Zwei Kinder mit seltenem Gendefekt: "Niemand hat uns ernst genommen"
NEUHOFEN AN DER KREMS. Der Sohn von Lisa und Wolfgang Ortbauer benötigt lebenslange Therapie, während seine jüngere Schwester nun durch das teuerste Medikament der Welt gesund werden könnte
Es ist erst früher Vormittag, doch Leo hat schon viel zu tun: In der Sandkiste Kuchenformen befüllen und diese dann wieder entleeren. Um kurz darauf zur windgeschützten Hausmauer zu laufen, wo er dringend Wasser in ein kleines Küberl gießen muss. – Dass der Zweijährige das alles nahezu ohne fremde Hilfe machen kann, ist für seine Eltern Lisa und Wolfgang Ortbauer aus Neuhofen an der Krems wohl nach wie vor eines der schönsten Dinge in ihrem Leben.
Denn Leo wurde mit einem seltenen Gendefekt geboren. Ein SMN1-Gen, das für den Muskelaufbau zuständig ist, ist kaputt. Dadurch wird spinale Muskelatrophie (SMA), ein Muskelschwund, ausgelöst. Diagnostiziert wurde dies aber erst, als Leo bereits 13 Monate alt war. Und dennoch hatte er großes Glück: "Es konnte noch relativ viel Nervenmasse gerettet werden. Sonst könnte er jetzt noch nicht gehen oder säße schon im Rollstuhl", sagt seine 30-jährige Mama.
Mutter hatte eine Vorahnung
Der Diagnose waren für die jungen Eltern aber viele Monate der Ungewissheit und der Sorge vorangegangen. "Ich wusste schon bald, dass bei ihm etwas nicht stimmt", sagt Lisa Ortbauer. "Doch niemand hat uns ernst genommen."
Bis zu seinem 6. Lebensmonat hatte sich das Wunschkind ganz normal entwickelt, als es dann plötzlich keine Nahrung mehr schlucken konnte und daher rasch an Gewicht verlor. Auch die Motorik war bereits verzögert. "Er konnte erst mit elfeinhalb Monaten sitzen", sagt Vater Wolfgang, 34, ein selbstständiger Versicherungsagent.
Erst als sich nach Leos erstem Geburtstag an seiner Lendenwirbelsäule eine Geschwulst bildete, läuteten bei den Eltern die Alarmglocken: "Da haben wir das erste Mal gehört, dass das möglicherweise eine Krankheit ist." Ein Gentest brachte schließlich die Diagnose. Bereits eine Woche später, am 24. Juni 2020, erhielt der Bub seine erste Lumbalpunktion, also die Entnahme von Flüssigkeit aus der Wirbelsäule. "Er ist bereits danach zum ersten Mal in seinem Leben aufgestanden. Da wussten wir, dass wir das Richtige gemacht haben", sagt die Mutter. Seither muss ihm alle vier Monate ein Medikament in sein Rückenmark gespritzt werden – vermutlich sein ganzes Leben lang.
Die Nachricht, die sie schon wenige Tage nach Leos Diagnose erhielt, warf Lisa Ortbauer dann erneut kurzfristig aus der Bahn. Wenn auch auf andere Weise: Erfuhr sie doch, dass sie bereits wieder schwanger war – und dass auch dieses Wunschkind den seltenen Gendefekt haben könnte. "Doch ich glaubte nicht daran", sagt die zweifache Mutter heute, "weil das Baby im Gegensatz zu Leo bereits im Bauch eher lebhaft war."
Hoffnung für Julia
Doch eine Blutabnahme unmittelbar nach der Entbindung sollte die traurige Gewissheit bringen: Auch bei Leos kleiner Schwester Julia wurde SMA diagnostiziert. "Es war furchtbar, da hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich dachte einfach nicht, dass sie den Gendefekt auch hat."
Doch im Gegensatz zu Leo, der bereits jetzt immer wieder auf seinen Kinderrollator und auf längere Sicht wohl auf einen Rollstuhl angewiesen sein wird, gibt es bei Julia Hoffnung: Denn das heute elf Wochen alte Mädchen erhielt heuer am 13. April als erstes Kind in Oberösterreich eine einmalige Infusion mit "Zolgensma", dem teuersten Medikament der Welt. Die Kosten für das seit Mai 2020 in der EU zugelassene Mittel – rund zwei Millionen Euro – werden seit Ende des Vorjahres vom Staat übernommen. Die extrem kostenintensive Gentherapie kann den Ausbruch der Krankheit wirksam stoppen bzw. zumindest nachhaltig abbremsen. "Wir gehen davon aus, dass sich Julia dadurch normal entwickelt", blickt Wolfgang Ortbauer hoffnungsfroh in die Zukunft. Gemeinsam mit seiner Frau hat sich der Vater mit der Situation arrangiert. "Wir schauen, dass wir ein ‚normales‘ Familienleben haben, sich nicht alles um Leos Erkrankung dreht und er eine normale Kindheit hat. Denn so wie er ist, ist er gut."
