30 Jahre Spice Girls, oder: Das war Girl Power in den 90ern
LONDON. Vor 30 Jahren fand ein Casting statt, mit dem eine Erfolgsgeschichte seinen Anfang nahm, die es so kein zweites Mal gab.
Wäre Taylor Swift in den 90ern populär gewesen, sie wäre wahrscheinlich Teil einer Girlgroup gewesen. Damals verkaufte sich kommerzielle Musik am besten, wenn sie mehrstimmig daherkam.
Machen Sie sich mit uns auf zu einer Zeitreise. Manche Leser werden sich erinnern können, manche müssen ihre Vorstellungskraft aktivieren. Wir befinden uns in einer Zeit, in der Jeans so tief an der Hüfte saßen, dass darunter nicht selten ein Stringtanga hervorblitzte. In der Mädchen viele bunte Klammern im Haar trugen, je mehr, desto besser. Am Hals ein elastisches Kunststoffband. An den Schuhen Plateau. In einer Zeit, in der die Bravo gelesen wurde. Von fast jedem jungen Menschen im deutschsprachigen Raum. Darin erfuhr man, was in war, was man anzog, was man hörte, wen man "süß" fand und wer gar nicht ging.
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An einem Freitag, es war der 4. März 1994, wurde zu einem Casting in den Londoner Dancework Studios aufgerufen. Die Besonderheit: Es wurden nur junge Frauen gesucht. Man castete erstmals eine weibliche Gesangs- und Tanzgruppe - bis dahin ein rein männliches Erfolgsrezept. Boys II Men, Boyzone, East 17, New Kids on the Block, Caught in the Act, Take That und wie sie nicht alle hießen. Der Cast sollte möglichst heterogen sein, möglichst viele junge Mädchen sollten sich in einer der Bandmitglieder wiedererkennen. Oder zumindest als Vorbild nehmen, so sein wollen, wie sie.
Rund 600 junge Sängerinnen sangen vor. Die Mädchen sollten zum Casting Noten und eine Kassette für die Hintergrundmusik mitbringen. Gecastet wurde vom Jungunternehmer Chris Herbert und dessen Vater Bob Herbert, einem renommierten Talentmanager. Drei der fünf jungen Frauen, die später als Spice Girls (zu deutsch: "Würzige Mädchen") Weltruhm erlangen sollten, wurden an diesem 4. März gefunden.
"Mel B war die erste, die mich beeindruckt hat", sagt Chris Herbert in der dreiteiligen Doku "Spice Girls: How Girl Power Changed Britain". "Sie war total selbstbewusst."
Tanzen, Singen, Aussehen, Persönlichkeit
"Victoria war klassischer. Sie hatte ein bisschen Anmut." In seinen Notizen - er vergab damals Punkte von 1 bis 10 - schnitt sie allerdings nicht überragend ab: "Tanzen: 6, Singen: 5, Aussehen: 7, Persönlichkeit: 5."
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Die Wahl fiel auf Victoria Adams-Wood, Melanie Brown, Geri Halliwell, Michelle Stephenson und Lianne Morgan. Ganz happy waren Chris und Bob Herbert aber dann doch nicht mit dem Endprodukt - sie entschieden sich später kurzerhand um. "Ich wurde ausgewählt, aber einen Monat später bekam ich einen Brief", erinnerte sich Morgan, die damals 23 war. "Sie schrieben, sie fänden mich sehr gut, aber ich sähe deutlich älter aus als die anderen." Melanie Chisholm durfte nachziehen. Sie war jünger.
Aber auch Michelle Stephenson, damals 17, konnte nicht überzeugen. Es gab angeblich Streit im Bandhaus, in das die "Girls" alle gemeinsam ziehen sollten, um zu richtigen Popstars ausgebildet zu werden. Statt ihr wurde Emma Bunton eingesetzt, die schon in Werbespots und TV-Serien mitgespielt hatte.
Da man die fünf Frauen nicht gleich unter Vertrag nehmen wollte, um ihren "Ehrgeiz zu fördern", entschlossen sich die jungen Frauen 1995 für ein neues Management. Simon Fuller, der später die Castingshow "Idol" erfand, nahm die Spice Girls unter Vertrag - und schloss damit den Deal seines Lebens ab.
Welches Spice Girl sind Sie?
Was darauf folgte, war, aller Planung zum Trotz, nicht vorhersehbar - und übertraf mit Sicherheit alle Erwartungen. Die Spice Girls erlangten Weltruhm. Die fünf funktionierten gut miteinander. Auch, weil jede ein eigenes Image verkörperte: Es gab Scary (Melanie Brown), Ginger (Geri Halliwell), Sporty (Melanie Chisholm), Baby (Emma Bunton) und Posh Spice (Victoria Beckham).
Und kaum ein Mädchen in den 90ern wurde nicht zumindest einmal gefragt, wer man denn am ehesten sei, oder wer man sein wolle: Die sportliche, coole, immer in Adidas-Jogginghosen gekleidet? Oder eher die süße Blonde mit den Babydoll-Kleidchen? Die Modebewusste mit dem kühlen Blick? Die ausgeflippte Rothaarige mit dem losen Mundwerk? Oder Scary, bei der man nicht genau wusste, was sie denn nun genau verkörpern sollte?
Und auch das mit der Freundschaft kaufte man ihnen irgendwie ab. Ihre erste Single "Wanne Be" kam 1996 auf den Markt und erreichte Platz 1 in 30 Ländern. Die Alben "Spice" und "Spice World" wurden rasend schnell zu Bestsellern, der Kinoflim "Spice World - Der Film", von dem vor allem der überdimensionale quietschbunte Tourbus in Erinnerung bleibt, zum Kassenschlager.
Das mit dem Girl Power nehmen die "Mädchen" wortwörtlich. 1997 entließen sie Simon Fuller, nahmen sämtliche Geschäfte selbst in die Hand. Die Presse schlug sich auf die Seite des entlassenen Produzenten und bezeichnete die Girlgroup als "undankbar". Fünf Frauen, die ohne gönnerhafte Männer Megaerfolg einfahren - geht das? Ja.
Das laute, freche Image gefiel zum Teil - und war gut zu verkaufen. Jedoch gab es auch die Schattenseiten. Etliche, zum Teil konstruierte, Skandale wurden von der Boulevardpresse gerne aufgegriffen.
1998 wurden Victoria und Mel B schwanger. "The Express" urteilt gnadenlos: Die Frauen, damals 23 und 24 Jahre alt, seien Schuld an der hohen Zahl an Teenager-Schwangerschaften im Land. Nur wenige Wochen nach der Geburt ihres Sohnes Brooklyn wurde über das Gewicht von Victoria Beckham berichtet. "Not bad at all" kommentiert ein TV-Moderator den Körper der jungen Mutter - eine Waage in der Hand. Ein kleiner Exkurs zu den Medien der 90er-Jahre: Über Gewicht, Aussehen, Bulimie, Magersucht, Sexualität, durfte sich damals noch ohne Konsequenzen lustig gemacht werden.
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Insgesamt bröckelte das Konstrukt der würzigen Girls. Die erste war Geri Halliwell, die ihren Ausstieg aus der Band bekanntgab. Bis heute sind die Spice Girls mit rund 100 Millionen verkauften Tonträgern die erfolgreichste Girlgroup aller Zeiten.
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