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"Auch die Seele braucht Nahrung"

Von Bernhard Lichtenberger, 04. Juli 2015, 00:04 Uhr
"Auch die Seele braucht Nahrung"
Derzeit betreut "Sei so frei" dreizehn Volksschulen in Bergdörfern in Guatemala. Bild: Hehenberger

Guatemala: Landschaftlich faszinierend, aber das Armenhaus Lateinamerikas. Verseucht von Korruption, betroffen von Kriminalität. Die Aktion "Sei so frei" hält das nicht auf.

Die Regierung schert sich wenig um das Fortkommen in den Bergregionen Guatemalas, in denen die Menschen oft weder über Elektrizität noch über fließendes Wasser verfügen. Seit zehn Jahren setzt sich Franz Hehenberger, Geschäftsführer der Aktion "Sei so frei" der Katholischen Männerbewegung in Linz, in den abgelegenen Dörfern für die ländliche Entwicklung ein. Etwas verändern, sagt er nach seinem jüngsten Besuch im Projektgebiet, könne man nur, wenn in die Bildung investiert wird.

Mit welchen Schwierigkeiten kämpfen Sie?

Es gibt ein staatliches Budget für Schulen im Zentrum. Je weiter man von der Hauptstadt wegkommt, desto dünner bzw. gar nicht mehr sichtbar werden die Mittel verteilt. Die Bedürftigen fallen durch den Rost. Sie haben keine Lobby und sind wirtschaftlich in der Bedeutungslosigkeit anzusiedeln.

Warum investieren Sie vornehmlich in Bildung?

Systeme sind nur dann veränderbar, wenn das Bildungsniveau steigt. Wissen heißt, ein Selbstbewusstsein und ein Selbstwertgefühl entwickeln können.

Wie sieht das Bildungswesen in den Bergregionen, in denen Sie tätig sind, aus?

Armselig. Von staatlicher Seite gibt es die Schulpflicht für die sechsjährige Volksschule, aber es wird nicht kontrolliert, ob die Kinder hingehen oder der Lehrer da ist. Für den Lehrer habe ich ein gewisses Verständnis, wenn das so eine Wellblechhütte oder Bretterbude mit Lehmboden ist, in der bei Regen alles schwimmt. Und die Kinder gehen in die Schule, solange sie daheim am Hof oder auf der Plantage nicht gebraucht werden. Sobald sie acht Jahre alt sind, werden sie als Arbeitskraft interessant und einfach nicht mehr in die Schule geschickt.

Wie wirken Sie dagegen?

Wir versuchen in den Dörfern, bei den Familien herauszufinden, ob die Bereitschaft für eine Veränderung da ist, ob für bessere Bildungschancen auch etwas investiert werden will. Auf zarte Weise wollen wir dem Vater oder der Mutter klarmachen, dass für sie wahrscheinlich der Zug abgefahren ist – aber wollen sie, dass es ihren Kindern besser geht? Wenn diese Eintrittshürden überwunden sind, können wir an die Infrastrukturmaßnahmen gehen. Wenn die Bewohner bereit sind, beim Schulbau mitzuhelfen, der Bürgermeister das Grundstück zur Verfügung stellt, die Besitzverhältnisse geklärt sind und sich die Gemeinde zur Erhaltung und das Unterrichtsministerium für das Schicken und Bezahlen qualifizierter Lehrer verpflichten, dann können wir uns vorstellen, eine Schule zu bauen.

Warum bieten Sie zu den Schulen auch Mini-Sportplätze an?

Eine fertige Infrastruktur ist gut, damit man lernen kann. Für die Kinder braucht es aber mehr. Sie wachsen in einem Umfeld auf, das von hoher Gewaltbereitschaft geprägt ist. Dort, wo Armut so ausgeprägt ist, dass ich oft nicht weiß, was ich am nächsten Tag esse, liegen die Nerven schnell blank. Die Kinder haben wenig zu essen, keine Freizeit, sie müssen da sein und funktionieren. Das Kindsein braucht aber mehr. Mit einer Schule, mit Lehrern, mit Unterrichtsmaterial kann ich das Hirn füttern, mit Essen den Bauch. Damit sich die Persönlichkeit eines Kindes entwickeln kann, braucht auch die Seele Nahrung. Die ist die Bewegung, der Freiraum, das Spielen, um dabei für zehn Minuten die Welt rundum zu vergessen.

