Wolfgang Gurlitt: Kunsthändler und Profiteur
Wenn sich Kunst- und Zeitgeschichte vereinen, wird eine Ausstellung zur starken Erzählung. So passiert es bei der Schau "Wolfgang Gurlitt (1888–1965) – Kunsthändler und Profiteur", die gestern im Kammerhofmuseum Bad Aussee eröffnet wurde. Es ist eine kleine, aber feine Gastschau des Lentos, die an die höchst erfolgreiche Präsentation "Wolfgang Gurlitt. Zauberprinz" des Linzer Kunstmuseums von 2019 über das problematische Erbe des Linzer Museumsgründers, der sich in Bad Aussee niederließ, anschließt. Gurlitts Sammlung stellt das künstlerische Fundament der Neuen Galerie Linz dar, der Lentos-Vorläuferin. Nach der vergangenen Woche eröffneten "Reise der Bilder" in Linz ist Bad Aussee die zweite Station einer Ausstellungs-Trilogie im Rahmen der Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024, die am 26. April in Lauffen komplettiert wird. Lentos-Vizedirektorin Elisabeth Nowak-Thaller hat die Schau kuratiert.
OÖNachrichten: Was erfahren Besucher in Bad Aussee Neues, die 2019 Ihre "Zauberprinz"-Ausstellung über Gurlitt gesehen haben?
E. Nowak-Thaller: Das Neue ist die Entdeckung, dass Gurlitt vom damaligen Bürgermeister Albrecht Gaiswinkler (1905–1979) als Kulturbeauftragter des Ausseerlandes institutionalisiert wurde. So hat er 1949 die Neue Galerie der Stadt Linz bei den Ausseer Festwochen präsentiert. Das war sozusagen die erste Gastausstellung unseres Museums. Wir als Lentos haben davon bisher nichts gewusst. Im Zuge der Recherche habe ich den damaligen Zettelkatalog gefunden und gesehen, welche 66 Werke Gurlitt hier präsentiert hat. Jetzt zeige ich mit wenigen Ausnahmen jene Künstler, die 1949 zu sehen waren.
Inwiefern waren die Ausseer Festwochen von Bedeutung?
Es waren wichtige Musik-Festwochen mit renommierten Künstlern, die hier nach dem Zweiten Weltkrieg organisiert wurden. 1949 hat Gurlitt zehn Tage lang diese Werke in der Wandelhalle des Kurmittelhauses präsentiert. Es waren Arbeiten von Oskar Kokoschka, Egon Schiele, Alfred Kubin und Gustav Klimt, aber auch Werke von Margret Bilger, Kubins Bekanntschaft Emmy Haesele oder den in Aussee lebenden Hugo Cordignano, Hans Kobinger sowie dem ob seiner nationalsozialistischen Vergangenheit schwer belasteten Erich Landgrebe. Ihn habe ich aus der Ausstellung herausgenommen. Seine Werke kann man nur kontextualisiert zeigen, dafür reicht im Kammerhofmuseum der Platz nicht.
Ist und war Gurlitt Glücksfall oder Belastung für das Lentos?
Sowohl als auch – ohne seine großartige Sammlung, die von der Stadt Linz erworben wurde, gäbe es das Lentos nicht. Trotzdem hat uns Gurlitt viele Probleme und negative Schlagzeilen beschert. Allein aus seiner Sammlung mussten wir zwölf Hauptwerke an ihre ursprünglichen Besitzer restituieren. Es hat sich herausgestellt, dass Gurlitt auch ein Profiteur des NS-Regimes war. Es entspricht seinem so opportunen wie ambivalenten Charakter, dass er einerseits NS-Gegner war: So hat er jüdische Mitarbeiter gerettet und in Aussee versteckt. Seine jüdische Lebens- und Geschäftspartnerin Lilly Agoston-Christiansen hat er in einer Scheinehe verheiratet und ihr so das Leben gerettet. Andererseits hatte er keine Skrupel, sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren und Geschäfte mit dem Regime zu machen. Er selbst sah sich als vom Nationalsozialismus Verfolgter und als Retter der Kunst.
