Angeschlagener Johnson schließt Kabinettsumbildung vorerst aus
LONDON. Nach einem knapp überstandenem Misstrauensvotum in seiner Partei hat der britische Premier Boris Johnson sich darum bemüht, Aufbruchstimmung zu vermitteln.
"Wir machen unseren Job weiter", sagte der Regierungschef, dem in der britischen Presse ein Autoritätsverlust bescheinigt wurde, am Dienstag bei einer Kabinettssitzung. Johnson kündigte zudem neue Unterstützungsmaßnahmen für die unter der Inflation leidenden Briten an. Eine Kabinettsumbildung plant er vorerst nicht.
Der konservative Regierungschef hatte das parteiinterne Misstrauensvotum am Montagabend mit 211 Stimmen zwar überstanden, doch hatten 148 Parlamentarier gegen ihn votiert. Johnson dankte den Kabinettsmitgliedern am Dienstag für "all die gute Arbeit" am Tag des Misstrauensvotums. Nach dem "sehr wichtigen Tag können wir nun einen Strich unter die Themen ziehen, über die unsere Gegner sprechen wollen", sagte Johnson. Die Regierung könne stattdessen "über das sprechen, was ich glaube, dass die Menschen in diesem Land von uns wollen", nämlich wie ihnen geholfen werden könne.
Grundsatzrede angekündigt
Johnsons Team kündigte für die kommenden Tage eine Grundsatzrede des Premierministers zu neuen wirtschaftlichen Maßnahmen für die Briten an, die mit den steigenden Lebenshaltungskosten zu kämpfen haben. Eine Kabinettsumbildung sei "derzeit" jedoch nicht geplant, sagte Johnsons Sprecher.
Johnson hatte Montagabend nach dem überstandenen Misstrauensvotum gesagt, es sei ein "überzeugendes Ergebnis", das erlaube, "nach vorne zu schauen". Dem stimmten die meisten Kritiker und Kommentatoren jedoch nicht zu. Sie sehen Johnsons Tage am Regierungssitz in der Downing Street gezählt. Die Zeitung "The Times" bezeichnete den Premier als "verletzten Sieger". Der "Daily Telegraph", für den Johnson einst als Journalist gearbeitet hatte, sprach von einem "schalen Sieg, der die Tories zerreißt".
Hague für "ehrenvollen Abgang"
William Hague, ein Urgestein der britischen Konservativen und ehemaliger Parteichef, schrieb in der "Times", Johnson solle nach einem "ehrenvollen Abgang Ausschau halten". "Es wurden Worte gesagt, die nicht zurückgenommen werden können, Berichte veröffentlicht, die nicht gelöscht werden können, und Stimmen abgegeben, die ein höheres Maß an Ablehnung zeigen als jeder andere Tory-Chef je ertragen und überlebt hat", schrieb Hague. "Tief in seinem Inneren" müsse Johnson dies erkennen und seine Meinung ändern, um seiner Partei und dem Land "solche Qualen und Unsicherheiten zu ersparen".
In jüngsten Umfragen vertrat eine klare Mehrheit der Bürger die Ansicht, dass Johnson zu der Affäre um Partys am Regierungssitz während des Corona-Lockdowns gelogen habe und zurücktreten sollte. Während der Jubiläumsfeierlichkeiten für die Queen wurde Johnson öffentlich ausgebuht.
Kritik in den eigenen Reihen
Auch in der eigenen Partei war Johnson zuletzt wegen des "Partygate"-Skandals stark in die Kritik geraten. Für ein erfolgreiches Misstrauensvotum hätten sich mehr als die Hälfte der 359 Tory-Abgeordneten des Unterhauses in der geheimen Abstimmung für diesen Schritt aussprechen müssen. Am Ende taten dies immerhin mehr als 40 Prozent.
Nach dem Scheitern des Misstrauensvotums ist laut den parteiinternen Regeln ein Jahr lang keine weitere Abstimmung dieser Art mehr möglich. Johnsons Vorgängerin Theresa May hatte allerdings auch ein gewonnenes Misstrauensvotum nicht geholfen: Sie überstand Ende 2018 zwar eine Vertrauensabstimmung, gab dann aber wenige Monate später wegen fehlenden Rückhalts doch auf. Ähnlich erging es Margaret Thatcher. Sowohl May als auch Thatcher hatten bei den Misstrauensvoten besser abgeschnitten als Johnson.
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