"Wenn der Stammtisch verloren geht, geht der Zusammenhalt verloren"
GRUNDLSEE/LINZ. Miteinander zu reden, ist das Einfachste der Welt. Möchte man meinen. Was früher am Stammtisch in den Wirtshäusern gang und gäbe war, verliert sich heute zu oft in den Weiten der sozialen Medien, in denen man nicht Meinungen austauscht, sondern seine Meinung als die einzige Wahrheit verbreitet, ohne dabei jemandem ins Gesicht sehen zu müssen. Die Linzerin Kira Saskia Schinko sehnt sich die Reanimation des Stammtisches herbei. Die von ihr konzipierte 1. Wirtshaus-Show Österreichs feiert am 8. Juni in Grundlsee ihren Start im Kulturhauptstadtjahr im Salzkammergut. Im Herbst folgen vier weitere Shows.
OÖN: Was ist die Idee hinter Ihrer Wirtshaus-Show?
Kira Schinko: Früher sind die Menschen ins Wirtshaus gegangen, weil sie keinen Fernseher gehabt haben, und haben dort gemeinsam ferngeschaut. Jetzt will ich, dass die Leute von ihrem Fernseher zu Hause weg in einen analogen Raum gehen, weil sie das, was hier passiert, nur dort erfahren.
Deswegen wird die Show auch nicht aufgezeichnet?
Genau. Ich mache das nicht aus einem Selbstzweck für das klassische Kulturpublikum, sondern ich möchte so wahrgenommen werden, dass sich die Leute das anschauen, weil es lustig ist. Es geht nicht darum, dass ich vor 5000 Menschen auftrete, sondern etwas anbiete, wo die Menschen hinkommen können. Deshalb ist auch der Eintritt frei. Die Leute sind dankbar für ein Angebot.
Warum ist der Stammtisch so wichtig?
Ich glaube, der Raum, der Tisch, wo ich mit Menschen zusammensitze, den muss man offen lassen. Er muss auch wieder offen werden. Wenn ich eine Berufsbezeichnung habe, dann bin ich wahrscheinlich Tischoffenhalterin (lacht). Ich bin überzeugt davon, dass wir die Herausforderungen der Zeit nur gemeinsam schaffen. Wir müssen nicht dieselbe Meinung haben, absolut nicht, aber es braucht wieder den Respekt im Sinne, wie wir miteinander umgehen und wie wir uns artikulieren.
Sie spielen damit auf das Internet und seine Auswüchse an?
Ich will mit der Show das Wilde vom Internet konterkarieren. Mir ist das vom Umgang her zu derb. Ich habe mich dabei selbst erwischt, wie ich eine Zeit lang auch sehr zynisch in den sozialen Medien war. Das hat mich genervt.
Hat der klassische Stammtisch so überhaupt noch Zukunft?
Natürlich. Wenn der Stammtisch verloren geht, geht der Zusammenhalt der Gesellschaft verloren. Am Stammtisch formiert man sich für Interessen, das Äquivalent dazu ist die Bürgerinitiative.
Sperrt ein Wirtshaus zu, geht damit auch der Stammtisch verloren. Wie kann man dem entgegenwirken?
Das Publikum wächst mit dem Wirt mit, man ist im gleichen Alter. Wenn das verschwindet, verschwindet auch der Stammtisch. Es wird aber auch gesagt, dass, wenn sieben Jäger am Stammtisch sitzen, nur über die Jagd geredet wird. Es braucht daher einen unthematischen Stammtisch, an dem sich jeder einbringen kann. Es gibt viele Wirtinnen und Wirte, die Stammtische jetzt wieder ins Leben rufen und schauen, dass das Publikum wieder zurückkommt. Die Sparvereine funktionieren immer noch ziemlich gut, und thematische Stammtische haben auch Zulauf, egal ob es sich um Literatur oder Stricken handelt.
Mit welchem Gefühl sollen die Menschen aus Ihrer Wirtshausshow hinausgehen?
Im besten Fall geht wer hinaus und sagt, es war lustig oder es war ein flotter Abend. Show hat für mich etwas mehr als die Schwere von klassischen Diskussionssendungen. Eigentlich darf es gar nicht darum gehen, wer gerade da ist, es müsste zufällig wirken. Eine gewisse Dynamik muss sich aus einem Stammtisch ergeben. Was ich auf alle Fälle nicht will, ist Lagerbildung. Es wird sicher kein Abend so gestaltet sein, wo es mordsdramatisch ablaufen wird, im Sinne von nur einer Meinung.
Wird Ihr Konzept auch über 2024 hinaus bestehen?
Ich will natürlich, dass es weitergeht. In der Nachnutzung des Konzeptes ist es wichtig, analoge Räume zu finden, wo wir uns zufällig begegnen können und wo jeder mit seiner Tagesverfassung einfach hingehen kann.
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