20 Jahre nach 9/11: Rückkehr an Ground Zero
Zwanzig Jahre nach dem 11. September kehrt unser Korrespondent Thomas J. Spang an „Ground Zero“ zurück. In Begegnungen mit Menschen, die am Ort des Geschehens waren, versucht er eine persönlich geprägte Bilanz zu ziehen.
Das Foto der Skyline von New York mit den Zwillingstürmen lässt sich nur noch in Umrissen erkennen. Dasselbe gilt für das Datum der Anfrage. Es ist nach zwei Jahrzehnten so verblichen, wie die kollektive Erinnerung an diesen Tag, der für mehr als eine Generation an Amerikanern heute bestenfalls Geschichte ist. Wer den 11. September 2001 hingegen selbst erlebt hat, versteht unmittelbar, wie unheimlich die Bitte der Kollegen war, „eine Geschichte über die neue Skyline von New York schreiben“.
Das Fax aus der Redaktion mit dem DPA-Foto und der Unterzeile „Vom Finanzzentrum zu Kulturmeile: Downtown Manhattan im Wandel“ traf um zwei Minuten nach Mitternacht ein. Fast genau zehn Stunden später, um 10 Uhr 02 stürzte der Südturm des World Trade Centers ein. Und mit ihm das Gefühl der Sicherheit einer von zwei Ozeanen geschützten Nation, die sich bis dahin unverwundbar fühlte. Kurz darauf sank der Nordturm unter dem schrecklichen Stöhnen des verzogenen Stahls in sich zusammen.
Joan Mastropaolo (62) verfolgte das Geschehen von einem Logenplatz auf der anderen Seite des Hudson in New Jersey. Fluglotsen kategorisierten den Himmel über Manhattan als „severe clear“. Keine Wolken, kein Schleier, nichts was die Aussicht trüben könnte. „Ich kann an keinen anderen Tag in meinem Leben denken, der so 'severe' (dt. intensiv, heftig, massiv) war“, erinnert sich die Managerin eines großen Krankenversicherers an das, was Milliarden Menschen rund um die Welt später in Endlosschleife auf der Mattscheibe verfolgten.
Aus dem Konferenzraum sah sie mit eigenen Augen, wie sich die Ende der 60er-Jahren errichteten Wahrzeichen der Skyline von Manhattan zu „Ground Zero“ verwandelten. „Das Flugzeug tauchte aus heiterem Himmel auf“, beschreibt Joan, wie eine Boeing 767 in den nördlichen der beiden Zwillingstürme einschlug. Der Koloss aus Stahl, Glas und Beton verschluckte den Flieger der American Airlines zwischen der 93 und 99 Etage. Und spie aus der klaffenden Pforte Feuer und Rauch. Joan hörte wie kurz darauf eine zweite Maschine direkt über sie hinweg donnerte und sich wie eine Rakete in den anderen Wolkenkratzer bohrte.
Frieden und Sicherheit verloren
Panisch rief sie ihren Mann an, der zu Hause unter Dusche stand. Einen Block entfernt von dem Südturm, auf den sie aus ihrem Eckapartments in der 15. Etage einen unverbauten Blick hatten. Sie bedrängte Frank, sofort das Hochhaus zu verlassen. Als ihre Nachbarschaft in einer gewaltigen Giftwolke verschwand, wusste sie nicht, ob es ihr Mann geschafft hatte. Oder ob es ihr Zuhause noch gab. „Mir war aber klar, dass ich meinen Frieden und meine Sicherheit verloren habe.“
Zwanzig Jahre später bereut sie nicht, in ihre Wohnung zurückgekehrt zu sein. „Wir wollten uns von diesen schlechten Leuten nicht vorschreiben lassen, wo wir leben“, erinnert sie sich an die Entscheidung, die sie mit Ehemann Frank traf, der sich in letzter Minute in Sicherheit retten konnte. Es dauerte Wochen, das zerbrochene Glas der Fenster und den toxischen Feinstaub zu beseitigen, der sich in Teppichen, Vorhängen und Möbeln festgesetzt hatte.
„Der 11. September wird Teil der Person“, erklärt Joan, warum es zur Rückkehr an „Ground Zero“ für sie keine Alternative gab. „Man kann davor nicht weglaufen.“ Als Nachbarin erinnert sie sich an das Gefühl der Gemeinschaft mit Menschen, die aus allen Teilen der USA und der Welt kamen, um zu helfen. Sie erlebte das bewegende Ende der Bergungsarbeiten nach acht Monaten, als zehntausende den Helfern Beifall klatschten, die in den Trümmern oft mit bloßen Händen nach DNA der 2735 Toten gesucht hatten. Und an den Wiederaufbau.
