Wenn ein Musical baden geht
Um 21.18 Uhr verliert ein Windsurfer in der Ferne – von einer tückischen Böe geschubst – das Gleichgewicht und verschwindet im Wasser. Bald kraxelt er zurück aufs Brett, während sich im Vordergrund seit 20.30 Uhr die Handlung der Musiktheater-Premiere "Wolf – Das Mystical" von Komponist Gerd Hermann Ortler und Franzobel (Libretto) seit geschätzten drei Stunden über die neue, kolossale Seebühne des Wolfgangsees wälzt (vor Ferienhort in Ried). Der kulturell aufgetakelte Hut soll vor allem der Tourismus-Vorsaison passen. Niemand strengt sich an, das zu verschleiern.
Zum 1100. Geburtstag des Heiligen Wolfgang (924-994) hat Franzobel aus dessen fragmentarischer Biografie eine Erzählung entlang der Orte Pfullingen (Schwaben), Würzburg, Regensburg, Rom und Salzkammergut aufgefädelt. Der von 2014 bis 2016 am Linzer Landestheater engagierte Berliner Konstantin Zander gibt dem hetero- wie homosexuell leicht entflammbaren Wolfgang Körper und Stimme. Zuerst verknallt sich der spätere Bischof in Kathi (stark: Bianca Basler), dann in Heinrich (gewaltig: James Park), mit dem er ins sündige Rom tingelt. Ebendort segnet der Papst mit Klobürste die Gemeinde und singt um Himmels und der Reime willen: "Amore", "Pore", "Amphore". Künstlerisch ziselierter wird es nicht.
Wolfgang will kein Heiliger sein. Doch der mit Goldhamster-Dämonie ausgestattete Teufel (Kaj Lucke) braucht die Seele eines Wunderwirkers, sonst darf er nicht in den Himmel. Also treibt er Wolfgang zum Heiligen-Status im Elvis-Outfit. Ein Ballett aus Ku-Klux-Klan-Imkern symbolisiert die nach bedeutungsschwangerem Axtwurf erbaute Kirche. Nach Pakt und "Faust"-Zitat wird der Teufel final ausgetrickst.
Dramaturgisch willkürliche Rückblenden mögen Wolfgangs Aufwachsen entschlüsseln. Im Programmheft ist zu lesen, dass Viktoria Schubert Regie geführt haben soll. Aus dem musikalischen Mischmasch bleibt keine Nummer über ihre Verweildauer hinaus im Ohr. Das Chor- und Tanz-Ensemble ist gut disponiert. Die drei Weisen als zeitgeistige Kommentatorinnen aufgeboten, (Rita Sebeh, Rebecca Soumagne, Arthur Bösch) bejammern ihren Hallux und besingen die Tonleiter, um sich dort auch mitunter zu begegnen. Dem musikalischen Leiter Christoph Huber entgleiten Lautstärke und Tempi über den See, was auch der rasant aufgedrehten Musikanlage geschuldet sein kann.
Verblüffend, dass mit einem Gesamtbudget von 2,65 Millionen Euro (u.a. Land Oberösterreich: 500.000 Euro; Institutionen der Region: 300.000), nichts Interessanteres zu inszenieren war. Am Ende kippt es mit dem Verkauf von Wolfgang-Wasser zur selbstironischen Tourismus-Beschwörung.
Kurz vor Mitternacht, als das Schiff zurück nach St. Wolfgang übersetzt, träumt man sich ins Linzer Musiktheater, wo Musicals als ernsthaftes Unterhaltungsgenre glänzen. Höflicher Applaus.
Fazit: Ein Abend, der das Niveau des OÖ. Kultursommers budgetär über- und künstlerisch unterschreitet.