"Rust"-Prozess: Todesschüsse fallen in Hollywood seit 110 Jahren
Heute startet das Verfahren gegen Alec Baldwin wegen fahrlässiger Tötung – er wird das jüngste Kapitel über fatale Zwischenfälle in der Traumfabrik
Der tödliche Schuss, den Alec Baldwin im Herbst 2021 auf Kamerafrau Halyna Hutchins abgab, hallt noch immer nach – nicht nur juristisch. Einerseits muss sich der Hollywood-Star ab heute wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten (mehr unten), andererseits rückt die fatale, weil doch scharfe Kugel eine oft verdrängte Tatsache ins Zentrum: Immer wieder sterben Menschen im Dienste von Hollywoods Action- und Stuntkino.
Von 1990 bis 2014 fanden 43 Menschen den Tod auf einem US-Set (Film und TV). Gleichzeitig verzeichnete man 194 schwere Unfälle. Schon in den 1910ern verursachte der Drang, dem Publikum möglichst realistische Bilder zu liefern, sieben Unfälle. Zwei endeten tödlich, einer davon auf dem Set von Cecil B. DeMilles "The Captive" (1915) durch scharfe Munition. Ein Statist hatte sie in einem Gewehr vergessen.
Angesichts mehrerer Hundert US-Produktionen pro Jahr sind fatale Tragödien heute zwar nicht (mehr) als Regelerscheinung zu werten, jedoch als bezeichnend für das System. Wie aber kann es zu Zwischenfällen kommen? Oft betreffe es die echten Vollprofis, die sich in ihrer absoluten Routine eines denken: "Das passt schon so. Doch dann fehlt das eine Quäntchen Glück und das Schicksal schlägt zu", sagt Tom Hanslmaier.
Der Helfenberger ist selbstständiger Stuntman mit Hollywood-Erfahrung ("Inglourious Basterds") und ließ sich von einem WEGA-Ausbildner im Waffengebrauch schulen. Im Prinzip ist er sich sicher: "Würde ich für einen Essenszusteller in Wien zwei Wochen in der Rushhour fahren, wäre das Risiko bedeutend höher, in einen fatalen Unfall verwickelt zu werden", als bei einem Dreh. Dies sei statistisch erwiesen. Hanslmaier vergleicht die Herangehensweise seiner Zunft mit jener von Freeridern (Skifahrern im freien Gelände): Erfahrene und auf das Ereignis hintrainierte Profis haben Gelände, Wetter- und Lawinenlage, bevor sie ins Feld gehen, penibel studiert.
Wie im Motor- oder alpinen Spitzensport gibt es aber auch im Film das unkontrollierbare und nicht vorhersehbare Restrisiko. Faktoren sind menschliches und materielles Versagen. Zeitnot, Druck und falsches (Führungs-)Verhalten tun das ihre. Das weiß auch Hanslmaier aus seinen Anfängen: Ein Regisseur in Österreich empfand einen Auto-Stunt zu langsam. Anders als geprobt, fuhr das Auto dann schneller auf ihn zu. Beim Aufprall auf die Windschutzscheibe hatte er sich einen Zahn gespalten, was er erst zwei Monate später herausfand.
Der "Rust"-Fall habe die Branche definitiv sensibilisiert. Hanslmaier spüre seitdem "gewisse Aufregung, ob eh sauber gearbeitet wird. Wenn mir der Waffenmeister selbst die Waffe gibt, gehe ich zum Sandsack und drücke das gesamte Magazin nochmal durch. Um sicher zu gehen, dass ja nichts mehr drinnen ist."
Der Fall Rust
Alec Baldwin gab 2021 bei Proben für den Western „Rust“ einen Schuss ab, der Kamerafrau Halyna Hutchins töte und Regisseur Joel Souza leicht verletzte. In Santa Fe beginnt heute mit der Auswahl der Geschworenen der Prozess gegen Alec Baldwin (66) wegen fahrlässiger Tötung, bei einem Schuldspruch drohen 18 Monate Haft. Im März wurde „Rust“-Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen.
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