Man kann es während des Mühen des Pilgerns imaginieren. Zum Beispiel: „Ich bin in Assisi.“

  • Sich öffnen

Gehen ist keine Leistung, kein Sport, keine mechanische Bewegung. Es ist ein persönlicher Vorgang, währenddessen man sich öffnet. Das Leben kommt einem entgegen – und Menschen. So hat man die Chance, neue Sichtweisen kennenzulernen. Man sollte auch wahrnehmen, wo man ist.

  • Nicht reservieren

Meine Erfahrung ist, dass man kein Quartier reservieren muss – alleine oder bei Gruppen bis zu vier Personen. So geht man auf Menschen zu, erzählt ihnen, dass man pilgert und dass man eine Unterkunft sucht.

  • Gehsachen/Bleibesachen

Zwischen ihnen sollte man unterscheiden. Am Tagesziel wird hoffentlich eine Dusche das eine konsequent vom anderen trennen. Mehr Tipps unter www.kaineder.at

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Autorin
Dietlind Hebestreit
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