"Die Besessenen": Es schallt aus den Machtburgen der Gegenwart
Trampelpfade der Gewohnheit ziehen tiefe Spuren. Bei der Belegschaft wie auch den Kunden eines fiktiven Supermarktes, in den die Handlung von Witold Gombrowicz‘ Schauergeschichte verlegt ist.
Theater an der Wien: „Die Besessenen“, Oper von Johannes Kalitzke und Christoph Klimke. Uraufführung, 19. Februar.
OÖN Bewertung:
Trampelpfade der Gewohnheit ziehen tiefe Spuren. Bei der Belegschaft wie auch den Kunden eines fiktiven Supermarktes, in den die Handlung von Witold Gombrowicz‘ Schauergeschichte verlegt ist. Nicht das Schloss des Fürsten Holszanski ist Spielort, sondern die finanziellen Machtburgen der Gegenwart. Trotzdem scheitern alle an ihrer Selbstsucht und an eitler Profitgier. Die Mutter will ihre Tochter bestmöglich verheiraten, selbst wenn Cholawicki erst dabei ist, sich auf dunklem Wege der unschätzbaren Gemäldesammlung des Fürsten zu bemächtigen. Maja liebt aber den Tennispartner Leszczuk, die beide den Plan der anderen zu durchkreuzen versuchen. Der einzige Normale in diesem Spiel ist der von Gewissensbissen geplagte Fürst, der um seinen Sohn trauert, an dessen Verschwinden und möglichem Tod er sich schuldig glaubt. Schauergeschichte, Krimi, oder vielleicht besser Spiegel einer devastierten Gesellschaft. Das bringt Kaspar Holten eins zu eins auf die Bühne und macht in der beeindruckenden Szenerie Steffen Aarfings (Kostüme: Marie í Dali) betroffen. Einzig menschlich bleibt der senile Fürst, der wie ein entwurzelter Heimatloser umher-irrt. Gerade die Stereotypie täglicher Abläufe – gleich zu Beginn hetzen die Menschen in immer gleichen Bahnen durch den Supermarkt – und die Gleichgültigkeit anderen gegenüber machen dieses Spiel zur bedrohlichen Warnung.
Hervorragendes Ensemble
Christoph Klimke hat den Roman in ein vorbildliches Libretto verwandelt und den Fokus genau auf die Entemotionalisierung der Gesellschaft gelegt. Selbst Gefühle sind bloß vorprogrammierte Handlungen – wir nähern uns instinktmäßig und unreflektiert dem Tier immer mehr an. Für Johannes Kalitzke das ideale Fundament, um seine Musik zu erfinden, die mit vielen Versatzstücken arbeitet, die – genauso wie die Gesellschaft – unfähig ist, zu verbalisieren, also Melodien zu formulieren, sondern vielmehr mit Bruchstücken solcher operiert. Dadurch bekommt sie einen bezwingenden Fluss höchster Dramatik, die die oft rezitativisch eingestreuten Gesangsfloskeln noch ärmer dastehen lassen, als sie sind. Problematisch hie und da die Orchestrierung, die den Sängern kaum Pfade zum Durchkommen lässt. Doch andererseits, was haben diese Charaktere schon Bedeutungsvolles zu sagen? Nur der Fürst schwelgt in sich unendlich fortspinnenden Melodien und wird auch musikalisch zur einzig menschlichen Gestalt; ideal verkörpert durch Kontertenor Jochen Kowalski, die wohl eindringlichste Leistung des Abends.
Johannes Kalitzke leitete selbst das Klangforum Wien, das die Partitur höchst differenziert und präzise umsetzte. Hendrickje van Kerckhove überzeugte als Maja, genauso wie Leigh Melrose als an der Liebe verzweifelter und doch für sein Portemonnaie zielstrebiger Cholawitzki. Benjamin Hulett war ein idealer Leszczuk und Manfred Hemm ein hervorragender Skolinski, Rupert Bergmann ein trefflich abstoßender Maliniak und Noa Frenkel eine etwas zurückhaltende Mutter. Insgesamt ein hervorragendes Premieren-ensemble, das den großen Jubel genauso verdiente wie das Werk selbst.