Kolumbien: Morde, Skandale und Drogen
Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe Vélez hat ein sehr abwechslungsreiches Jahr hinter sich. Seine Versuche, durch eine Verfassungsreform im Jahr 2010 ein drittes Mal zu den Wahlen anzutreten, stehen unter keinem günstigen Stern.
Im zu Ende gehenden Jahr erlebten der kolumbianische Präsident und die Öffentlichkeit des südamerikanischen Staates einige Höhepunkte. Der Staatschef, der bereits seit 2002 regiert, musste aber auch zahlreiche Niederlagen und internationale Rügen einstecken. Doch sein meisterhaftes demagogisches Talent lassen ihn in den Meinungsumfragen immer noch auf Popularitätswerten schwimmen, von denen Politiker in anderen Ländern nur träumen können.
Der wohl größte Triumph des Präsidenten und der – nicht gerade erfolgsverwöhnten – Armee ereignete sich am 2. Juli im Süden des Landes. In einer lange Zeit und sorgfältig vorbereiteten Geheimdienstoperation gelang es, den FARC-Guerillas ohne einen einzigen Schuss 15 Geiseln zu „entführen“, darunter die weltbekannte kolumbianisch-französische Grünpolitikerin Ingrid Betancourt, die sich seit Februar 2002 in der Hand der Aufständischenbewegung befunden hatte. Überhaupt ging es den FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), der ältesten und wohl auch größten Guerilla-Organisation der Welt, in diesem Jahr so schlecht wie noch nie. Anfang März wurde ein FARC-Lager im ecuadorianischen Dschungel, nahe der kolumbianischen Grenze, von der kolumbianischen Luftwaffe – mit tatkräftiger Unterstützung der US-Armee –nachts bombardiert, wobei auch der zweithöchste Führer der Bewegung ums Leben kam. Und wenige Wochen später starb, diesmal eines natürlichen Todes, der legendäre Gründer und seit den 60er-Jahren Oberkommandierende der FARC, Manuel Marulanda. Der militärische Einfluss der Guerillas, die in ihren besten Jahren vor etwa einem Jahrzehnt an die 18.000 bis 20.000 Kämpfer unter Waffen hielt, ist im vergangenen Jahr weiter zurückgegangen.
Zweifellos ein Erfolg der von Uribe selbst so getauften „Politik der demokratischen Sicherheit“ – um den Preis einer noch nie erlebten Militarisierung des Landes. Betrugen 1991 die Militärausgaben noch zwei Porzent des Bruttoinlandsprodukts, so stiegen sie unter Uribe rasant auf 6,32 Prozent (2007), Tendenz weiter steigend.
Selektive MordeDie große Schattenseite des Präsidenten, die auch international auf zunehmende Kritik stößt, ist seine Verbindung zum Paramilitarismus und sein äußerst defizitäres Menschenrechtsregister überhaupt. Die paramilitärischen Gruppen entstanden Anfang der 80er-Jahre als eine „Selbstverteidigung“ gegen das um sich greifende Übel der Entführung finanzstarker Personen zur Erpressung von Lösegeld. Doch bald bediente sich der Staatsapparat dieser Gruppen dazu, um regimekritische Personen zu eliminieren. Seit damals sind viele tausende Aktivisten der Linkspartei „Patriotische Union“, von sozialen Bewegungen, Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaftsverbänden usw. selektiv ermordet worden.
Das große Projekt der „Friedenspolitik“, das Präsident Uribe gleich nach seinem Amtsantritt im August 2002 in Angriff nahm, war die so genannte „Demobilisierung“, also Entwaffnung, der paramilitärischen Gruppen – die von vielen kritischen Stimmen vielmehr als eine „Legalisierung“ der mörderischen Banden bezeichnet wird. Doch mutige Mitglieder des Obersten Gerichtshofes machten dem Präsidenten einen Strich durch die Rechnung und begannen vor zwei Jahren mit Ermittlungen gegen Politiker wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Paramilitarismus. Derzeit sind 14 Abgeordnete verurteilt, gegen elf läuft ein Prozess und gegen weitere 50(!) sind strafrechtliche Ermittlungen angelaufen.
Am meisten geschadet hat dem internationalen Ruf Kolumbiens jedoch der Skandal um die „falsos positivos“, die „positiven Falschmeldungen“. Im Militärjargon bezeichnet dieser Ausdruck vorgetäuschte Meldungen von Armee-Angehörigen oder Dienststellen, um in den Genuss von Vergünstigungen zu kommen. Spätestens seit den 90er-Jahren sind Fälle bekannt, wonach unbeteiligte Zivilisten von der Armee getötet und dann als im Kampf gefallene Guerilleros ausgegeben wurden. Unter Präsident Uribe nahm diese Praxis in einem erschreckenden Ausmaß zu, da er die Militärs unter einen hohen Erfolgsdruck stellte und sie immer wieder öffentlich wegen ihrer Ineffektivität im Kampf gegen die Guerilla rügte. 2005 wurden dann zusätzliche Vergünstigungen für „im Kampf gefallene Angehörige bewaffneter illegaler Gruppierungen“ festgelegt.
1500 „Falschmeldungen“Uribe gesteht Skandale nur dann ein, wenn sie bereits an die breite Öffentlichkeit geraten sind. So war es auch diesmal der Fall. Im vergangenen Oktober wurden – durch die verzweifelte Suche einer Mutter nach ihrem verschwundenen Sohn – elf Fälle von Jugendlichen aus einem Armenviertel in Bogotá bekannt, die verschwunden waren und dann in einem ganz anderen Landesteil von der Armee als im Kampf gefallene Guerilleros gemeldet wurden. Diese Tatsache geisterte durch alle Medien, und Uribe entließ in einem Paukenschlag 27 verantwortliche Militärs, darunter drei Generäle. Doch die Anklagen betroffener Familienangehöriger und die Untersuchungen von Staatsanwälten laufen weiter; bisher zählt man schon über 1500 solcher „positiver Falschmeldungen“.
Weltpolitisch schließlich war für Uribe der 4. November ein Trauertag. Die Demokraten in den USA waren dem kolumbianischen Präsidenten immer schon kritisch gegenübergestanden, und nach ihrem Sieg bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren hatten es die Demokraten geschafft, mit ihrer Mehrheit im Kongress die Unterzeichnung des bereits fertig ausgearbeiteten Freihandelsvertrages zwischen Kolumbien und den USA auf Eis zu legen. Sie verlangten von der Regierung in Bogotá vorher konkrete Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsaktivisten. Mit einem Präsidenten Barack Obama hat Uribe seinen großen Patron im Weißen Haus verloren.
Im Land selbst ist eine – vorerst noch gebremste –Absetzbewegung unter der Anhängerschaft Uribes festzustellen. Die Verfassungsreform, die der Staatschef benötigt, um bei den nächsten Wahlen 2010 nochmals kandidieren zu können, steht auf sehr wackligen Beinen. In einem halben Jahr beginnt der Wahlkampf, und da überlegt es sich jeder Politiker, sich für einen Präsidenten zu engagieren, der vielleicht gar nicht mehr kandidieren kann. Denn in Kolumbien richtet sich die Unterstützung eines Präsidenten immer noch danach, wie viele Pfründe dieser zu vergeben hat und ob er sich auf vollem Erfolgskurs befindet. Und diese Zeit scheint für den charismatischen Staatschef Kolumbiens vorüber zu sein.
Diese Wahrheit worüber hier geschrieben wird, will sonst keiner in Kolumbien sehen.