Kann es sein, dass weitere Werke aus der Sammlung Gurlitt vom Lentos restituiert werden müssen?
Es kann immer etwas auftauchen, Provenienzforschung ist nie abgeschlossen. Momentan haben wir keinen laufenden Fall.
Auf welche neuen Aspekte sind Sie in Ihrer Gurlitt-Forschung seit 2019 gestoßen?
Unter anderem auf die 120 Kondolenzschreiben bedeutendster Menschen aus dem Kulturbereich zum Tod von Lilly Agoston-Christiansen, die ich aus Privatbesitz bekommen habe. Sie ist 1950 im Alter von 56 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Man sieht dadurch, wie Gurlitt und sie in der damaligen Szene anerkannt waren.
Im Alfred-Kubin-Kabinett gehen Sie auf dessen Freundschaft zu Gurlitt ein – Kubin soll sich über die amourösen Gepflogenheiten Gurlitts lustig gemacht haben.
Heute würde man Gurlitt als polyamourös bezeichnen, er pflegte einen liberalen, offenen Lebensstil. Seine vier Frauen, die alle in Bad Aussee wohnten, unterstützte er finanziell großzügig. Seine zwei Töchter verwöhnte er maßlos.
In Florian Illies’ 2023 erschienenem Buch "Zauber der Stille" über Leben und Werk des kauzigen Romantik-Malers Caspar David Friedrich heißt es, Gurlitt habe das halb verbrannte, übel restaurierte und deshalb unverkäufliche Friedrich-Gemälde "Uttewalder Grund" an sich selbst als Linzer Museumsdirektor verkauft. Wie war das?
Das Bild war ein fürchterlicher Brandschaden, 1901 hatte es beim Besitzer, einem Verwandten Friedrichs, ein Feuer gegeben. Danach wurde der "Uttewalder Grund" unsachgemäß übermalt. Gurlitt erwarb das Bild und verkaufte es zu einem hohen Preis an seine Neue Galerie der Stadt Linz. Aus den damaligen Unterlagen ging nicht hervor, dass das Bild stark restauriert worden war, weshalb die Urheberschaft später angezweifelt wurde. Heute ist anerkannt, dass es sich um einen echten Friedrich handelt. Aber jene 84 Gemälde und 33 Grafiken, die die Stadt Linz 1952/53 erworben hat, stammten alle aus der Sammlung Gurlitt. Er war Museumsdirektor und Kunsthändler in einem, seinen Job als Museumschef hat er ehrenamtlich und ohne Bezahlung gemacht. Diese Doppelfunktion war problematisch, dessen war sich die Stadt bewusst. Es hat ja auch Verkaufsausstellungen im Museum gegeben, bei denen Gurlitt und die Stadt Linz Provisionen angenommen haben.
1956 gingen Gurlitt und die Stadt Linz im Streit auseinander. Was waren die Gründe?
Die Gründe waren vielfältig: Zum Teil war es Gurlitts Unzufriedenheit, weil er sich stets als Mäzen der Stadt gesehen hat. Andererseits haben sich die Erwartungen der Stadt an Gurlitt auch nicht erfüllt. Er blieb Provenienzen schuldig. Und bei manchen Werken würde ich heute sagen, dass er die Stadt finanziell übervorteilt hat – wie etwa bei der Brandruine von Caspar David Friedrich. Er hat Werke als von Arnold Böcklin verkauft, die enorme Preise erzielten. Tatsächlich stammten die Arbeiten von Böcklins Schüler Rudolf Schick. Als Gurlitt die 1,7 Millionen Schilling für den Verkauf seiner Sammlung kassiert hatte, verschwand er ohnehin nach München, wo er eine neue Galerie aufbaute.