Ein mahlerisches "Urlicht" strahlt über Bad Ischl hinaus in die Welt
Standing Ovations im Kongress- und Theaterhaus Bad Ischl gab es am Samstag für die akrobatischen Reise in Mahlers Klangwelt mit der Musicbanda Franui, der australischen Gruppe Circa und Talenten aus der Region.
Meterhoch – vier Menschenetagen – klettern sie aufeinander, stürzen in die Tiefe. So atemberaubend viele Momente mit den australischen Akrobaten des Circa Ensembles sind, so berührend sind jene, in denen die zehn Profis gemeinsame Sache mit dem heimischen Nachwuchs machen – 15 Talente von "GmC lighthouse" aus Bad Goisern und Umgebung, die sie behutsam heben und wie Pendel schwingen lassen, zu den Klängen der Osttiroler Musicbanda Franui.
Ein "Urlicht", das Kontinente, Kunstgenres, Generationen und Zeiten überstrahlt, leuchtete am Samstag und Sonntag als Gesamtkunstwerk im Kongress- und Theaterhaus Bad Ischl, wo die Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 zur akrobatischen Reise in Gustav Mahlers Liederwelt lud. Die Franui-Musiker, Trompeter und Ensembleleiter Andreas Schett und Markus Kraler (Kontrabass und Akkordeon) haben Lieder aus verschiedenen Zyklen – von "Des Knaben Wunderhorn", "Lieder eines fahrenden Gesellen" bis zu "Das Lied von der Erde" – für ihr zehnköpfiges "Taschenorchester" arrangiert.
Immer wieder schimmert der "Mahler-Sound" in schmerzlicher, erhabener Schönheit durch und trifft auf kernig-erdige Rhythmen, wenn etwa die Tuba im Walzertakt die volksmusikalische Quelle Mahlers sprudeln lässt.
Circa-Regisseur Yaron Lifschitz fädelt in gut 70 Minuten ineinanderfließende Szenen zur Kette eindringlicher Bilder voll poetischer Kraft. Wenn Geige oder Trompete verinnerlicht singen und mit akrobatischem Tanz wie in Zeitlupe verschmelzen, scheint sich ein Fenster in andere, ewige Welten aufzutun.
Kunstvoll wie elegant kreisen Reifen an einem Körper. Schon beim Hinsehen lässt einen jene Akrobatin schwindeln, die sich in luftiger Höhe in ihre Vertikaltücher rollt und wieder entrollt. Die Kunststücke sind eingebettet in Geschichten, wie sie der Cirque Nouveau erzählt: Immer wieder formen die Akrobaten ihre Lippen zu einem stummen Schrei, der beklemmend an das titelgebende Lied "Urlicht" aus "Des Knaben Wunderhorn" denken lässt, wenn es dort heißt: "O Röschen rot! Der Mensch liegt in größter Not."
Im Beifalls-Dilemma
Auch von Abschied, Sterben im Krieg, dem Todesurteil am Galgen eines jungen Tamoursg’sell erzählten die Lieder. Auf der Bühne liegend verwandeln sich die Akrobaten in Gefallene, zurück bleiben leere Jacken über Sessellehnen.
Umso tröstlicher und hoffnungsvoller ist das Vertrauen in rettende Arme, das die Akrobaten rittlings im freien Fall vermitteln. Eindringlich wird spürbar: Wir brauchen einander, auf der Bühne wie im Leben.
Einzig in einem Dilemma fand man sich an diesem Abend öfter: dem Bedürfnis, den Akrobaten und der Jugend, die sich mutig und in individuellen Darbietungen dem Abenteuer Bühne stellte, immer wieder zu applaudieren und zugleich den innig spielenden Musikern nicht unentwegt "dreinzuklatschen". Letztere trugen die Akrobaten auf Händen und ihr Los mit stoischer Ruhe.
Strahlen wird das "Urlicht Primal Light", das in Bad Ischl mit Standing Ovations und tosendem Beifall bedacht wurde, auch über das Salzkammergut hinaus: Gastspiele in Luxemburg und Spoleto in Italien sind bereits geplant.
Fazit: eine rundum gelungene Salzkammergut-2024-Produktion, die so poetisch wie atemberaubend die verbindende Kraft der Kunst feiert.
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