Das Pflanzen der 400 weißen Eichen rund um die beiden Spiegelbecken auf den Grundrissen der Zwillingstürme, an deren Rändern die Namen der Opfer eingraviert sind, markierte für Joan einen besonderen Moment. „Mit den Bäumen kam das Leben zurück an einen Ort, der einmal voller Leben war und uns genommen wurde.“
Die zierliche Frau kehrte auch an „Ground Zero“ zurück, um Zeugnis abzulegen. Sie gehört zu den fast tausend Freiwilligen des 911-Tribute Museums (https://911tributemuseum.org), die Besuchern an „Ground Zero“ erzählt, was an diesem Tag passierte. Joan schwor sich, ihren Beitrag gegen das Vergessen zu leisten, „so lange ich gehen und sprechen kann“. Zumal schon an diesem Jahrestag mehr als eine Generation keine persönliche Erinnerung mehr hat.
9/11-Tribute Museum
Die gute Nachbarin von Ground Zero bedauert, „dass wir den Sinn für Gemeinsamkeit jetzt schon verloren haben“. Joan findet keine richtige Erklärung dafür, wie sich das Miteinander in den Tagen nach dem 11. September in eine Zerrissenheit verwandelte, die Menschen während der COVID-19-Katastrophe über so elementare Dinge wie Masken und Impfungen auseinander bringt. Aber sie hat einen dringenden Wunsch. „Tun Sie was Gutes in ihrer Nachbarschaft, und beweisen Sie, dass eine positive Einstellung die Welt besser macht.“
Ginny Bauer (65) kehrt genau deswegen regelmäßig an „Ground Zero“ zurück. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern des nationalen 911-Museums, dessen Geschicke sie bis heute mitbestimmt. Zum Wiedersehen nach zehn Jahren wartet Ginny unweit des Eingangs an dem mit „N37“ markierten Abschnitt des nördlichen Spiegelbeckens, in dem der Name ihres Mannes David eingraviert ist.
Der erfolgreiche Investment-Banker saß an seinem Schreibtisch im 105ten Stockwerk, als Flug 11 der American Airlines um 8 Uhr 45 in den Nordturm einschlug. Kurz vorher hatte Ginny mit dem Vater ihrer drei Teenager telefoniert. Danach schaltete sie beim Spülen der Frühstücksteller den Fernseher ein. „Ich sah das Flugzeug in den Nachrichten und dachte, oh mein Gott“, erinnert sie die surreale Situation. Für David gab es kein Entkommen. Wie für die anderen 658 Kollegen des Investmenthauses „Cantor Fitzgerald“ nicht, das am 11. September mehr Menschen verlor als jedes andere Unternehmen.
„Zu dieser Jahreszeit holen mich die schlechten Erinnerungen ein“, gesteht Ginny in der Vormittagssonne, die den 1776 Fuß (ca. 541 m) hohen „One World Trade Center“ hinter ihr im Becken spiegeln lässt. Er ist Teil des von Michael Arad entworfenen 9-11-Denkmals, dessen in die Tiefe stürzenden Wasserkaskaden die Abwesenheit sichtbar machen. Ein Gedenkort, an dem trotz tausender Besucher selten etwas lauter ist, als das endlos fallende Wasser.
- Video: Am Samstag jährt sich 9/11 zum 20. Mal. Der Terror hat damals fast 3.000 Menschenleben gefordert. Tausende sind noch in den Jahren darauf an den Folgen gestorben.
