"Es macht einen großen Unterschied, ob man begleitet wird oder nicht"
LINZ. Das Projekt "mitgehen" will Menschen bei wichtigen Terminen bei Behörden oder Ärzten begleiten und ihnen damit den Rücken stärken.
Sieben Mal ist die 63-jährige Gerda Atzlinger bereits "mitgegangen" – einmal zur Pensionsversicherungsanstalt und sechsmal ins Krankenhaus. Die Personen, die sie begleitet hat, kannte sie vorher nicht. Auch hat sie sich bei den Terminen nicht eingemischt. Sie war lediglich dabei. Was nach einer Kleinigkeit klingt, ist für die Begleiteten eine Riesenerleichterung. Vor allem wenn Menschen Hilfe brauchen und zumindest gefühlt als Bittsteller auftreten, können diese Wege zur Qual werden. Manchmal hindern die eigene Scham und die Angst, von außen beschämt zu werden, vor dem Behördengang. Oder sie führen dazu, dass man verstummt und vom eigentlichen Gespräch gar nichts mehr mitbekommt. Genau hier setzt das Pilotprojekt "mitgehen" an, das seit April in Linz läuft.
Man wird anders empfangen
"Es ist ein ganz anderes Gefühl, ob man alleine oder gemeinsam zu einem Termin geht", sagt Lisa Himmelsbach vom Unabhängigen Landesfreiwilligenzentrum (ulf), die das Projekt leitet. Ämter und Behörden würden einen auch ganz anders empfangen, schon alleine weil noch jemand mithört. "Ich habe das auch bei mir erlebt, dass ich in schweren Situationen Freundinnen mitgenommen habe", sagt Atzlinger. Durch einen eigenen Ausweis hat die Begleitung auch einen offiziellen Charakter.
Behörden begrüßen die Idee
Das Projekt versteht sich aber nicht als Kritik an den Mitarbeitern in Magistrat und anderen. Vielmehr würden auch Behörden die Idee begrüßen, denn die Begleitung ist emotional nicht involviert, sieht die Dinge viel sachlicher und kann im Fall des Falles deeskalierend wirken. Seit April läuft das Pilotprojekt, 53 Einsätze wurden bisher absolviert. Der Ablauf ist simpel: Betroffene geben ihren Begleitwunsch beim ulf bekannt. Das schreibt den Mitgeh-Wunsch an die Freiwilligen aus und stellt den Kontakt her. Die bisherigen Erfahrungen überzeugen. "Die begleiteten Personen sind irrsinnig dankbar, und es ist einfach schön zu sehen, dass man mit so einem geringen Aufwand so viel bewirken kann", sagt Himmelsbach.
Ausgedacht haben sich die Idee übrigens nicht Sozialarbeiter, sondern Armutsbetroffene selbst, die sich vor Jahren bei der Plattform "Sichtbar werden" mit dem Thema "Beschämung" auseinandergesetzt haben.
Mehr Infos zur Plattform finden Sie hier: armutskonferenz.at/aktivitaeten/sichtbar-werden
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