Der Tag, an dem New York stillstand
Die neue Sky-Doku "Surviving 9/11" wirft einen Blick auf das Schicksal der Überlebenden.
Am 11. September 2001 verübten islamistische Terroristen Anschläge auf das World Trade Center, das Pentagon und Flug 93 von United Airlines. Der britische Regisseur Arthur Cary (38) rekonstruierte für die Doku "Surviving 9/11" (ab heute exklusiv auf Sky) die Ereignisse und sprach mit Überlebenden und Augenzeugen über die Folgen der traumatischen Erfahrung.
OÖN: "Surviving 9/11" ist ein Film, der sich weniger mit der Vergangenheit selbst als mit ihrem Einfluss auf die Menschen im Hier und Jetzt beschäftigt. Wie schwer war es, eine neuartige Betrachtungsweise eines welthistorischen Ereignisses zu finden?
Arthur Cary: Sehr, keine Frage. Auf keinen Fall wollte ich eine weitere dramatische Nacherzählung der Ereignisse dieses Tages machen. Meine Intention war es, den Abstand von 20 Jahren zu nutzen, um zu verdeutlichen, wie dieser Tag im Rückblick unser aller Leben verändert hat. Ich tue dies durch die Augen von insgesamt dreizehn Menschen, die den 11. September 2001 auf sehr persönliche und erschreckende Weise erleben mussten. Es geht natürlich um 9/11, aber viel mehr noch um die verschiedenen Arten, wie wir Trauer und Trauma verarbeiten.
Nach welchen Kriterien suchten Sie die dreizehn erwähnten "9/11"-Überlebenden aus?
Viele 9/11- Dokus konzentrieren sich auf einen einzigen Aspekt: auf New York, auf das Pentagon, auf Flug 93. Ich wollte all diese Stimmen, alle diese Aspekte, abbilden. Von der Witwe, die ihren Partner verlor, über den Feuerwehrmann in Ground Zero bis hin zur Kampfpilotin, die Flug United 93 abschießen sollte. Es war eine Detektivarbeit, all diese Interviewpartner zu finden. Wir haben Tausende Telefonate geführt.
Obwohl es 20 Jahre her ist, sind die Ereignisse bei den Überlebenden extrem präsent. Die Angst, die Wut und die Verzweiflung schlummern direkt unter der Oberfläche, brechen unvermittelt auf. Hatten Sie diese emotionale Verwundbarkeit erwartet?
Ja, und bis zu einem gewissen Grad wollte ich diese bewusst erzeugen. Ich suchte für den Film nach Überlebenden, die ihre Geschichten bisher noch nicht öffentlich hundertmal erzählt hatten. Wenn diese Menschen nun versuchen, über diesen Tag zu sprechen, tun sie dies oftmals zum ersten Mal gegenüber einer Person, die nicht ihr Ehemann oder ihre Ehefrau ist. Man sieht, wie sie nach den Worten ringen, um das Unfassbare, das Unsagbare, zu artikulieren. Es macht ihnen Angst. Angst zu ergründen, was sie tief drinnen gebunkert haben. Das ist schmerzhaft anzuschauen, bringt uns 9/11 aber auf einer sehr persönlicher Ebene näher.
Dazu braucht es viel Vertrauen in das Gegenüber, speziell wenn eine Kamera läuft. Wie gelang es Ihnen, dieses zu erlangen?
Das ist der Vorteil, wenn man für ein Projekt sehr lange Zeit hat. Das gibt dir die Möglichkeit, die Menschen von deinen guten Intentionen zu überzeugen. Mit manchen Interviewten war ich fast ein Jahr lang in Kontakt, bevor wir die Kamera einschalteten. Ich will meine Interviewpartner ja nicht ausbeuten, sondern diese auf einen Weg mitnehmen, der im besten Fall sogar kathartisch wirkt. Ich gab allen Gesprächspartnern vor der Fertigstellung des Films die Möglichkeit, ein Veto einzulegen. Niemand fühlte sich verfälscht dargestellt.
Welche Szene aus der Doku lässt Sie emotional nicht los?
Wenn Feuerwehrmann Bill über das Pärchen spricht, das eng umschlungen aus den Twin Towers in den Tod sprang. Das ist schwer auszuhalten. Auch jene Szene, in der Bill und ein Polizist, ebenfalls ein "first responder", in "Ground Zero" über ihre Kinder plaudern. Normalerweise reden Einsatzkräfte in einem Krisengebiet nicht über Persönliches. Für die beiden war es aber, als würden sie sich die Beichte abnehmen. Sie hatten das Gefühl, sie würden den Tag nicht überleben. Ich habe selbst zwei kleine Kinder, ich kann mir kaum vorstellen, was in ihnen vorging.
Wie haben Sie selbst diesen verhängnisvollen Tag erlebt?
Ich war in London. Kurz davor hatte ich meinen ersten Job angetreten, bei einer Produktionsfirma. Es wurde plötzlich unheimlich still, nach und nach leerte sich das Büro. Wir wussten alle nicht, wie wir das Gesehene verarbeiten sollten. Wir sahen, verstanden aber nicht.
Zur Person
Der 38-jährige Arthur Cary gilt als einer der besten Dokumentarfilmer Großbritanniens. Für seinen Holocaust-Film „The Last Survivors“ wurde er 2020 mit dem britischen Filmpreis BAFTA ausgezeichnet. Sein nächstes Projekt wird eine Doku über die Nuklearkatastrophe von Fukushima.
Anna Schudt über ihre Rolle als Grantlerin in "Nelly und das Weihnachtswunder"
Bad Hall lockt mit „Im weißen Rössl“ und „Jesus Christ Superstar“
Die Alpensyphonie im Brucknerhaus: Auf gemütlichen Touristenpfaden in die Alpen
Robbie Williams Biopic "Better Man": Süchtig danach, sich zum Affen zu machen
Interessieren Sie sich für dieses Thema?
Mit einem Klick auf das “Merken”-Symbol fügen Sie ein Thema zu Ihrer Merkliste hinzu. Klicken Sie auf den Begriff, um alle Artikel zu einem Thema zu sehen.