Neue Lifestyle-Droge "Schilddrüsenhormon"
Bei Erkrankungen der Schilddrüse spielt die Psyche eine wichtige Rolle – nicht immer hilft das Hormon, es braucht viele Maßnahmen.
Müdigkeit, Haarausfall, Stimmungsschwankungen, Gewichtszunahme ... die Beschwerden einer Schilddrüsen-Unterfunktion sind nicht immer eindeutig zuordenbar. Noch dazu, weil sie oft bei hormonellen Umstellungen wie etwa im Klimakterium (Wechsel) auftreten. "Wenn Frauen dann an Gewicht zunehmen oder abgeschlagen und depressiv verstimmt sind, wird sofort die Schilddrüse verantwortlich gemacht und ein Schilddrüsenhormon-Präparat eingenommen", sagt Primar Michael Gabriel, Vorstand des Instituts für Nuklearmedizin und Endokrinologie am Kepler-Universitätsklinikum.
Von Schilddrüsen-Erkrankungen sind bis zu achtmal mehr Frauen als Männer betroffen. Bei 30 Prozent der Patientinnen wird das Medikament ohne akzeptierte Indikation verschrieben. "Es wird als Lifestyle-Droge verwendet oder die Betroffenen erhöhen selbstständig die Dosis", so der Experte. Ist aber nicht die Unterfunktion, sondern der Wechsel oder etwas anderes für die Beschwerden verantwortlich, wirkt das Hormon nicht. Im Gegenteil: Bei sechs Prozent der Fälle ist das Medikament sogar schädlich für den Körper.
Ausnahme: Beim Schilddrüsen-Karzinom ist die Dosierung des Hormons bewusst hoch, das verringert das Risiko, dass der Tumor wiederkommt. "Und auch wenn er als guter Krebs gilt und 90 Prozent Heilungschance besteht, ist es wichtig, die Patienten hier ernst zu nehmen. Denn: Schilddrüsenerkrankungen sind in vielerlei Hinsicht schwierig für die Psyche. "Oft werden sie bei unerfülltem Kinderwunsch diagnostiziert oder auch sechs bis acht Wochen nach einer Geburt, beides zusätzlich belastende Situationen", so der Primar.
Schilddrüsen-Erkrankungen sind nicht "sichtbar", werden also vom Umfeld nicht wahrgenommen. Das erschwert vielen Patienten das Leben. Psychisch belastende Lebensphasen begünstigen zudem Schilddrüsen-Funktionsstörungen. "Stressige Ereignisse können laut Studien Autoimmunerkrankungen auslösen", sagt Primar Gabriel. Dazu zählen auch Hashimoto Thyreoditis (Unterfunktion) und Morbus Basedow (Überfunktion der Schilddrüse).
Während eine Schilddrüsen-Unterfunktion ein eher schleichender Prozess ist, tritt Morbus Basedow schnell und massiv auf: Erhöhter Herzschlag, Nervosität, Schlafstörungen, Gewichtsabnahme sind die Symptome. "Hier wird zum Bremsen des Stoffwechsels ein Thyreostatikum verschrieben, dann nehmen die Patientinnen kurzfristig zu, später wieder ab. Für die Psyche ist das eine einzige Berg- und Talfahrt und sehr schwierig", sagt der Schilddrüsen-Experte. Seine Empfehlung in vielen Fällen: "Eine Operation der Schilddrüse und dann das Hormon einnehmen, das führt zu einer stabilen Stoffwechsellage."
Begleitend ist eine "personalisierte Medizin" wichtig. Dazu gehören die Regulation des Immunsystems, der Ausgleich von Mangelzuständen mit Vitamin D und Spurenelementen und Veränderungen des Lebensstils wie gesunde Ernährung, Erholung, Bewegung. Das Schilddrüsenhormon sei zwar die einfache und schnelle Variante – man müsse aber meist an vielen Schrauben drehen und sich Zeit nehmen, um den Patientinnen wirklich zu helfen, so Gabriel.
Wenn die Schilddrüse nicht mehr funktioniert
Die Schilddrüse liegt unterhalb des Kehlkopfs direkt vor und an den Seitenflächen der Luftröhre. Die Form der bei Erwachsenen rund zehn Zentimeter breiten Hormondrüse erinnert an die Form eines Schmetterlings.
Hauptaufgabe der Schilddrüse ist die Produktion der Hormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3). Diese Botenstoffe haben Einfluss auf zahlreiche Stoffwechselprozesse sowie auf Wachstum und Entwicklung.
Frauen sind häufiger als Männer von Schilddrüsen-Erkrankungen betroffen. Die weiblichen Hormone haben hier wesentlichen Einfluss. Das beginnt ab dem gebärfähigen Alter, betrifft den Kinderwunsch, Schwangerschaft und ist auch bei Frauen im Wechsel ein Thema.
Die Hashimoto-Thyreoiditis ist eine chronisch verlaufende Schilddrüsenentzündung mit Unterfunktion. Die Symptome sind Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Gewichtszunahme, Zyklus-Unregelmäßigkeiten, Kältegefühl.
Bei Morbus Basedow kommt es durch die gesteigerte Produktion von Schilddrüsenhormon zu einer Schilddrüsenüberfunktion. Emotionaler Stress, Nikotin und auch eine genetische Veranlagung spielen eine Rolle. Die Psyche ist dabei genauso belastet wie der Körper.