Woran zeigt sich, dass Ihre Arbeit etwas bewegt hat?

Die sicht- und spürbaren Erfolge haben sich schnell eingestellt. Wir haben noch eins draufgelegt und gesagt: Wer die Primaria, die Volksschule, abschließt, soll auch die Chance haben, zur Matura und zum College geführt zu werden. Es war am Anfang schwierig, Kinder und Eltern dafür zu gewinnen. Denn ihnen wurde von der Regierung immer gesagt: Ihr seid arm, weil ihr dumm seid, und weil ihr dumm seid, braucht ihr keine Schule. Irgendwann glaubt man das. Zwei Kinder und ihre Eltern haben dann doch unser Stipendium zum Weiterlernen in der Stadt angenommen. Der eine hat in der kürzesten Zeit das College als Mechanikermeister abgeschlossen, der andere die Ausbildung zum Lehrer. Da haben die Dorfbewohner in den Bergen ganz schön geschaut. So bekamen auch andere Lust auf mehr. Mittlerweile haben wir 30 abgeschlossene Stipendiaten, die gute Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben.

Wie kommen die Menschen in den Bergen zurecht?

Das Alltagsleben hat einen sehr klaren Tagesablauf vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, denn vielfach gibt es keinen Strom. Der Tag ist gut einzuteilen, viel hängt an der Frau, die für die Erziehung der Kinder und die Versorgung mit Lebensmitteln zuständig ist. In vielen Familien wird nur einmal am Tag gegessen, weil nicht mehr drinnen ist.

Womit verdienen sie Geld?

Durch Geringfügigkeitsanstellungen – wir sagen Tagelöhner dazu. Sie verdienen zwei bis drei Euro am Tag, damit versuchen sie die Grundbedürfnisse der Familie abzudecken. Manchmal ist es möglich, als Knecht oder Magd bei Großgrundbesitzern zu arbeiten, sonst bleibt zu den Erntezeiten nur der Gang auf die Plantagen. Das System dort ist ausbeuterisch, mit einem Maximalverdienst von vier Euro. Auf den Zuckerrohrfeldern ist mittags mit 40 Grad Hitze zu rechnen, kein Schutz vor Moskitos, dann muss man sich selber verpflegen, darf zwar in den Baracken schlafen, hat aber keine Rechte.

Landflucht ist ein Thema. Reden Sie den Menschen die Stadt aus?

Wir haben ein begleitetes Pilotprojekt mit landflüchtigen Jugendlichen gemacht, die die Stadt als Ort der Freiheit, Arbeit und Entfaltung gesehen haben. Nach einer Woche haben sie auf Knien flehend gebeten, dass sie wieder zurückdürfen. Sie sind nicht einmal durch den Außengürtel durchgekommen, und der bedeutet Slums, Kriminalität, Drogenbanden. Die Korruption geht bis ganz nach oben, gepaart mit Gier und unlimitiertem Machtanspruch.

Die Kriminalität nimmt zu. Wie sicher sind Sie in Guatemala?

Das Risiko ist kalkulierbar, wenngleich die Gefahren vor allem in der Großstadt permanent sind. Ein Menschenleben zählt in Guatemala nicht sehr viel, auch gefördert durch das Justizwesen, denn wenn man jemanden umbringt, geht man in der Regel straffrei aus, wenn man es geschickt macht. Der Bürgerkrieg ist noch lange nicht verdaut, da sind immer noch Führungskräfte in Verantwortungspositionen tätig, die während des Bürgerkrieges schwer kriminell gehandelt haben, die an Mordkomplotten beteiligt waren. Dort, wo Geschichte nicht aufgearbeitet wird, kann sich ein Land nicht friedlich entwickeln.

 

 

Hilfe in Guatemala

Projekte: Mit der lokalen Partnerorganisation hat „Sei so frei“ seit 2005 dreizehn Schulen errichtet, erneuert oder erweitert und mit Minisportplätzen ausgestattet. Davon profitieren 1100 Kinder. Zudem werden Stipendien für weiterführende Ausbildungen vergeben. In einem Dorf wurde eine Schneiderei gegründet, die 15 Frauen Arbeit gibt. Seit 2011 sind sieben Bäckereien entstanden, um die Eigenversorgung zu verbessern. 75 Familien erhielten Holzsparöfen.

 

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