An den „perfekten“ Spätsommer-Tag mit intensiv-blauem Himmel und leichter Frische muss Ginny niemand erinnern. Sie spürte es an diesem Morgen, als sie von Red Band in New Jersey mit dem Fährboot in 45 Minuten zum Pier 11 an der Wall Street übersetzte. Wie David, der jeden zwischen der idyllischen Villa am Navesink-Fluß ins Herz des Kapitalismus pilgerte. „Sie schauen niemals in der gleichen Weise in den Himmel“, gesteht sie und fügt selbstkritisch hinzu. „Eigentlich sollte mir das nicht mehr so viel ausmachen.“
Ungewollte Berühmtheit
Dabei versteht die Powerfrau es gut, ihre Gefühle hinter einer Fassade der Geschäftigkeit zu verbergen. „Ich möchte nicht als Opfer gesehen werden“, erklärt Ginny ihr öffentliches Engagement. „Das hätte David nicht gefallen.“
In den Tagen nach den Terroranschlägen gelangte sie als „9-11-Witwe“ zu ungewollter Berühmtheit. Zusammen mit ihren Mitstreiterinnen setzte sie im US-Kongress noch vor Ende 2001 Soforthilfen für die Angehörigen durch. Später nutzte die Ökonomin ihr Talent, einen sechs Milliarden Dollar schweren Entschädigungsfonds für die Hinterbliebenen zu erstreiten. All das trug ihr den fiesen Vorwurf ein, ein geldgieriges „Moneygirl“ zu sein.
Ihr Einsatz für die Angehörigen katapultierte Ginny aus ihrer Privatheit ins öffentliche Leben. Sie traf mehrere US-Präsidenten, Papst Franziskus, Queen Elizabeth und Michael Gorbatschow. Die selbst so hart vom Schicksal Geprüfte rückte an die Spitze der staatlichen Lotterie von New Jersey. Der damalige Gouverneur Jon Corzine, machte zu seiner Wirtschaftsministerin. Später wachte sie im Aufsichtsrat der Port Authorities über alle Häfen und Flughäfen, Brücken und Tunnels sowie die Schnellbahn, die New Jersey mit New York verbindet.
„Viele wundervolle Dinge sind in meinem Leben passiert“, zieht Ginny persönlich Bilanz nach zwei Jahrzehnten. Beruflicher Erfolg, Gesundheit und vier Enkelkinder gehören dazu. „Aber ich würde sofort wieder an die Spüle zurückkehren, wenn ich Dave wiederhaben könnte.“
- Video: Streifzug durch das 9/11-Memorial und Museum in New York
„Die Erinnerung an den 11. September schwindet“, sagt Ginny über ihre Erfahrung bei Begegnungen überall in den USA. „Statt darüber zu verbittern, versuche ich etwas zu tun.“ Einmal im Monat kommt sie nach „Ground Zero“, um ihren Aufgaben im Aufsichtsrat des nationalen 911-Museums nachzukommen. Ein Ort, dem sie sich auch nahe fühlt, weil dort hinter einer Wand mit 2,983 Fliesen in unterschiedlichen Blautönen sterbliche Überreste von Opfern – wohl möglich auch Davids – aufbewahrt werden. Das Virgil-Zitat versteht sie als Auftrag: „Kein Tag soll Dich aus dem Gedächtnis der Zeit löschen“.
Verlust an Gemeinsinn
Für den Fotografen Gary Suson (44) klingt das wie der Appell an eine Nation, die Mühe hat, ihre Geschichte in allen Teilen zu erinnern. Und ihre Helden zuweilen vergisst. Dazu gehören die rund 81.000 Bergungsarbeiter von „Ground Zero“, deren Einsatz Gary im Auftrag der New Yorker Feuerwehr exklusiv über acht Monate lang begleitete. „Sie sterben wie die Fliegen“, klagt der Fotograf beim Wiedersehen in seinem „Ground Zero Workshop“ (https://groundzeromuseumworkshop.org) im Meatpacking District.
Er zeigt auf ein Bild, das er an „Ground Zero“ von Paul Geidel mit seinen Söhnen Mike und Ralph aufgenommen hatte. Die drei Feuerwehrleute atmeten über Monate toxische Dämpfe ein, während sie in den Trümmern von Ground Zero nach ihrem vermissten Sohn und Bruder Gary suchten. Ralph verstarb an „911-Krebs“, Paul an anderen Gesundheitsfolgen des Einsatzes. „Wir können die Fotos an der Wand durchgehen“, meint der Gründer des Hausmuseums auf der 3. Etage der 420 West 14th Street, das in Bild und Ton ein intimes Zeitzeugnis des 11. September ablegt.
