Prozess gegen brutale Jugendbande in Wien: "Sie wollten es in die Medien schaffen"
WIEN. Am Freitag hat am Wiener Landesgericht der Prozess gegen eine jugendliche Schutzgeld-Erpresser-Bande begonnen, die im September 2023 drei Brandanschläge auf ein Handy-Geschäft in Meidling und zahlreiche weitere Straftaten verübt haben soll.
Die Hauptangeklagten - 17 und 19 Jahre alt - sind einem Bericht der Jugendgerichtshilfe zufolge "fortgeschritten religiös radikalisiert", wie Staatsanwalt Wolfram Bauer zu Beginn der Verhandlung sagte.
Der Staatsanwalt, der seinen Anklagevortrag mit Videos und Fotos illustrierte, die bei der Auswertung der Handys der Angeklagten gefunden wurden, präsentierte dem Schöffensenat Bilder, auf denen die beiden Hauptangeklagten maskiert und mit einer schusssicheren Weste vor einer Flagge der radikal-islamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) posieren. Der 17-Jährige - Sohn eines Imams - soll außerdem im August des Vorjahrs im Steinbauerpark in Meidling mit bisher nicht ausgeforschten Mittätern zwei aus Afghanistan stammende Männer als "Ungläubige" bezeichnet, "Allahu Akbar" ("Gott ist groß") gerufen und die Männer mit dem Tod bedroht haben, weil sie Alkohol konsumierten.
"Netter Jugendlicher aus gutem Haus"
Am darauf folgenden Tag wurden dieselben Männer im selben Park von der mit Messern bewaffneten jugendlichen Gruppierung attackiert: während der eine flüchten konnte, wurde der zweite verprügelt. Er erlitt eine Schädelprellung und eine Kopfverletzung. Unweit des Parks befindet sich übrigens jene Moschee, die seinerzeit der Wien-Attentäter vom 2. November 2020 frequentiert hatte und die später auch ein mittlerweile abgeurteilter 17-Jähriger aufsuchte, der im September 2023 einen Terror-Anschlag auf den Wiener Hauptbahnhof geplant hatte.
Es sind derzeit acht Verhandlungstage anberaumt, die Urteile soll es im Juni geben. Das Verfahren könnte allerdings wesentlich schneller über die Bühne gehen. Die Hauptangeklagten bekannten sich zu sämtlichen Vorwürfen schuldig. Darüber hinaus seien sie zu keinen weiteren Angaben bereit, meinten ihre Verteidiger und verwiesen auf das Aussageverweigerungsrecht. Der 19-Jährige machte geltend, er sei "zu nervös für Angaben".
Philipp Wolm, der Verteidiger des 17-Jährigen, bezeichnete diesen als "netten Jugendlichen aus gutem Haus". "Sie brauchen keine Angst vor ihm zu haben", beruhigte der Anwalt das Gericht. Die angebliche islamistische Gesinnung seines Mandanten "ist nicht angeklagt. Sein Traum ist es, Krankenpfleger zu werden". Der Verfahrenshelfer des 19-Jährigen räumte ein, dieser habe "nicht einen Fehler, sondern viele Fehler gemacht". Die Goldenberg-Bande - eine 150-köpfige Verbindung aus kriminellen Jugendlichen, die vor mehr als zehn Jahren für Schlagzeilen sorgte - sei für die Angeklagten "Role-Model" gewesen.
Keine finanziellen Motive
Angeklagt sind zehn Burschen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren. Sechs von ihnen befinden sich in U-Haft. Einer der Angeklagten - 14 Jahre alt - blieb der Verhandlung unentschuldigt fern. Zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen wurde sein Verfahren ausgeschieden. Die anwesenden sieben Mitangeklagten bekannten sich teilweise schuldig. "Sie wollten es in die Medien schaffen", sagte Florian Kreiner, einer der Verteidiger eines Mittäters. Sein Mandant - 16 Jahre alt - habe innerhalb der Gruppierung Anerkennung gesucht. Finanzielle Motive hätten keine Rolle gespielt: "Er hat keinen Cent bekommen."
