Aus einem traumatisierten Kind wurde eine starke Frau
LINZ / WELS. Mit zehn Jahren verlor Bihter S. ihre Mutter, mit 18 heiratete sie. "Die Wunden spüre ich noch heute", sagt die Mutter und Pädagogin
Seit ihrer Kindheit waren Bihter S. Steine in den Weg gelegt worden. Der 19. August 2004 markiert den Beginn. An jenem Nachmittag hatte die damals Zehnjährige mit ihrer Mutter auf die Straßenbahn in Linz-Kleinmünchen gewartet. "Dann hat es gekracht", sagt Bihter S. Die Bim war mit einem Auto kollidiert und entgleist. Ihre Mutter hatte den Unfall nicht überlebt. Bihter wurde zur Halbwaise.
Hochzeit vor der Matura
Die engste Familie war kein Rückhalt. Der Vater litt unter Depressionen, die zwei älteren Geschwister waren bereits ausgezogen. So kam das Mädchen bei einer Verwandten unter. Durch diese trat es in Kontakt mit einem Burschen, der damals noch in der Türkei lebte und Trost spendete. Die beiden verliebten sich, führten vier Jahre eine Fernbeziehung. Dass sie später in Linz heiraten würden, war beschlossene Sache. Mit 18 Jahren, Bihter S. stand kurz vor ihrer Matura, kam der große Tag. "Ein Lehrer hat mich gefragt, ob es eine Zwangsheirat sei. Aber ich habe ihn wirklich geliebt", sagt die junge Frau. "Im Nachhinein muss ich sagen: Ich habe ihn eher als Mama-Ersatz wahrgenommen. Sie ist gegangen und er ist gekommen." Die Hochzeit mündete allerdings in keinem Happy End. Unter der Woche besuchte Bihter die Bakip-Schule, samstags arbeitete sie als Kassiererin in einem Supermarkt. Auch ihr Partner fand einen Job in einem kleinen Lebensmittelgeschäft. Zusätzlich wollte er sich mit dem Autokauf und -verkauf Geld dazuverdienen. Dieser Plan ging nach hinten los. "Es war ein Verlustgeschäft", sagt die heute 29-Jährige.
Um ihrem Mann sein "teures Hobby" zu ermöglichen, nahm sie in ihrem Namen Kredite auf. Sie habe versucht, die Ehe aufrechtzuerhalten. "Es war ein ständiges Auf und Ab." Die Geburt des gemeinsamen Kindes sei so ein "Auf" gewesen. "Aber als Kindergärtnerin weiß ich natürlich, dass ein Kind keine Beziehung rettet", sagt sie. Um über die Runden zu kommen, machte die junge Mutter während ihrer Karenz eine Ausbildung zur Versicherungsagentin. Doch die Eheprobleme wurden mehr. Bihter S. wollte sich scheiden lassen. "Meine Familie hat das aber nicht akzeptiert." Wieder war sie auf sich allein gestellt. Und wieder schaffte sie es. Die Eltern einigten sich auf eine einvernehmliche Scheidung, unter der Bedingung, dass Bihter alle Schulden auf sich nimmt. "Für mich war das der einzige Weg, um da herauszukommen", sagt sie.
Für die gebürtige Linzerin begann ein neuer Lebensabschnitt. Mit ihrem Sohn übersiedelte sie nach Wels, wo sie als Kindergartenpädagogin tätig ist. Der Schuldenberg ist inzwischen geschrumpft. "Bald habe ich alles abbezahlt", sagt die junge Frau. Die Wunden, die in ihrer Kindheit und Jugend entstanden sind, heilen nun langsam. "Ich spüre sie bis heute", sagt Bihter S. Eines spürt sie noch stärker: "Dass ich endlich meinen Frieden gefunden habe."
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