Gipfelgespräch mit Felix Gottwald: „Getrickst wird im ganzen Leben“
Österreichs erfolgreichster Olympiasportler der Geschichte, Kombinierer Felix Gottwald, gibt in der neuen OÖN-Serie Gipfelgespräche Einblicke in sein Leben, in dem es um viel mehr geht als nur um Meter und Sekunden.
OÖN: Die Lage hier am Dachstein ist leicht aussichtslos (Anm.: Der Gipfel steckt in Wolken) ...
Gottwald: Gänzlich aussichtslos zum Glück nicht. Es ist doch immer so im Leben: Das scheinbar Lästige oder Mühsame gehört dazu, damit man das Schöne zu schätzen weiß.
OÖN: Zwei Jahre bist du dem Spitzensport ferngeblieben, ehe du dich im Sommer 2009 wieder für das Mühsame entschiedst. Warum bist du in das Leben zurückgekehrt, in dem du fast auf Schritt und Tritt überwacht und mit der Uhr gestoppt wirst?
Gottwald: Ich habe versucht, mit dem Verstand zu entscheiden. Mich oft gefragt, warum ich das tun soll. Ich kann 100 Gründe dafür und 100 dagegen auflisten. Ich bin zu keinem Ergebnis gekommen. Das Leben hat mir so gut gefallen, also warum soll ich es gottverdammt nicht mehr leben? Für mich ist es wie zwei Jahre freiwilliges Studium an der Lebensuniversität Spitzensport. Mit dem Abstand seh’ ich, dass so viel mehr da ist als nur Springen und Laufen.
OÖN: Was ist mehr da?
Gottwald: Es ist wie im Leben: Beim Springen musst du oben am Balken loslassen, nimmst unglaubliches Tempo auf, entdeckst die Leichtigkeit des Seins. Unten musst du dem Druck standhalten, den Boden unter den Füßen spüren – im Idealfall spät. Das Langlaufen ist das arbeitende, kämpferische Element. Das Spiel mit dir selbst, ein Tanz auf der Rasierklinge. Du begegnest deinen Grenzen, gehst ans Limit und darüber hinaus. Da spürst du dich selbst am allerbesten. Andere müssen sich für so ein Gefühl wohl erst Drogen einwerfen.
OÖN: Wie hat deine Freundin Alexandra auf deine Rückkehr reagiert?
Gottwald: Sie hat gesagt: „Leg’ dich nieder, das wird schon wieder.“
OÖN: Was empfindest du als Freiheit?
Gottwald: Etwa den Medienkonsum gering zu halten. In der Informationsflut ist es schwer, nur das aufzunehmen, was man will. Es gibt so viel Schutt auf der Welt, der auf uns prasselt. Ihn zu verarbeiten kostet Energie. Die verwende ich lieber für anderes.
OÖN: Du bist selbst unter die Buchautoren gegangen und hast einen Sportjournalisten-Lehrgang absolviert. Was würdest du anders machen als deine medialen Wegbegleiter?
Gottwald: Eine Pauschalverurteilung beim Doping-Thema ist unseriös. Viele Journalisten sind so leicht aus dem Schneider, indem sie schreiben „Es gilt die Unschuldsvermutung.“ Wenn, dann soll alles Hand und Fuß haben. Klar ist: Getrickst wird im ganzen Leben, ob Wirtschaft, Politik, Sport. Aber kannst du damit auf lange Sicht zufrieden sein? Nein. Es ist nur dumm, seine Gesundheit für Punkte und Plaketten zu riskieren. Jeder kann entscheiden: Finanzier’ ich mein Haus durch Arbeit, oder überfalle ich eine Bank. Es wird leider so vieles auf das Materielle aufgehängt. Für inneren Reichtum und Ausgeglichenheit brauchst du das aber nicht.
OÖN: Im Juli hast du dein Haus in der Ramsau bezogen. Das hat doch den Lebensstandard gehoben?
Gottwald: Zuvor haben wir zu zweit in einer Wohnung mit 40 Quadratmetern gewohnt. Da ist sich auch alles ausgegangen – nur eine Frage des Anspruchs. Aber klar ist das jetzt eine andere Lebensqualität. In den Süden blicke ich in die Tauern, Richtung Norden zum Dachstein. Ich hab die Natur zum Angreifen.
OÖN: Was ist Luxus?
Gottwald: Gesund und zufrieden zu sein. Es ist doch so: Ein Gesunder hat tausend Wünsche, ein Kranker nur einen.