Mehr als die Hälfte der vom „WTC Health Program“ registrierten Bergungsarbeiter leiden an einer der typischen Ground-Zero-Folgen: Erkrankungen der Atemwege, Lunge, Speiseröhre, Herz sowie alle möglichen Krebsarten und posttraumatischen Stress. Nach dem 11. September starben mehr Helfer an den Folgen ihres Einsatzes als es an dem Tag selbst an Opfer gab. Während COVID nahm die Zahl zu, weil viele Ground-Zero-Arbeiter unter Immunschwäche leiden, die sie besonders anfällig für den Virus machen. Auch Gary infizierte sich, überlebte aber „wie durch ein Wunder“.
Es dauerte achtzehn Jahre bevor der Kongress den 6,8 Milliarden „Never Forget the Heroes“ -Funds beschloss, den es ohne den unermüdlichen Einsatz des Satirikers Jon Stewart vermutlich bis heute nicht gäbe. Doch die Auszahlung verläuft zäh. „Ich frage mich, ob die darauf warten, bis alle Betroffenen verstorben sind“, klagt Gary, der selbst vor etwas mehr als zwei Jahren seinen Antrag stellte und bis heute auf eine Antwort wartet.
Der Fotograf zeigt die Sauerstoff-Maschine, die ihn auf Schritt und Tritt in einer schwarzen Tasche begleitet. Wenn ihm schwindelig wird, steckt sich Gary die Plastik-Düsen in die Nase. Einmal in der Woche träufeln Vitamin-C-Gaben in seine Venen und seit Gedenken macht er Therapie, um mit dem klarzukommen, was er durch die Objektive seiner Kamera sah: Abgerissene Gliedmaßen, Hautfetzen und halb verweste Körper.
An „Ground Zero“ kehrt er nur zurück, wenn es nicht anders geht. Zuletzt Ende August, als er einen aus Stahl der Zwillingstürme gearbeiteten islamischen Sichelmond (Hilal) mit zugehörigem Fünfzack-Stern aus dem Lager des nationalen 911-Museums abholte. Weil die Kuratoren dort die Auftragsarbeit zum Gedenken der 34 muslimischen Opfer nicht ausstellen wollten, verlangte es Gary zurück. Es findet nun einen prominenten Platz in dem neuen Ableger seines "GroundZeroWorkshops", den er am Jahrestag des 11. September an der „Barrington Highschool“ in einem Vorort von Chicago eröffnen will.
Gary sagt, die Rückkehr an Ground Zero löste bei ihm auch diesmal wieder „fürchterliche Schmerzen im Rücken und Lähmungserscheinungen in beiden Beinen aus“. Er halte es dort einfach nicht aus. „Ich vermute, das ist psychosomatisch.“
Dass der 20. Jahrestag von 11. September mit der COVID-19-Pandemie zusammenfallen, ist für den sensiblen Dokumentar-Fotografen der Leichensucher von Ground Zero voller Symbolik. „Es geht um den Verlust von Sicherheit“, beschreibt er den gemeinsamen Nenner. „Gibt es einen anderen Terroranschlag? Wartet auf uns eine weitere COVID-Welle?“ Und der Rückzug aus Afghanistan steht für ihn als lebendiger Beweis für das Schwinden der kollektiven Erinnerung. „Es regt mich auf“, sagt er über die Bilder aus Kabul. „Was war der Punkt für uns, 20 Jahre da gewesen zu sein?“
Das fragt sich auch Michael Keane (55), dessen Pub O'Haras nur einen Steinwurf vom ehemaligen Südturm des World Trade Centers entfernt liegt. Nach dem 11. September entwickelte er sich zum Refugium für die Feuerwehrleute und Helfer an Ground Zero. Viele von ihnen dienten später, oft motiviert durch das Erlebte, als Soldaten in Afghanistan. „Die wussten doch, was passiert“, meint Michael über das Rückzugs-Chaos, während er die Stühle vor Öffnung des Lokals zusammenschiebt. „Warum haben sie die Leute einfach hängen lassen?“
Der Wirt von "Ground Zero" hat von vielen Schicksalen gehört. Den fünf Feuerwehrleuten von der Wache nebenan, die beim Einsturz der Zwillingstürme ums Leben kamen. Der behinderten Tochter eines getöteten Rettungshelfers, die ihn bat, von ihrem Vater zu erzählen, der ein Stammgast war. Und den Angehörigen, die nach den jährlichen Gedenkfeiern, zu dem Traditionshaus pilgern, das der Katastrophe soeben entgangen war. „Sie finden bei O'Haras etwas, von dem, was verloren ging“.
