Drei Frauen und ein Landaufenthalt an der Grenze zum Surrealen
Am 20. September liest die gebürtige Freistädterin Andrea Winkler aus ihrem Roman "Die Frau auf meiner Schulter"
Andrea Winkler ist eine unspektakulär eigensinnige Autorin. Abseits vom neorealistischen Mainstream schreibt die Freistädterin außergewöhnliche Erzähltexte, inhaltlich verschroben, hintergründig humorvoll, stilistisch schön und makellos, wahrscheinlich begrenzt auf eine Lesergruppe, die bereit ist, sich auf Ereignisarmut, karge Figurenpsychologie und Entschleunigung einzulassen.
In Winklers neuem Roman "Die Frau auf meiner Schulter" schildert eine Frau namens Martha in tagebuchähnlichen Aufzeichnungen, die sich über ein halbes Jahr erstrecken, ihren zeitlich begrenzten Ausstieg aus dem Üblichen. Was sie dazu veranlasst hat, sich in das Haus des verstorbenen Herrn Friedrich zurückzuziehen, bleibt im Vagen. Ihr Landaufenthalt hat weder Programm noch Ziel. Vermutlich sucht sie Distanz zum gewohnten Leben. Spontan folgt Martha ihren Impulsen, begibt sich auf Wanderungen und Spaziergänge, auf denen sie ihre Umgebung mit geradezu Stifter’scher Genauigkeit wahrnimmt.
Mann zum Heiraten gesucht
Martha lernt während dieser wenigen Monate auch Menschen kennen, Olenka zum Beispiel, eine gebürtige Russin, die von einer Laufbahn als Sängerin träumt und dringend einen Mann zum Heiraten braucht, damit sie das Aufenthaltsrecht nicht verliert. Oder Katharina, eine Schauspielerin, die rezitierend in der Landschaft steht und – ähnlich wie Olenka – viele Bewerbungsschreiben verschickt und viele Absagen hinnehmen muss. Die drei Frauen verbindet, dass ihre "Lebensläufe vorübergehend Rinnsale geworden sind", sie treffen sich regelmäßig zum Abendessen, und Olenka zieht eines Tages bei Martha ein. Auch Männer docken so nach und nach an die Frauenrunde an, vorsichtig und folgenlos. Das gilt auch für Benjamin, der vor Jahren in Marthas Leben eine unglückselige Rolle gespielt haben dürfte. Was damals genau vorgefallen ist, bleibt offen, aber Marthas Aussage "Glaub nicht, dass es mir nicht leidtut, dir damals keine Ohrfeige gegeben zu haben" gibt Anlass zu bösen Vermutungen.
Die Dialoge wirken fremdartig, auch die zwischen den Frauen, die einander vertraut sind. Manches erinnert an absurdes Theater, so wie Andrea Winklers Erzählstil generell eine gewisse Neigung zum Surrealen hat. Dazu passt auch, dass Martha nicht nur Erlebtes, sondern auch Geträumtes erzählt. Die Grenzen zwischen Traum und Leben fließen. Der Landaufenthalt geht zu Ende. Letztlich reisen alle ab, auch Martha. Wohin? Mit welchem Ziel? Mit welchen Aussichten? Genaues weiß man nicht.
Andrea Winkler: "Die Frau auf meiner Schulter". Roman, Zsolnay, 190 Seiten, 21,60 Euro
OÖN Bewertung:
Veranstaltungstipp: Am 20. September liest Andrea Winkler aus "Die Frau auf meiner Schulter" im Stifterhaus Linz. Beginn: 19.30 Uhr