Was die Hand alles kann
Als Liebeserklärung an die Hand versteht sich die neue Schallaburg-Schau "Der Hände Werk". Bernhard Lichtenberger ist dem traditionellen Handwerk bis ins Heute gefolgt.
Zwischen den monströs aufgeblasenen Lippen streckt die Figur eine nicht minder große Zunge hervor. Während das Gemächt gar nicht mächtig erscheint, haben die Hände eine riesenhafte Form angenommen. Die verzerrten Proportionen des Homunculus-Modells sollen veranschaulichen, wo unser Gehirn am meisten Hand anlegen muss: beim Steuern und Empfinden unserer Hände. Stärker als das Mundwerk geht uns demnach das Handwerk durch den Kopf. 27 Knochen und 34.000 Fühlkörperchen hat das Oberstübchen auf die Reihe zu bringen.
Diese Betrachtung ist nur eine von vielen, mit denen die Kuratorinnen Brigitte Felderer und Katrin Ecker versuchen, das menschliche Wunderwerk inhaltlich in den Griff zu bekommen. "Der Hände Werk" baut in 23 Räumen der Schallaburg eine historische Brücke vom Mittelalter bis zur Gegenwart, setzt Innovation neben Tradition und offenbart den Wandel, dem Handwerk unterworfen ist – in Geschichten und 570 Objekten, vom Kuriosum bis zum Kunstwerk.
Acht Jahre lang gestrickt
Beides vereint eine Arbeit von Claudia Märzendorfer, die mit Geschlechterrollen spielt und als typisch männlich Erfasstes in eine weibliche Form transferiert: In acht Jahren hat die Künstlerin aus 7,2 Kilometer Wolle "Ersatzteile" eines Lkw gestrickt, gehäkelt und genäht. Dazu passt auch ein Zitat, das Regentin Maria Theresia in den Mund gelegt wird: "Wer stickt, sündigt nicht." Diese Handarbeit entsprach im Barock dem Idealbild einer fleißigen und anständigen Weiblichkeit, gehörte zur aristokratischen Mädchenerziehung und diente der Disziplinierung.
Endlose Namensreihen auf Telefonbuchseiten kleiden einen gewölbten Raum aus. Bis ins Mittelalter gab es keine Familiennamen. Häufig leiteten sie sich von der geografischen Herkunft oder vom Beruf ab. So kam zum Vornamen der Müller, der Schuster, der Schmied. Das Mittelalter war auch die Zeit der mächtigen Zünfte, die ihre Gewerbe regulierten, von sozialer Bedeutung waren und den Gesellen die Walz vorschrieben. Diese Wanderjahre waren das, was heute als Technologietransfer beschrieben würde: Die der Lehrzeit Entwachsenen gingen hinaus, um ihr Wissen zu verbreiten und gleichzeitig Neues zu lernen.
Damals galt noch das Sprichwort, wonach Handwerk einen goldenen Boden hat. Heute ließe sich durchaus der zur Mentalität gewordene Werbespruch "Geiz ist geil" entgegensetzen. Maschinell oder in Billiglohnländern gefertigte Massenware ist billig und recht. Aber wer will schon 200 bis 300 Euro für gediegene, maßgeschneiderte Lederhandschuhe in die Hand nehmen?
Aber wenn, wie eingangs an einer Wand steht, analog das neue Bio sei, lassen sich die Werkenden das Schöpferische nicht aus der Hand nehmen. Das bezeugen neue Positionen, die sich zu alten Meisterwerken gesellen. Tritt der Besucher durch das barocke schmiedeeiserne Tor, das Johann Georg Oegg um 1730 für Schloss Hof fertigte, stößt er auf ein edles Messer aus Damaszener Stahl, das der 25 Jahre junge Ernstbrunner Messerschmied Florian Stockinger als "Klinge für Generationen" geschaffen hat. Und zwischen Zeichen, Stempeln und Truhen von Zünften fällt ein Reisetrolley auf, den der Tiroler Tischler Horst Gstrein als Meisterstück ausschließlich aus Holz hergestellt hat – Zahlenschloss, Räder und Scharniere inklusive.
200 Stunden für eine Briefmarke
An Meisterwerken im Sinne von außergewöhnlich gelungenen Stücken mangelt es der Schau nicht. Dazu gehört gewiss die von 1906 bis 1910 aus schwedischer Birke geschnitzte Riesenpfeife, die Darstellungen aus dem Leben Rudolfs von Habsburg schmücken, und ein luxuriöser Kabinettschrank aus dem Jahr 1610. In diese Kategorie passt aber genauso gut die Briefmarke "Luchs", die Kirsten Lubach in Wien in rund 200 Stunden Arbeit in eine Stahlplatte stach. Oder die "Tweezers" des Designers Clemens Auer, der damit einen Alltagsgegenstand neu erfunden hat: Seine aus einem durchgehenden Stück Metall geformte Pinzette erhielt 2016 den Deutschen Designpreis.
"Ohne Handwerk ist technologischer Fortschritt gar nicht denkbar", sagt Kuratorin Brigitte Felderer. Als Beispiel dafür kann die Firma Silberbauer genommen werden, die seit 1848 in Niederösterreich textile Bänder herstellt. Waren es früher etwa traditionelle Körperbänder aus Baumwolle und Leinen, hat sich die Produktpalette verändert. Heute werden überwiegend technische Bänder aus Materialien wie Glas, Polyester oder Kohlefaser hergestellt, weltweit exportiert und u.a. auch für schusssichere Westen verwendet.
Eines liegt auf der Hand: Die Schau kann sich sehen lassen!
"Der Hände Werk": Schallaburg, bis 3. November, Mo-Fr 9-17 Uhr, Sa,So,Ft 9-18 Uhr; Eintritt: 11 Euro (Erwachsene), 3,50 Euro (Kinder & Jugendliche, 6-18 Jahre), 20 Euro (Familien), Führung 3,50 Euro www.schallaburg.at