Die Aufhebung der Geschlechter-Rollen im Kampf um die Liebe
Salzburger Festspiele: Eifrig beklatschte Premiere von Kleists "Penthesilea" in der Regie von Johan Simons
Wer nicht zwei Stunden höchst konzentriert den Dialogen folgt und sich von knarzenden Sesseln sowie das Salzburger Landestheater verlassendem Publikum ablenken lässt, der ist draußen aus diesem Tanz zweier Liebender, zu dem Regisseur Johan Simons das 1808 geschriebene und erst 1876 uraufgeführte Kleist-Trauerspiel "Penthesilea" eingedampft hat. Auf der Bühne lediglich zwei Schauspieler sowie ein sich ausdehnender und wieder verkleinernder Lichtbalken, dessen Strahlkraft in den Augen brennt (Bühne: Johannes Schütz). Sandra Hüller, die Nicht-Theaterbesucher als Peter Simonischeks Filmtochter aus "Toni Erdmann" kennen, in der Titelrolle. Jens Harzer als Achilles, der in unzähligen Kriegen erprobte Haudegen mit der schwachen Ferse, der sich von der Amazonen-Königin besiegen lassen möchte, um ihr Herz zu gewinnen. Amazonen dürfen nach göttlicher Weisung nur jene Männer lieben, denen sie im Kampf überlegen waren.
Sonst nichts und niemand. Die schwarze Kargheit im Hintergrund verdunkelt die finsterste Zeit der Kriege.
Zeitgemäßes Wechselspiel
Wer ist hier nun Frau oder Macho, Mann oder Freibeuterin? Die Inszenierung des neuen Chefs des Bochumer Schauspielhauses, das bei dieser Produktion mit den Salzburger Festspielen kooperiert, vermeidet derlei Sicherheiten. Vielmehr wird ein zeitgemäßes Wechselspiel der Rollen gefeiert. Es sind die Worte, die Realität definieren, weil es für die beiden Spieler wenig Handfestes zu spielen gibt. Dass die zwei Stunden dennoch Magnetismus entwickeln, liegt an Hüller und Harzer, deren beinahe nackte Figuren einander begehren, verehren, ohne einander nicht sein können und dennoch morden müssen. Das Publikum ist an Ballett oder Performances erinnert. Vor allem, wenn Hüllers Worte an der Rampe des Landestheaters unverständlich zerbersten, weil sie ein Tempo wie in alltäglichen Auseinandersetzungen anzieht.
Für die Amazonen-Königin mag es Spiel und Ausloten der Möglichkeit sein. Für Achilles ist es die Fortsetzung des ewigen Kampfes innerhalb göttlicher Regeln. Langsam und bedächtig, ist Harzer nicht nur sprachlicher Kontrast. Die beiden klopfen die Mythologie auf das irdisch Mögliche ab, manifestiert in der Preisgabe von Achilles’ verwundbarer Ferse, die beide herzhaft bekichern. So schön und unbeschwert könnte die Liebe sein.
Fazit: Performative Vertiefung eines dramatischen Klassikers. Grandioses Schauspiel, mehr Konzept als Regie.
Salzburger Festspiele: "Penthesilea" von Heinrich von Kleist, Premiere: 29. Juli, Salzburger Landestheater. Regie: Johan Simons.
Undefinierte Geschlechterrollen sind also zeitgemäß. Wahrscheinlich stimmt das sogar. Welch eine Schande, diesen "zeitgemäßen" Schwachsinn auch noch zu unterstützen!
Alles aufheben, dann ist alles gut.
Die dann Orientierungslosen werden schon ihrer Führe finden. Die anderen dürfen sich wundern.
Eines kann man dem Publikum, welches den Theatersaal verlässt nicht andichten - dass sie orientierungslos wären.
Sie beweisen damit nur guten Geschmack.