OÖN: Wann bist du zu dieser Einsicht gekommen?
Gottwald: Eigentlich kommt man so zur Welt, aber in der wird man versaut. Aber Teil unseres Lernprogramms im Leben ist, dass man die einfachen Prinzipien des Glücklichseins verlernt oder sie von außen überspeichert werden.
OÖN: Beruflich bist du öfter in Oberösterreich anzutreffen. Was bedeutet dieses Standbein?
Gottwald: Ich bin bei der Firma Waser in Ried Botschafter der positiven Energie, ein Mentor für das Unternehmen und die Mitarbeiter. Ich denke, Kooperationen zwischen Spitzensport und Wirtschaft dieser Art werden die Zukunft sein.
OÖN: Wann warst du in deinem Leben am ausgeglichensten? Im Moment der Olympiasiege?
Gottwald: Immer heute. Was gestern war, war klasse, ist aber vorbei. Die Kunst liegt darin, jeden Tag so zu beginnen, wie man es will.
OÖN: Wie willst du das?
Gottwald: Der Wecker läutet um 5.30 Uhr, dann steh’ ich auf und meditiere mindestens eine dreiviertel Stunde. Ich hab da mein Meditationskissen, da setz’ ich mich drauf und ordne meine Gedanken.
OÖN: Sind manche so verwerflich?
Gottwald: Oft tauchen welche auf, die will ich nicht haben. Aus Gedanken entsteht alles. Für mich ist es zum Glück selbstverständlich, mich um sie zu kümmern. Tut man das nicht – und viele nehmen sich dafür nicht die Zeit – gerät man aus der Mitte. Ich kann ja auch nicht kilometerweit mit dem Auto fahren ohne zu tanken. Dann lande ich irgendwann auf dem Pannenstreifen.
Felix der Glückliche
Felix Gottwald lebt in der goldenen Mitte: als Mensch und Sportler. Aus der Ruhe bringt man den 34-jährigen Nordischen Kombinierer nur schwer. Dreimal hat er Olympia-Gold erobert (Sprint 2006, Team 2006 und 2010) und x-fach Medaillen bei Großereignissen; er ist Österreichs erfolgreichster Olympiasportler aller Zeiten. Geboren ist Gottwald am 13. Jänner 1976 in Zell am See, mit Freundin Alexandra wohnt er in Ramsau am Dachstein. Die Biografie „Ein Tag aus meinem Leben“ schrieb und verlegte er selbst. 1998 starb sein Vater bei einem Arbeitsunfall. Gottwald über Gottwald: „Das Schönste ist, wenn du bist, was du bist. Ich bin kein Olympiasieger, kein Kombinierer, kein Buchautor. Ich bin der Felix.“
Gleich auf dem Dachstein
Daheim in seinem neuen Haus in der Ramsau ist es für Felix Gottwald ein Katzensprung auf den Dachstein. Blickt er aus dem Fenster, sieht er das mächtige Massiv. Wenn es Zeit oder Wetter nicht erlauben, dann hebt ihn notgedrungen die Dachstein-Südwandbahn in null Komma nix von 1701 auf 2699 Höhenmeter auf das Plateau. Bummvoll ist die Bahn, als Gottwald mit den OÖNachrichten die schnellste Aufstiegsvariante wählt. „Ich komme mir ja ein bisserl wie ein Tourist vor, nur die weißen Socken fehlen noch“, schmunzelt Gottwald, denn sonst nimmt er den 2996 Meter hohen Grenzberg zwischen Oberösterreich und der Steiermark gerne mit Muskel- und nicht Maschinenkraft in Angriff. Die Südwand ist er schon geklettert, Vorsicht geht vor: „Das Leben ist ja zu schön, um mit einem Fehler hin zu sein.“ Auch auf dem Plateau lässt es sich genüsslich wandern. Für das Fotoshooting wagt sich der 34-Jährige in Abgründe. „Oh, wär’ ja schade um den schönen Kerl“, ruft eine Mitt-Sechzigerin, die Gottwalds Balanceakt auf den Felsen bewundert. „Ich hätt’ echt Schiss“, merkt ein junger Mann Mitte 20 an. Auf dem Dachsteingletscher queren Skifahrer Gottwalds Weg, viele Menschen tummeln sich auf der Aussichtsplattform „Sky Walk“. Gottwald gibt das Bergsteigen Berge: „Es ist unglaublich, wie du den Moment leben musst, sonst fällst du. Du musst immer konzentriert sein, eine Meditation in höchstem Maße.“