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Mit sechs PS von Wien nach Bombay

Von Martin Dunst, 15. September 2012, 00:04 Uhr
Mit sechs PS von Wien nach Bombay
1981: Der Pionier im Alter mit seiner geliebten Indien-Puch. 1932 führt Max Reisch als 19-Jähriger das erste österreichische Motorrad durch Algerien, Tunesien und Libyen in die Randzonen der Sahara. Diese Expedition war der Probegalopp für das große Indien-Abenteuer. Bild: Reisch-Archiv

Der Pionier und Forscher Max Reisch wäre im Oktober 100 Jahre alt geworden. Der Tiroler fuhr als Erster mit einem Motorrad nach Indien. Diese und weitere Reisen sind eng mit der Marke „Steyr“ verbunden.

Die große Abenteuerfahrt nach Indien beginnt Ende Juli 1933 mit einem Sturz. Max Reisch und Herbert Tichy landen in Kittsee mit ihrer schwerbepackten Puch 250 im Straßengraben. Mitleidig schauen die Zöllner beim Aufstellen des zweirädrigen „Möbelwagens“ zu. In ihren Augen spiegelt sich unverhohlen Zweifel: Wie wollen es diese beiden 20-jährigen Jungspunde auf dem Landweg ins 13.000 Kilometer entfernte Indien schaffen?

Doch die Studenten Reisch und Tichy lassen sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen: Sie wollen die Welt sehen, etwas erleben und Widrigkeiten meistern – so wie ihre Helden in den heißgeliebten Karl-May-Romanen, oder große reale Vorbilder wie Marco Polo und der schwedische Forscher Sven Hedin. Einen gewissen Erfolgsdruck übt wohl auch die Erwartungshaltung der Geldgeber aus. Max Reisch konnte die namhafte Steyr-Daimler-Puch AG für sein Vorhaben – mit dem Motorrad bis Indien zu fahren – gewinnen.

Mit dem Serien-Motorrad Baujahr 1933, das von der Fabrik bereitgestellt wurde, hat die Indien-Puch bei der Abreise nur noch wenig Ähnlichkeit: Siebzig Kilo Gepäck müssen in Seitentaschen, Auf- und Zubauten aus Aluminium Platz finden. Max Reisch war als erster Motorradfahrer mit eigens entworfenem Gepäcksystem unterwegs. Was man als Motorrad-Pionier mitnimmt oder besser zu Hause lässt, wie Ersatzteile, Zelt, Fotoausrüstung und Proviant platzsparend verstaut werden und nicht zuletzt: wie man ein derartiges Ungetüm lenkt – das hat Max Reisch beim Probegalopp ein Jahr zuvor in der Sahara gelernt. Trotz akribischer Vorbereitung, mehreren Empfehlungsschreiben und jeder Menge Zuversicht im Gepäck, blieben unzählige Unwägbarkeiten und Hindernisse übrig, die diese Expedition jederzeit zum Scheitern bringen konnten – Stürze wie jener am Grenzübergang waren nur eine von vielen möglichen Gefahrenquellen. „Mit Beharrlichkeit, Genauigkeit in der Vorbereitung, Selbstvertrauen und Optimismus – hat mein Vater seine Ziele verwirklicht. Die Bezeichnung Abenteurer hat er nie gemocht“, sagt Peter Reisch. Der Sohn des Weltreisenden führt das Reisch-Orient-Archiv, stellt in Bozen die weltweit einzigartige Sammlung von noch fahrtüchtigen Fahrzeugen und Oldtimern seines Vaters aus.

Mit sechs Pferdestärken unter dem Hintern, rollen Reisch und Tichy durch die Puszta und haben dabei das Gefühl: „Asien beginnt schon kurz hinter Wien.“ Über den Balkan geht es weiter in die Türkei und nach Syrien. In Aleppo bestaunen die beiden Österreicher die mächtige Zitadelle. Heute lässt dort Diktator Baschar al-Assad auf das eigene Volk schießen.

Kilometer um Kilometer arbeiten sich die Zweirad-Pioniere vorwärts, lassen Bagdad mit seinen geheimnisvollen Basargassen und Geschichten aus 1001 Nacht hinter sich, erreichen Persien (Iran), frieren auf den Pass-Straßen, schwitzen in der Ebene. „Über die Berge hätte ich mir oft eine Kurbel zum Mit-Treten gewünscht“, schrieb Reisch in seinem neu aufgelegten Reisebericht „Indien – lockende Ferne“.

Ausdauernd macht die Puch alle Strapazen mit. Motor- oder Getriebeschäden bleiben dem Duo erspart – österreichische Wertarbeit. Dort, wo Reisch und Tichy auf Menschen treffen, wird die 250er bestaunt. Die meisten Betrachter haben nie zuvor ein so merkwürdiges Vehikel gesehen.

Mit Gesten und ein paar Brocken in der jeweiligen Landessprache schlagen sich die Österreicher durch, tauchen ein in fremde Kulturen. Wenn nichts mehr zu gehen scheint, öffnen sich mit dem Satz „Isfahan nesfi dschihan aest“ in Persien Türen und Herzen der Menschen. „Isfahan ist die Hälfte der Welt“ besagt dieser Spruch. Gemeint sind die vielen Sehenswürdigkeiten der alten Kaiserstadt Isfahan, die es locker mit dem Rest der Welt aufnehmen könnten. „Toleranz und Weltoffenheit gegenüber anderen Kulturen prägten das Wesen meines Vaters. Diese Einstellung wollte er an nachfolgende Generationen weitergeben“, sagt Peter Reisch.

Tückisches Wüstenfieber

Die Reise nach Indien ist alles andere als eine Sonntagsfahrt. Oft kommen die motorisierten Entdecker nur im Schneckentempo voran, müssen ihr Gefährt anschieben, nach Stürzen aufrichten oder aus dem Sand ausgraben. In der Region Belutschistan werden Reisch und Tichy vom Sandfliegen-Fieber heimgesucht und niedergestreckt. Die Österreicher müssen sie sich zwingen, nicht einfach im Wüstensand liegen zu bleiben. Mit eisernem Willen und Hilfe von Wohlgesonnenen geht es nach Tagen wieder auf- und vorwärts – immer weiter Richtung Indien. Sand und Buckelpisten verwandeln sich an der Grenze zur damals noch englischen Kolonie wieder in Asphaltbänder – versprechen Schonung für die Hinterteile der Helden der Landstraße und die brave, doch mitgenommene Indien-Puch. Mit offenen Mündern stehen Reisch und Tichy vor dem Taj Mahal, können es wenig später in Bombay kaum glauben, dass sie die 13.000 Kilometer bewältigt haben, ihre Reise zu Ende ist. Noch oft sollte Reisch dem Lockruf der Ferne folgen. Über Indien sagte Reisch, der 1985 starb: „Die Reise war der Höhepunkt meines Lebens“

Mehr zum Thema unter www.maxreisch.at

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