Um anderen Kindern diese lebensrettende Chance zu ermöglichen, setzen sich Lisa und Wolfgang Ortbauer für eine Gesetzesänderung in Österreich ein, wie sie sagen: "Es sollte auch bei uns die Möglichkeit eines Neugeborenen-Screenings auf diesen Gendefekt hin geben. In den USA, wo es dieses längst gibt, fallen dadurch 80 Prozent der betroffenen Babys auf, in Österreich erst 20 Prozent."
Denn je früher der Gendefekt erkannt werde, desto mehr Nervenzellen könnten gerettet werden. "Da bei Julia alles so unauffällig verlief, wären wir auf den Gendefekt erst draufgekommen, wenn es zu spät gewesen und sie ein Rollstuhlkind wäre", sagt die 30-jährige Lehrerin.
Jeder, der in der Situation ist, ein beeinträchtigtes Kind zu haben, weiß dass man von den Behörden zu jeder Zeit alleine gelassen wird.
Eltern müssen sich bei jeder Kleinigkeit auf die Füße stellen und mit allen Mitteln den zuständigen Beamten "Gas geben".
Es ist traurig wie mit ÖSTERREICHERN umgegangen wird die sich diese Situation nicht aussuchen haben können.
Jenen die sich unser Sozialsystem aussuchen wird alles nur erdenkliche bezahlt und ohne Leistung zuerkannt.
Traurig aber wahr! Wir als "betroffene" haben unsere Erfahrungen gemacht und können viel erzählen.
Es ist nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen so, die nicht "topfit" sind! Österreicher müssen um jeden Cent betteln! Das ist einerseits eine Frechheit, andererseits absolut nicht einzusehen, da ja offenbar für Leute, welche noch NIE in unsere Sozialtöpfe einbezahlt haben und gesund sind, Geld in Hülle und Fülle vorhanden ist! Ja, die schreien lauter und lassen sich nichts gefallen. Wenn man als Österreicher gleich ein behördliches NEIN akzeptiert, ist das ja sehr bequem für die Behörden .... Man kann nur raten, sich Unterstützung bei einschlägigen Vereinen und Selbsthilfegruppen zu suchen!
Leo sollte auch dieses Medikament bekommen! Es ist an der Zeit, dass Studien gemacht werden, wie es bei älteren Kindern funktioniert! Es ist ja auch nicht die Schuld der Eltern, ganz im Gegenteil, dass seine Krankheit erst so spät diagnostiziert wurde! Oft werden Medizinlaien leider nicht ernst genommen von Ärzten! Seiner kleinen Schwester wünsche ich eine vollständige Genesung!
"Normale Eltern" haben keine blasse Ahnung, wieviele und welche Kämpfe die Eltern beeinträchtigter Kinder ausfechten müssen. Hin und wieder erhält man Hilfe über die man sehr dankbar ist. Zu oft aber wird man im Regen stehen gelassen.
Was ProMente, Diakonie und Caritas hier leisten kann gar nicht hoch genug geschätzt werden.
Zolgesma wäre für Leo keine Option mehr, um zumindest ein Fortschreiten verzögern zu können?
Wahrscheinlich.
Ich freue mich sehr, daß Österreich, GKK, für diese Behandlung aufkommt und es zu keiner Kostendiskussion kommt. Den Eltern und den beiden Kids wünsch ich das allerbeste, und ich bin froh über die Liebe der Eltern die sie den Kids auf ihrem Lebensweg mitgeben können.
Gerade bei dem Medikament sollte es genau so sein, wie bei den Impfstoffen gegen Corona! Es sollte der Patentschutz entweder gelockert werden oder der Preis leistbar gemacht werden! Denn die vielen Schicksale mit dieser schrecklichen Krankheit sind einfach Grund genug!
Da es ja sicher international viele Kinder und Neugeborenen mit dieser schrecklichen Erkrankung gibt, dann wäre es doch auch für die Pharmafirma wirtschaftlich, wenn das Medikament preislich so wäre, dass es JEDES betroffene Kind bekommen könnte!
Es gibt in der Steiermark einen Fall von einem wesentlich älteren Buben, der das Medikament seit einiger Zeit bekommen kann, nachdem ein Gerichtsverfahren zu seinen Gunsten ausgegangen ist. Geheilt kann dieser bedauernswerte Bub zwar nicht mehr werden, aber er hat schon unglaubliche Fortschritte gemacht! Das sollte doch weitere Forschungen zum Einsatz des Medikament bei älteren Kindern anstoßen!