Gas-Lieferstopp treibt Preise und schürt Rezessionsängste
MOSKAU / WIEN. Erdgaspreise um ein Drittel gestiegen – Euro weniger wert als Dollar.
Mitte Juni dieses Jahres gab Russland zum ersten Mal bekannt, Gaslieferungen über die für Europa wichtige Pipeline Nord Stream 1 zu drosseln. Am Wochenende wurde in der Energiekrise erneut an der Eskalationsschraube gedreht: Die Betreibergesellschaft Gazprom nahm die Lieferungen nach einer dreitägigen Wartung nicht mehr auf und begründete das mit einem technischen Defekt in einer Kompressorstation. Dieser müsse behoben werden, ehe wieder Gas fließe.
Gestern, Montag, reagierten die Märkte: Der Preis des Terminkontrakts TTF für niederländisches Erdgas sprang am Vormittag um etwa 72,5 Euro auf 280 Euro je Megawattstunde. Das waren rund 35 Prozent mehr als am Freitag. Der TTF-Kontrakt gilt als Richtschnur für das europäische Preisniveau.
Der größte heimische Industriebetrieb, die OMV, gab bekannt, rund 30 Prozent der bestellten Gasmenge zu bekommen. Vor der Wartung waren es 40 Prozent. Bei der sich in Liquiditätsschwierigkeiten befindlichen Wien Energie hieß es, man beobachte, analysiere und evaluiere die Lage laufend. Ob und wie sich der gestiegene Gaspreis auf die Margin-Zahlungen beim Unternehmen auswirke, konnte ein Sprecher nicht sagen.
Warum der Euro auf Talfahrt ist
Die Verschärfung der Gaskrise schickte gestern auch den Euro erneut auf Talfahrt: Die Gemeinschaftswährung fiel zwischenzeitlich bis auf 0,9879 US-Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit knapp 20 Jahren.
Es ist die Furcht vor einer durch Energiemangel und hohe Energiepreise bedingten schweren Rezession, die den Investoren Sorgen bereitet. In Deutschland gehen zahlreiche Experten davon aus, dass ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung mindestens zwei Quartale in Folge nicht mehr abzuwenden sei. Laut der Investmentberatung Sentix würden Anleger so pessimistisch auf die Konjunktur schauen wie seit Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr.
Vor diesem Hintergrund wird die Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag mit Argusaugen beobachtet. Die EZB ist unter Druck, weil die US-Notenbank Fed die Zinsen früher und stärker erhöht hat. Dadurch leiten Investoren ihre Gelder aus dem Euroraum ab. Krieg, Inflation und Energiepreise erhöhten den Druck auf die EZB weiter, heißt es.
Industrie: Lage ist bedrohlich
Druck laste aber nicht nur auf den Währungshütern, sondern auch auf der Industrie, sagte gestern Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung. Die Lage sei sehr bedrohlich, weil der Strompreis im Jahresvergleich um das Sechsfache und der Gaspreis um das Zehnfache gestiegen sei. Die deutsche Bundesnetzagentur sagte, im Winter müssten auch geschützte Einrichtungen wie Schulen oder Krankenhäuser mit Einschränkungen beim Gas rechnen.