Dazu gehört das Gefühl der Zusammengehörigkeit, für das auch die rund 10.000 Abzeichen von Feuerwehrleuten und Polizisten aus allen Teilen der Welt stehen, mit denen der Pub bis unter die Decke dekoriert ist. Die Tradition begann am ersten Jahrestag des 11. September und hält bis heute an. Auch Michael hat keine Antwort, warum das Land nicht verstand, den Gemeinsinn zu nutzen, etwas Positives daraus zu machen. „Ich weiß es nicht“, sagt der Wirt und entschuldigt sich.
Lee Ielpi (76) erinnert sich nostalgisch an die Meere an Sternenbanner. „Die kamen nicht hinterher, Flaggen zu nähen“, sagt der pensionierte Feuerwehr-Offizier, der mit anderen Vätern der „Band of Dads“ acht Monate lang nach deren Söhnen suchten, die vom Einsatz am 11. September nicht zurückgekehrt waren. Die französische „Le Monde“ brachte das Gefühl im globalen Dorf mit einer Schlagzeile auf den Punkt: „Nous sommes tous Américains“ (dt. Wir sind alle Amerikaner)
Ielpi kann davon zwanzig Jahre später nicht mehr viel feststellen. Der vielfach ausgezeichnete ehemalige Angehörige einer Elite-Einheit der New Yorker Feuerwehr Company vergleicht die Situation der Nation nach 9–11 mit jemanden, der mit beiden Händen am Strand Sand aufhebt. „Langsam öffnen sich die Finger und Sand rieselt heraus. Und dann ist nichts mehr da.“ Warum? „Es ist alles politisiert worden“, klagt er die Verantwortlichen an. Eine vergeudete Chance. „Wir haben nicht viel gelernt“.
Nach dem Fall Kabuls an die Taliban haben die Behörden die Sicherheitsmaßnahmen an „Ground Zero“ verstärkt. In seltsamen Kontrast zu der gedämpften Atmosphäre der Besucher sind die Polizisten mit ihren auf Sprengstoff trainierten Hunden in Alarmbereitschaft. Wer einen der Neubauten des World Trade Centers oder das 911-Museum besuchen will, muss heute Personenüberprüfungen wie am Flughafen über sich ergehen lassen.
Lee klingt resignierter als beim letzten Wiedersehen an "Ground Zero" vor fünf Jahren. „Es gibt immer noch kein einziges Curriculum für den Schulunterricht in einem der 50 Bundesstaaten“, sagt der Feuerwehrmann, der mit Erschütterung wahrnimmt, wie wenig junge Amerikaner von New York bis Texas über den 11. September wissen.
Er stoße auf ungläubige Gesichter, wenn er bei seinen Vorträgen davon erzählt, dass nicht nur zwei, sondern alle sieben Gebäude des World Trade Centers nicht mehr stehen. Dass die Rettungshelfer 19.979 Leichenteile an Ground Zero fanden und von 1.100 Opfern jede Spur fehlt. Oder nur 174 Leichen ganz geborgen werden konnten; eine davon sein Sohn Jonathan.
„Erziehung ist der Schlüssel“
Trotz seiner Enttäuschung über das Schwinden der kollektiven Erinnerung gibt Lee nicht auf. Wie damals nicht als er mit einer Koalition von Angehörigen des 11. September dafür stritt, ein würdevolles Denkmal an „Ground Zero“ zu errichten. „Die Leute schauten durch Löcher in den Bauzäunen, um etwas zu sehen“, beschreibt er das lange Warten auf das nationale Denkmal und das Museum.
Zusammen mit anderen füllte er Lücke mit dem 911-Tribute Museum, das an „Ground Zero“ Touren mit Zeitzeugen anbot. „Erziehung ist der Schlüssel, die Welt sicherer zu machen“, sagt der zähe Rentner, dem die Vermittlung der Ereignisse an die nach dem 11. September zur Welt gekommene Generation besonders am Herzen liegt. Das schütze übrigens auch gegen Verschwörungstheorien, die nach den Anschlägen wie Pilze aus dem Boden sprossen. „Alles Hühnerdreck“, sagt Lee emphatisch, „über diese lächerlichen und absurden Geschichten“, die alle widerlegt seien.