Vorgeworfen wird der Bande versuchte Brandstiftung, schwere Erpressung, versuchte absichtlich schwere Körperverletzung, mehrfache Körperverletzung, kriminelle Vereinigung und verbrecherisches Komplott. Auch schwerer Raub ist inkriminiert, wobei Macheten und Messer als Tatwaffen verwendet wurden. Der 17-Jährige, der die ihm untergeordneten Mittäter mit wenig schmeichelhaften Worten bedachte, hatte in Tschechien verbotene Kugelbomben gekauft. Mit einem Komplizen soll er damit in seinem Kinderzimmer und später in den Räumlichkeiten der Moschee, in der sein Vater tätig ist, hantiert und zu Hause einen 2,3 Kilogramm schweren Sprengsatz gebaut haben. In der Moschee wurde laut Anklage auch ein Drohbrief gegen den Handyshop-Betreiber verfasst, wobei dem Schreiben eine Patrone beigelegt war, die zu einem AK-47-Sturmgewehr passte.
25000 Euro Schutzgeld gefordert
Seit 8. September 2023 hatten die Angeklagten den Handyshop-Besitzer in der Steinbauergasse terrorisiert, indem sie zunächst die Fassade des Geschäfts mit drei Böllern sprengten. "Das hatte eine verheerende Wirkung", sagte der Staatsanwalt. Ein Schaden von weit mehr als 5.000 Euro sei die Folge gewesen, die Fenster in angrenzenden Gebäuden gingen kaputt. Weil der Geschäftsinhaber, der der Bande 25.000 Euro bezahlen sollte, auf die Forderung nicht einging, wurde am 19. September 2023 ein Molotow-Cocktail in das Geschäft geschmissen. Den von der Überwachungskamera im Laden gefilmten Angriff spielte der Staatsanwalt bei seinem Eröffnungsplädoyer ab. Darauf ist zu sehen, wie ein maskierter Jugendlicher die Brandflasche durch die geöffnete Eingangstür ins Innere des Geschäfts schmeißt, in dem sich der Geschäftsinhaber und seine Frau aufhalten. Als die Flasche am Boden birst und eine Stichflamme in die Höhe schießt, läuft die Frau panisch aus dem Geschäft, während ihr Mann mit einem Feuerlöscher die Flammen löscht.
Die Bande war laut Anklage eine in sich inhomogene Gruppe. Die beiden Anführer hätten schon mit 13 und 14 von einer kriminellen Karriere geträumt und schon als Kinder "eine gewisse Affinität zu Waffen und Gewalt" an den Tag gelegt. "Für die Haupttäter war es Lebensinhalt, reich zu werden und Verbrechen zu machen", führte der Staatsanwalt aus. Nicht von ungefähr hätten sie die Telegram-Gruppe, in der sie mit den anderen Mitgliedern ihrer Bande chatteten, in Anlehnung an die gleichnamige sowjetische Selbstladepistole "Tokarew" genannt.
"Fulminante kriminelle Entwicklung"
Die anderen Mitglieder, die laut Staatsanwalt von den Hauptangeklagten teilweise "panische Angst" hatten, wurden im Park oder im persönlichen Umfeld rekrutiert. Die Anführer waren auch Kampfsportler, den 17-Jährigen bezeichnete der Anklagevertreter als "semiprofessionellen Kämpfer". Es sei ihnen darum gegangen, sich einen "Ruf als erfolgreiche und gewaltbereite Kriminelle zu erarbeiten", wusste Bauer zu berichten. Er bescheinigte den beiden auch eine "fulminante kriminelle Entwicklung". Immerhin hätten sie seit 2019 "die Idee verfolgt, sich durch kriminelles Handeln ein Einkommen zu verschaffen".
Dem Staatsanwalt zufolge verfügte die Jugendbande über zwei AK-47-Sturmgewehre, so genannte Kalaschnikows, eine Pistole, einen Revolver und eine Uzi-Maschinenpistole. Ende September stahl die Bande auch ein Auto. Nach der Festnahme der Kriminellen konnte im Kofferraum des Wagens eine Kalaschnikow sichergestellt werden. Die anderen Waffen, deren Existenz belegt ist, weil die Jugendlichen damit Selfies angefertigt und im Chat geteilt hatten, wurden bisher nicht gefunden. Die Angeklagten hätten keine Angaben gemacht, wo sie ihr Waffenlager deponiert hätten, meinte der Staatsanwalt.