Münchner Ex-Kardinal übernimmt Verantwortung für Missbrauchsfälle
MÜNCHEN. Der frühere Münchner Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter (93) hat persönliche Verantwortung für Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche übernommen.
In einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten räumte er ein, sich vor dem Jahr 2010 nicht eingehend mit den fatalen und zerstörerischen Folgen von Missbrauchstaten für Kinder und Jugendliche auseinandergesetzt zu haben. Die Bischofskonferenz erwartet anhaltende Debatten.
Wetter entschuldigte sich für seine "falsche Entscheidung" in einem prominenten Missbrauchsfall, der im Gutachten mehr als 350 Seiten füllt. Pfarrer H. hätte nicht mehr in der Seelsorge eingesetzt werden dürfen. Es erfülle ihn "mit Scham und Trauer", zumindest im Fall H. eingestehen zu müssen, "dass ich meiner Verantwortung als Erzbischof von München und Freising zum Schutz der Kinder und Jugendlichen nicht in dem notwendigen Maß gerecht geworden bin", betonte Wetter. Durch Theologie und Kirchenrecht seien in der katholischen Kirche die Vollmachten fast nur auf den Ortsbischof konzentriert. "Dem entspricht eine undelegierbare persönliche Verantwortung." Für seinen "unzureichenden Umgang im Fall H., aber auch mit anderen Anzeigen und Missbrauchsfällen in meiner Amtszeit muss ich deshalb auch persönlich Verantwortung übernehmen und bitte um Entschuldigung".
Wetter erklärte, er sei mit dem Fall H. nach seiner Erinnerung zum ersten Mal in Berührung gekommen, "als es darum ging, ob er nach seiner Verfehlung noch einmal in der Seelsorge eingesetzt werden könne". H. war wegen Missbrauchs mehrerer Kinder in Grafing 1986 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. "Die Entscheidung, die ich nach intensiver Beratung in der Ordinariatssitzung getroffen habe, ihn unter strenger Aufsicht nach Garching/Alz zu schicken, war ohne Zweifel objektiv falsch", schreibt der emeritierte Kardinal.
Wetter war von 1982 bis 2008 Erzbischof von München und Freising. Ein von der Erzdiözese München beauftragtes und am vergangenen Donnerstag veröffentlichtes Gutachten zu Missbrauchsfällen in der bayerischen Erzdiözese zwischen 1945 und 2019 wirft Wetter für seine Amtszeit Fehlverhalten im Umgang mit 21 Fällen vor, was der Kardinal zum Teil bestreitet, ausdrücklich nicht aber für den Fall H.
"Die Erschütterung wird uns weiter begleiten", erklärten die deutschen Bischöfe am Dienstag mit Blick auf ihre Sitzung des Ständigen Rats in Würzburg. Es würden weitere Gutachten folgen. Die Aufarbeitung bringe nicht nur das schändliche Verhalten der Täter ans Licht, sondern zeige auch, "wie sich kirchliche Führungsverantwortliche unangemessen und falsch verhalten haben", hielten die Bischöfe fest. Persönliche Verantwortung, auch früherer Verantwortungsträger dürfe nicht nivelliert werden, hieß es in der Erklärung. Und: "Um der Wahrheit Willen ist es notwendig, dass wir Bischöfe uns der Verantwortung stellen, die uns und unsere Vorgänger im Wesentlichen alle gleich betrifft. Wir brauchen einen umfassenden kirchlichen Kulturwandel, den wir aus Respekt vor den Betroffenen, aus Achtung vor den Gläubigen und aus innerer Verpflichtung heraus vollziehen müssen."
Die Katholische Kirche befinde sich "in einer großen und vielfältigen Krise", konstatierten die Bischöfe. "Wir sehen die hohen Austrittszahlen, wir erleben den extremen individuellen wie öffentlichen Vertrauensverlust. Wir spüren auch die Entmutigungen und Enttäuschungen bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei den Gläubigen, bei engagierten und treuen Gliedern der Kirche, die sich an vielfältigen Stellen im christlichen Sinne für die Menschen und die Kirche einsetzen. Wir brauchen Erneuerung."
Die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs müsse ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein, fügen die Bischöfe hinzu. Diesem Anliegen seien auch die Aufarbeitungskommissionen in den Diözesen verpflichtet. "Dabei steht das kirchliche Recht nicht über dem staatlichen Recht."