Der Rückzug aus Afghanistan sei überfällig gewesen. „Wir haben gemacht, was wir tun mussten“, sagt er über die Ausschaltung der Terrorcamps, die schnelle Entmachtung der Taliban und die erfolgreiche Jagd auf bin-Laden. Er habe Freunde, die zehn bis fünfzehnmal am Hindukusch im Einsatz waren. Der verstorbene Ex-Verteidigungsminister Don Rumsfeld, mit dem Ielpi einmal im Rosengarten des Weißen Haus speiste, hätte richtig gelegen, als er früh für einen Abzug plädierte.
Während Lee bei früheren Begegnungen den Eindruck hinterließ, er werde „Ground Zero“ niemals verlassen können, wird er an diesem runden Jahrestag nicht an den Gedenkfeiern teilnehmen. Zum ersten Mal. Er lebt auch nicht mehr in New York, sondern an der Westküste Floridas unweit von Venice. „Wir haben ein Boot, wir gehen spazieren, wir reisen gerne“, beschreibt er sein neues Leben mit Ehefrau Barbara. Weinen werde er trotzdem. „Ich vermisse seit 20 Jahren meinen besten Freund.“
Die Geschichte über die neue Skyline von New York ist eine andere geworden, als im Morgengrauen des 11. September 2001 noch gedacht. Mit jeder Rückkehr an „Ground Zero“ wird sie fortgeschrieben, damit die Erinnerung an diesen Tag nicht so verblasst wie das Datum der Anfrage auf dem vergilbten Thermopapier.
Zwanzig Jahre nach dem 11. September kehrt unser Korrespondent Thomas J. Spang an „Ground Zero“ zurück. In Begegnungen mit Menschen, die am Ort des Geschehens waren, versucht er eine persönlich geprägte Bilanz zu ziehen.
Umfrage
Was denken Menschen in den USA, die den 11. September 2001 selbst nicht erlebt oder in Erinnerung haben, über den 20. Jahrestag des unvergleichlichen Terroranschlages?
„Jeder ist unterschiedlich berührt worden von diesem Tag. Ich finde es interessant, dass Flugzeuge den Terror damals in die USA brachten und sich 20 Jahre später Menschen in Afghanistan an Flugzeuge klammerten, um dem befürchteten Terror zu entkommen.“
Campbell Jenkins (20), aus Charlotte, North Carolina
„Ich erinnere mich daran, dass meine Grundschullehrerin plötzlich weinte. Mein Großvater holte mich von der Schule ab und zu Hause sah ich, was passiert war. Acht Jahre später meldete ich mich als Freiwilliger für das Marine Corps – auch wegen des 11. September.“
Bradley Reichard (30), aus Wichita in Kansas
„Der 11. September war eine der größten Tragödien der modernen Welt hier in Amerika. Ich bin sehr weit von New York entfernt aufgewachsen und habe nicht allzu viel darüber in der Schule gelernt – auch wenn bestimmt irgendwo etwas darüber im Geschichtsbuch stand.“
Kaylani Martinez (20), aus San Diego in Kalifornien
„Ich erinnere mich an einen meiner Professoren, der erst vor kurzem an Gesundheitsfolgen des 11. September gestorben ist. Es gibt immer noch Menschen, die unter dem leiden, was sie erlebt haben. So gesehen passierte das nicht nur vor 20 Jahren. Es betrifft uns noch immer.“
Joan Ievide (22), aus New York
„Ich wusste nicht, dass ein runder Jahrestag ansteht, bevor ich das nationale 9/11-Museum in New York mit meinem Vater im August besucht habe. Ich wünsche mir, dass wir mehr über diesen Tag in der Schule lernen. Also, was genau passiert ist und vor allem warum es passiert ist.“
Oliver Meridith (15), aus Bend in Oregon
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Jedes Bauteil hat eine Versagenswahrscheinlichkeit von ca. 10^(-6), also etwa 1: 1 Million, bei uns. Die in Amerika oder China haben eine 10 bis 100 mal höhere Wahrscheinlichkeit, dass ein Hochhaus einstürzt.
Ein Hochhaus in Florida, Juni 21, mitten in der Nacht eingestürzt, ohne dass es gebrannt hat. Wenn ein Bauteil versagt, löst das eine Kettenreaktion aus und das Ding fällt zusammen wie ein Kartenhaus.
Kann man auch als politische Allegorie verstehen.
Ein unvorstellbar schlimmes Attentat.
Ein Leid das für viele ein Leben lang nicht vorbei geht.
Aber immer noch ist die Frage offen warum WTC 7
auch in sich zusammenstürzte.
Verschwörungshanseln unterwegs!