"Moria war eine tickende Zeitbombe" - Pressestimmen zur Brandkatastrophe
Nach dem Großfeuer im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos sind tausende Menschen obdachlos. "Eine Katastrophe der gesamten EU", schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Weitere Reaktionen aus der internationalen Presse:
"Adressavisen" (Trondheim):
"Es musste also zu einem Großbrand kommen, damit Norwegen sein Versprechen einhält. Norwegen ist ein sehr reiches Land und hat eine lange Tradition, Menschen in Not zu helfen. Wir hätten früher reagieren müssen. Leider kann Griechenland nicht jeden aufnehmen, der kommt. Deshalb haben andere europäische Länder die Pflicht, in Krisensituationen zu helfen. In Moria und anderen Lagern hat die Krise lange gedauert. Dass Norwegen jetzt 50 Menschen aufnimmt, sollte als Anfang betrachtet werden."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung":
"(...) Die Katastrophe von Moria ist eine Katastrophe der gesamten EU. Sollte sich bestätigen, dass der Brand gelegt wurde, hat die schleppende Politik der EU dazu geführt, dass eine Lösung mit Gewalt erzwungen werden sollte. Darüber zu lamentieren führt nicht weiter. Es wird der EU, will sie nicht völlig handlungsunfähig dastehen, nichts anderes übrigbleiben, als das zu tun, was längst hätte geschehen müssen: eine Verteilung der Migranten auf dem Festland.
"de Volkskrant" (Amsterdam):
"In allen Tonarten erklären die EU-Staaten sich nun solidarisch mit Griechenland. Das ist ein Deckmantel. Es hat lange gedauert, aber jetzt hat die Corona-Pandemie auch das Versagen der europäischen Migrationspolitik in vollem Umfang bloßgestellt. Der Lockdown im Flüchtlingscamp Moria war Dienstagnacht der Auslöser für die Verwüstung des Lagers. (...)
"Irish Times" (Dublin):
"Vor allem werden jetzt Zelte und grundlegende Versorgungsgüter benötigt. Die Staats- und Regierungschefs der EU versprachen sofortige Hilfe. Und es gab einige Angebote zur Aufnahme von Migranten - ein deutsches Bundesland erklärte sich bereit, 1000 der Lagerbewohner im Rahmen eines größeren Umsiedlungsprogramms zu beherbergen. Höchste Priorität muss aber eine neue und dringende Fokussierung in Brüssel auf eine gemeinsame EU-Strategie zur Umsiedlung von Flüchtlingen haben."
"Moria als Symbol absichtlichen Verfalls"
"De Standaard" (Brüssel):
"Moria war eine tickende Zeitbombe, überfüllt, es gab nicht einmal genug Wasser und Strom. Die Flüchtlinge mussten jahrelang auf ein 'Verfahren' warten - und all das innerhalb der Europäischen Union.
Griechenland fühlt sich als 'Grenzland' im Stich gelassen, weil andere EU-Länder die Flüchtlinge nicht aufnehmen wollen. Es prangert auch die Türkei an, die regelmäßig 'den Hahn aufdreht'. Moria ist zu einem Symbol des scheinbar absichtlichen Verfalls geworden. Als sollten so andere Flüchtlinge und Migranten abgeschreckt werden (...)
"Neue Zürcher Zeitung":
"Eine gemeinsame europäische Asyl- und Migrationspolitik wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Zu unterschiedlich sind die Positionen in den Mitgliedstaaten der EU. Aber das bedeutet nicht, die unhaltbaren Verhältnisse auf den griechischen Inseln einfach hinzunehmen.
Die Verschnaufpause sollte vielmehr dazu genutzt werden, wenigstens auf drei Gebieten handlungsfähig zu werden. Erstens müssen die Asylsysteme an der Außengrenze auf einen Stand gebracht werden, dass innerhalb weniger Monate entschieden werden kann, ob ein Antragsteller Anrecht auf Schutz hat oder nicht. Zweitens sollen Rückführabkommen mit den Herkunftsstaaten geschlossen werden, die mit wirtschaftlichen Anreizen und der Möglichkeit zu legaler Migration verbunden sind. Und drittens sollen jene Staaten, die bereit sind, anerkannte Flüchtlinge aufzunehmen, deren Verteilung verbindlich untereinander regeln.
Die Katastrophe auf Lesbos verlangt nicht in erster Linie nach einer humanitären, sondern nach einer systemischen, also politischen Antwort. Es geht dabei um die Behebung eines Politikversagens, das seit Jahren unnötiges Leid über Zehntausende bringt."
"Tages-Anzeiger" (Zürich):
"Das Flüchtlingslager in Moria auf der Insel Lesbos war schon vor dem Feuer eine Blamage. Jetzt, da ein Brand das Camp zerstört hat, ist es unübersehbar zum Symbol für Europas Scheitern geworden. (...)
"La Vanguardia" (Barcelona):
"Das tägliche Elend, dem die Flüchtlinge schon vor dem Brand ausgesetzt waren, findet auf europäischem Boden statt. An einer europäischen Außengrenze, ja, nur ein paar Kilometer vor der türkischen Küste. Aber in Europa. Verantwortlich ist in erster Linie die griechische Regierung. Verantwortlich ist aber auch die Europäische Union, zu der Griechenland gehört und die angesichts eines solchen Dramas, das sich seit Jahren auf ihrem Territorium entfaltet, nicht teilnahmslos bleiben sollte."
"Le Figaro" (Paris):
"Das Feuer im Aufnahmezentrum für Migranten und Flüchtlinge in Moria auf der Insel Lesbos hat die Regierung von Angela Merkel in eine Notlage gebracht.(...) Die Grünen, die Liberalen, die radikale Linke (die Linke) sowie ein Teil der Sozialdemokraten kritisieren nachdrücklich eine als zu zaghaft angesehene Migrationspolitik, obwohl das Land in fünf Jahren mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat. Die AfD hingegen sieht die Tragödie in Lesbos als Frucht einer Politik Deutschlands, die sie (die AfD) für zu einladend hält und die sie beschuldigt, eine Sogwirkung geschaffen zu haben.
Diese Situation und insbesondere die große Angst vor der äußersten Rechten bringen die Regierung von Angela Merkel in Schwierigkeiten. Laut Paris würde das die Zurückhaltung des deutschen Verbündeten - der (derzeit) die EU-Ratspräsidentschaft innehat - erklären, in Brüssel auf ein Gemeinschaftsabkommen über die Verteilung von Asylbewerbern zu drängen."
"La Repubblica" (Rom):
"Auf dem Feld der Schande geht die Nacht, aber das Schwarze bleibt. Das Dunkel der Gerippe der Container, die für Tausende Menschen ein zu Hause waren. Fetzen von Zelten, geschwärzte Pappe, die immer noch zwischen den Ölbäumen brennt und die Erinnerungen und Dokumente und damit die Identität der Verzweifelten von Moria zu Staub werden lässt. Das Feuer hat ihre Zukunft zerstört. (...) Die Flammen von Lesbos haben wieder einmal einen hellen Scheinwerfer auf die Schande Europas geworfen. Wir werden sehen, was sie am Ende zurücklassen."
- "Das Geschrei nach Verteilung kann nicht die Lösung sein", sagte Österreichs Außenminister Schallenberg (VP). >> Das Interview zum Nachsehen
- "Moria zerrt ans Licht, was lange im Coronanebel lag", schreibt OÖN-Chefredakteur Stv. Thomas Arnoldner. >> [OÖNplus] Zum aktuellen Newsletter
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